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Bemerkungen

Francos Sommerpalast

Spätestens am 10. Dezember, so der Richterspruch, muss die Familie Franco die ehemalige Sommerresidenz »Pazo de Meirás« des Diktators im Nordwesten Spaniens zurückgeben. Andernfalls, heißt es im Gerichtsbeschluss, wird »die Räumung sofort durchgeführt«.

 

Wenn das Urteil Bestand hat, wird in Spanien Rechtsgeschichte geschrieben. Es ist das erste Mal, dass Francos Nachkommen etwas zurückgeben müssen, was sich die Familie in den Jahren der Diktatur angeeignet hat. Für die spanische Regierung ist der juristische Erfolg ein weiterer Meilenstein bei der Aufarbeitung der Franco-Diktatur.

 

Im Jahr 1938 – noch tobte der brutale Bürgerkrieg – schenkte das »Volk von La Coruña« dem Generalissimo Franco den Landsitz »Pazo de Meirás«, allerdings nicht ganz freiwillig. Es wurde Druck ausgeübt, es kam zur Enteignung. Die Schriftstellerin Emilia Pardo Barzán hatte den Palast mit seinen drei Türmen Ende des 19. Jahrhunderts als Zufluchtsort auch für Kollegen erbauen lassen. Das Schloss nutzte Franco nach dem Ende des Bürgerkriegs als Sommerresidenz, hielt hier auch Kabinettssitzungen ab, vererbte es schließlich an seine Nachkommen. In ihrem Urteil erklärte die Richterin Marta Canales die Schenkung an das selbsternannte Staatsoberhaupt Francisco Franco für nichtig. Auch von einem Kauf könne nicht die Rede sein. In der Urteilsbegründung steht: »Franco zahlte nichts, Franco kaufte nichts.«

 

In Spanien hieß es lange, Francisco Franco sei ein genügsamer Mensch gewesen, dem Pesetas nicht sonderlich wichtig waren. Mit dieser Mär räumten Historiker auf. Sie zeigten, wie aus einem einfachen Soldaten Franco ein Multimillionär wurde. Der galicische Abgeordnete Louis Bará warnt vor der kommenden Umzugsaktion der Francos. Die Zeitung Voz de Galicia schreibt: »Mit fünfzig Lastwagen wollen Francos Erben Gemälde, Wandteppiche und Bücher aus dem Palast abholen.« Bará fordert die Regierung von Galicien zu Vorsichtsmaßnahmen auf, es sei zu befürchten, dass Kulturgüter mit verschwinden könnten wie die zwei romanischen Figuren von Abraham und Isaak. Einst gehörten sie zum »Portikus der Herrlichkeit« der Kathedrale von Santiago de Compostela und fanden auf dubiosem Weg in den Garten von Francos Sommerresiden.              

 

Karl-H. Walloch

 

 

Ina Seidel rühmt, Fallada laviert

Literaturgeschichte ist nicht selten ein trockener Stoff. Nicht so bei Anatol Regniers »Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus«. Er hat aus Schriftstellernachlässen – vor allem in Briefen wurde er fündig – der Art und Weise des Funktionierens von Schriftstellerexistenzen im faschistischen Deutschland nachgespürt. Diejenigen, die in Deutschland geblieben sind, unter anderem Hans Fallada, Erich Kästner, Ina Seidel, Börries von Münchhausen, Oskar Loerke, Ernst Wiechert, Gottfried Benn, hatten eine ganz unterschiedliche Nähe zum Staat, und dennoch waren sie alle der Frage ausgesetzt: Was kann, soll man in dieser Zeit schreiben, wie soll man leben? Ina Seidel schrieb Lobeshymnen auf Hitler, Ernst Wiechert versteckte seine Lagerdarstellungen, Fallada lavierte ... Die Briefstellen, die Regnier zitiert, sind aufschlussreich und lebendig. Er konfrontiert »seine« Autoren mit Reaktionen emigrierter Schriftsteller und verfolgt ihren Lebensweg auch nach 1945. Spannend!               

 

Christel Berger

 

Anatol Regnier: »Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus«, C.H. Beck, 366 Seiten, 26 €

 

 

 

Spät, aber lobens- wie lesenswert

Was jetzt hier publiziert wird, ist eine Trouvaille für die Leserschaft. Fundstück als Bezeichnung war mir zu lasch, so kann man auch einen wiedergefundenen Regenschirm definieren. Die französische Vokabel aber hat eine Aura, und die prägt das gesamte Projekt des umtriebigen Wahllondoners Niko Rollmann, inzwischen lebt er wieder in Berlin. Er interviewte zwischen 1989 und 2016 unter anderem drei gerade noch rechtzeitig aus dem Hitler-Reich nach England emigrierte jüdische Intellektuelle: Freimut Schwarz, Fritz Beer, Peter Wayne. Die aufgezeichneten Gespräche beschreiben das Zufluchtsland, bieten aber auch Kommentare zur ehemaligen Heimat. Freimut Schwarz moniert zum Beispiel den Radikalen-Erlass, dem leider auch Willy Brandt zugestimmt hatte. England bleibt nicht ungeschoren, Margaret Thatcher wird wegen ihrer asozialen Politik hart rangenommen. Manche Details entbehren nicht einer gewissen Heiterkeit, die den Nazis Entkommenen boten den Briten ihre Mitarbeit an, die Verantwortlichen wussten nur nicht, wie man das am besten realisieren sollte. So fegte der damals schon prominente Arthur Koestler den Boden des Offizierskasinos.

 

Manchmal gingen verschiedene In-stanzen etwas ruppig mit dem erfolgsverwöhnten Koestler um. Gerhard Zwerenz saß in den 1966er Jahren mit dem Autor des Romans »Die Sonnenfinsternis« im erlauchten Hotel »Bayerischer Hof« zum Interview am Swimmingpool hoch über Münchens Dächern, als ein aufgeregter Angestellter die beiden Herren zum sofortigen Verlassen des Raumes aufforderte. Gerhard suchte zu vermitteln und verwies auf Koestlers Ruf. Darauf die Antwort: »Was kümmert mich Ihr weltberühmter Schriftsteller, wenn die eben hier im Haus eingecheckten Beatles schwimmen wollen.« Wobei die vier Pilzköpfe ja nichts weniger als Dummköpfe waren. Vielleicht hätten sie sogar mit dem inzwischen in London lebenden Koestler ein paar Worte wechseln mögen.

 

Wechseln muss ich die Perspektive, obwohl es den drei Interviewten nicht an Humor fehlt – Sie sind mit dem Leben davongekommen, das dennoch von Tragik umdüstert war. Deutlich wird das im Gespräch mit Fritz Beer. Rollmann-Frage: »Wie stehen Sie heutzutage zu den Deutschen?« – »Es ist schwierig, darüber zu reden – weil es etwas anspricht, was nicht bewältigt werden kann. Ich habe 27 Mitglieder meiner Familie im Holocaust verloren. Und ich habe es vom ersten Augenblick an für meine Aufgabe gehalten, für die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen einzutreten. Es gibt keinen anderen Ausweg, als dass die Menschen. die davon betroffen waren, zur Überwindung des Hasses beitragen.« So artikuliert sich ein Humanist. Auch er, wie die beiden anderen Gesprächsteilnehmer, leider schon verstorben. Es ist ihnen so erspart geblieben, vom gerade wieder aufflammenden Antisemitismus der zahlreichen Hirnamputierten auf unseren Straßen zu erfahren.                  

 

Ingrid Zwerenz

 

europäische ideen, Heft 158: »Londoner Gespräche – Freimut Schwarz, Fritz Beer, Peter Wayne. Aufgezeichnet von Niko Rollmann«, hrsg.: Andreas W. Mytze, 2020, 36 Seiten, 5 €, Bestellung über: awmytze@hotmail.com

 

 

 

Abschied von Brigitte Rothert

Ende November starb die letzte Verwandte Kurt Tucholskys, seine Großcousine Brigitte Rothert, in ihrer Heimatstadt Dresden im Alter von 92 Jahren. Mit ihr verlieren die Freunde und Bewunderer des vielseitigen und kreativen Autors und Humanisten eine profunde Kennerin seiner Lebensumstände und seines Werkes. Brigitte Rothert war Patin der Mindener Tucholsky-Gesamtschule und unterstützte die Namensgebung der Kurt-Tucholsky-Schule in der Berliner Neumannstraße. Nicht nur für Lehrer und für Generationen von Schülern war sie eine feste und zuverlässige Größe, sie förderte auch die Traditionspflege auf Bühnen und im Rheinsberger Literaturmuseum und hielt sich nicht mit Kritik zurück, wenn ihr eine Bewertung zu einseitig oder verfehlt erschien.

 

Als wir Brigitte im Jahre 1993 kennenlernten, verdankten wir das einem puren Zufall. Tucholsky stand schon lange im Mittelpunkt unseres Interesses, und als Pädagogen hatten wir uns darum bemüht, der Enge seiner Behandlung in den DDR-Lehrplänen – in den Curricula der BRD sah es nicht besser aus – durch Aktivitäten außerhalb des Unterrichts gegenzusteuern. Dem dienten Zusammenstellungen von Kurt-Tucholsky-Texten für Aufführungen in Berliner Schulen, im »Theater im 12. Stock« des Berliner Lehrerensembles und in Kultureinrichtungen unterschiedlichster Couleur. Nach einem Auftritt in einem Seniorenklub in Berlin-Prenzlauer Berg verblüffte uns eine ältere Besucherin mit der gesächselt dahingesprochenen Bemerkung: »Was Sie da gerade über Tucholskys Verwandtschaft gesungen haben, kann ich Ihnen nur bestätigen: Ich bin die Verwandtschaft – ich bin seine Großcousine!« Das brachte uns ins Gespräch und war der Anfang einer bis in die jüngsten Tage reichenden Freundschaft.

 

Brigitte Jährig, 1928 geboren, verbrachte ihre Kinder- und Jugendjahre während der Nazi- und Kriegszeit in Dresden und im politischen Familienzwist. Als Tochter einer Jüdin galt sie nach den Rassegesetzen der Nazis als »Mischling ersten Grades« und wurde von ihrem der NSDAP angehörigen Vater verleugnet, der den Stolz auf seine aus der zweiten Ehe hervorgegangenen »unbelasteten« Kinder gern hervorkehrte. Die Situation führte zu einer Not-Unterbringung in einem »Judenhaus«, aber auch zur Nachbarschaft und zur Freundschaft mit der dort ebenfalls einquartierten Familie Victor Klemperers.

 

Überhaupt war Brigitte durch eine Art Hassliebe mit ihrer Heimatstadt Dresden verbunden. Sie liebte das Flair der Kunstmetropole und den sich durch das Tal dahinschlängelnden Fluss, musste aber auch mit den Umständen leben, die ihr der Krieg beschert hatte. Der Bombenangriff vom Februar 1945, der Dresden fast völlig auslöschte, verhinderte ihren und ihrer Mutter bereits verfügten Abtransport in ein Lager und rettete beider Leben. In ihrem 2007 erschienenen Buch »Tucholskys Großcousine erinnert sich« setzte sie sich damit und mit dem weiteren Verlauf ihres Lebens auseinander.

 

Nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nahm Brigitte ein Pädagogikstudium auf und arbeitete als Russischlehrerin in Dresden und in Berlin. Und sie entwickelte den Ehrgeiz, sich mit dem Schaffen und den Lebensumständen ihres Großcousins Kurt genauer vertraut zu machen und zur Bewahrung und Popularisierung seines Werkes beizutragen.

 

Brigitte, die ihrem Großcousin auf Grund seiner schwedischen Emigration nie persönlich begegnet war, aber Mutter Doris Tucholsky noch in den Kriegsjahren bei Besuchen in Berlin kennengelernt hatte, pflegte die Verbindung zu Kurts später in Berlin lebender Schwester. Sie unterhielt den Kontakt zu den Tucholsky-Biographen Helga Bemmann, Klaus-Peter Schulz, Fritz J. Raddatz, Gerhard Zwerenz und Michael Hepp sowie zu Autoren, die sich zu speziellen Lebensabschnitten und Schaffensetappen Tucholskys geäußert hatten.

 

Es ist Brigitte hoch anzurechnen, dass und wie sie sich nach der Wendezeit für die in Berlin bestehenden Tucholsky-Büchereien in Charlottenburg und am Luxemburgplatz in Berlin-Mitte einsetzte (siehe Ossietzky 4/2012, 2/2018).

 

Es wäre Brigitte Rothert gegenüber unfair, eine Episode zu verschweigen, die mit der langjährig bestehenden »Tucholsky-Restauration« in der Torstraße in Berlin-Mitte verbunden ist. Dort hatte sich in einem Neubau am ehemaligen Standort einer Tankstelle eine Gaststätte etabliert, die – wahrscheinlich wegen ihrer Gegenüber-Lage zur Einmündung der Tucholskystraße – vom Inhaber mit dem Namen des Schriftstellers veredelt worden war. Der Zufall führte Brigitte in diese Gegend, und erfreut und erwartungsvoll ließ sie sich »auf einen Kaffee« nieder und mit dem Wirt in ein Gespräch ein. Nachdem sie festgestellt hatte, dass der Inhaber keinen blassen Schimmer vom Namensgeber seiner Restauration hatte, protestierte sie beim Bürgermeister von Berlin-Mitte und erreichte, dass Tucholskys Name nicht mehr als Firmenschild verwendet werden durfte. Nachdem sich mit Lutz Keller ein neuer Betreiber für das Etablissement gefunden hatte, mischte sie sich in die Neugestaltung der Gaststätte ein, die zu einem Mini-Museum mutierte und sich zum Treffpunkt von Tucholsky-Freunden entwickelte, bevor die Restauration wegen der Erkrankung des Pächters aufgegeben werden musste.

 

Die letzte persönliche Begegnung mit Brigitte Rothert hatten wir 2016, als sich die Jahrestagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft in Dresden mit dem Leben und Wirken Erich Kästners beschäftigte. Sie bestritt einen der Tagesordnungspunkte, erklärte den Teilnehmern die Dresdener Wohnstätten Kästners und führte sie am »Weißen Hirsch« zu dem Gebäude, in dem Kurt Tucholsky einst eine Kur absolviert hatte.

 

Brigitte wird mit dem Leben und Wirken Kurt Tucholskys sowie mit der Interpretation seiner Auffassungen für unsere Zeit eng verbunden bleiben. In diesem Kontext ist auch ihre Stellung zur Weltbühne hervorzuheben, deren Inhalt von zahlreichen Beiträgen ihres Großcousins geprägt wurde.

 

Möge sie sich so verhalten, wie es ihr Großcousin Kurt einst seiner Frau Mary prophezeit hatte: »Wenn tot, werde ich mich melden.« 

 

Marlis und Wolfgang Helfritsch

 

 

 

Hilferuf aus Katerini

Die Bürgerinitiative »O Topos Mou« (Mein Ort) aus der nordgriechischen Stadt Katerini (siehe Ossietzky 5/16 und 2/17) sendet einen Hilferuf: Wegen der Covid-19-Pandemie darf in diesem Jahr der von ihr organisierte solidarische Weihnachtsmarkt nicht stattfinden. Der Ausfall des beliebten Wintervergnügens hat soziale Folgen. Denn als »Eintrittsgeld« in das Marktgelände mit Holzbuden, Glühweinständen, Tanz, Theater, Gesang und Kinderspielen musste jeder Besucher – es kamen in den vergangenen Jahren immer mehrere Tausend – zwei Kilo haltbare Lebensmittel wie Reis, Kartoffeln, Mehl, Linsen oder Zwiebeln mitbringen. So kamen in den Vorjahren regelmäßig zehn bis 15 Tonnen an Grundnahrungsmitteln zusammen, mit denen »O Topos Mou« mehrere hundert verarmte griechische Familien und in Katerini gestrandete Flüchtlinge monatelang versorgen konnte. Die arbeiteten als Gegenleistung stundenweise ehrenamtlich im »Kapnikos Stathmos« mit, dem sozialen Zentrum der Initiative, in dem diese unter anderem eine soziale Apotheke, die Lebensmittelausgabe, eine medizinische Ambulanz und eine Bibliothek betreibt. Der Weihnachtsmarkt wurde von örtlichen Händlern und Bauern mit Gebäck, Orangen, Wein, Süßigkeiten und anderen Spenden bestückt.

 

Dieses Jahr ist in der Stadt am Fuße des Olymps das soziale Elend noch größer geworden, als es wegen der verheerenden Troika-Politik schon gewachsen war. Da wegen Covid-19 85 Prozent der Hotels an der olympischen Riviera während der Hauptsaison geschlossen blieben, ist die Zahl der Erwerbslosen in die Höhe geschnellt, und viele Menschen haben im Sommer keine Rücklagen für den Winter ansparen können. »O Topos Mou« ist deshalb dabei, in einer alten Lagerhalle eine Suppenküche einzurichten mit dem Ziel, dort Bedürftigen einmal am Tag eine warme Mahlzeit anzubieten (mehr Infos unter https://kikaf.spt20.de). Spenden bitte überweisen an: Kapnikos Stathmos Katerinis, IBAN GR71 0172 2550 0052 5510 1380 536, BIC: PIRBGRAA, Piraeus Bank S. A.       

 

Rainer Butenschön

 

 

 

Die Welt retten

 

Sie fingen an die Welt zu verstehen

standen auf um die Erde zu retten

hatten Angst ihre Zukunft zu verlieren

wollten auf der Erde weiterleben.

 

 

Die anderen hörten ihnen zu

versprachen ihnen die Welt zu retten

sie hielten große Reden

machten viele Pläne.

 

 

Sie stellten Forderungen

verlangten von anderen

sprachen von dem großen Wurf

sie hatten immer neue Ideen.

 

 

Sie baten aber um die Beachtung

die Wirtschaft darf nicht gefährdet werden

Arbeitsplätze müssen erhalten bleiben

es muss alles bezahlbar sein.

 

 

Sie versprachen die Welt zu retten

diskutierten darüber

wägten alles ab

und blieben beim Alten.

Bernhard Büscher

 

 

 

Dies und das Vollwaschmittel

Das »Vollwaschmittel für alle Waschverfahren« produzierte der VEB Waschmittelwerk Genthin unter dem Namen »Spee«. Eingefüllt waren 230 Gramm Waschpulver für 1,20 Mark in einen simplen farbigen Pappkarton. Eine abgebildete schöne junge Frau lächelte freundlich strahlend den blauen Schriftzug an. Der leere Karton kam zum gesammelten Altpapier, das beim Rumpelmännchen abgegeben werden konnte. So kamen Pfennige in die Klassenkasse.

 

Das Werk in Genthin ist nicht mehr volkseigen. Es ist jetzt ein Zweigwerk im Henkel-Konzern. Den »Spee«-Schriftzug gibt es noch. Das schöne Lächeln der Frau ist verschwunden, ebenso der zweckmäßige Pappkarton. Vor kurzem fanden wir ein limitiertes Testangebot im Regal eines Marktes. Auf einem Plastikbehältnis verkündet ein mit »Caps« jonglierendes fideles Füchslein: »Die schlaue Art zu waschen!« Und schon beginnt die Produktinformation zu hämmern: »Spee Aktiv Duo Caps / Multi Aktiv + / Frische-Kick + / ENTFERNT GERÜCHE / 20°-95° Vollwaschmittel / Qualität zum kleinen Preis«. Das sind Versprechen! Auf der Rückseite der Packung wird mit Schrift und Zeichen der Kinder-Schutz-Verschluss erklärt, was lobenswert ist, weil dringend erforderlich, denn: »Waschmittel Achtung: Verursacht Hautreizungen. Verursacht schwere Augenreizung. Schädlich für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung. Darf nicht in die Hände von Kindern gelangen [...]« Sodann folgen Hinweise zur Ersten Hilfe: »BEI BERÜHRUNG MIT DER HAUT: Mit viel Wasser waschen. BEI KONTAKT MIT DEN AUGEN: Einige Minuten lang behutsam mit Wasser spülen. Eventuell vorhandene Kontaktlinsen nach Möglichkeit entfernen […]. BEI VERSCHLUCKEN: Mund spülen. KEIN Erbrechen herbeiführen. Sofort GIFTINFORMATIONSZENTRUM/Arzt anrufen […].« Die Caps [engl.: Mütze, Kappe] dürfen wir nur »mit trockenen Händen verwenden; nicht einstechen, aufreißen oder zerschneiden«. In andere Behälter darf das Zeug, was nach allen Hinweisen eher ein Gift zu sein scheint, auch nicht umgefüllt werden. Nach den vielen Warnungen wird es am Ende persönlich: »Mit den Spee Aktiv Duo-Caps Frische-Kick war Waschen noch nie so einfach. Genieße den extra Frische-Kick für deine weiße und helle Wäsche zum kleinen Preis« [sic!] Die Plastikverpackung darf »gemäß nationalen Vorschriften der Entsorgung« zugeführt, also illegal irgendwo im Meer verklappt werden. Wie sich »Spee« doch verändert hat! So gefährlich und giftig der Inhalt der Caps zu sein scheint, vermisste ich allerdings den Hinweis auf ein Exportverbot nach Putins Russland.       

 

Gerhard Hoffmann

 

 

 

Gesang der Neophyten

Haben wir es mit im Erwachsenenalter Getauften zu tun? Oder – mit des Wortes häufigerer Verwendung – den früher im Lande nicht heimischen Pflanzen? Da man beim Lesen auf Bekanntes stößt, sich öfter an des Verfassers hoch zu lobenden Band »An der Schwelle des Harzes« erinnert fühlt, können die Adventivpflanzen wohl nicht gemeint sein.

 

In zwei Sonettenkränzen, »Neophyten« und »Requiem«, erlebt man einen form- und sprachbewussten Dichter, der es schafft, seine Weltsicht als gültig zu präsentieren. Im ersten wirkt manches fast schon zu glatt gehobelt, wenn etwa »der regen verzählt«, damit es lauten kann: »wir haben zu viele worte geschält«. Das »Requiem« geht tiefer, Verse bleiben haften und klingen nach, weil sie meisterlich geformt sind. Etwa die Terzinen des Sonetts XV: »da, wo der dreizack jedes netz zerriss, / setzt sich der styxschlamm in den fugen fest, / kein regen gibt zurück, was je verschwand. hast du das meer gesehn, kennst du die finsternis, / im traum, der dich nicht schlafen lässt. / das meer, es liest den toten aus der hand.«

 

Sympathisch ist, dass der hohe Ton, die oft benutzten Bezüge auf antike Mythologie nebst Verhandlung »letzter Dinge«, mehrfach auf Konterminen stößt, wie etwa in »Old School«, wo »die erste fluppe« mit zwölf geraucht wird, wo magenschonenden Kaffee trinkende Lehrer »mit fragenden gesichtern« stehen, gesteigert noch in »Klassen, Treffen«. Hier wird das allbekannte Gequatsche solcher Veranstaltungen in ein flott gereimtes Gedicht gegossen, verdutzt hält man inne, wie trefflich sich »schlappgelacht« auf »umgebracht« reimt.

 

Neophyten lenken den Blick auf sich, seien es Pflanzen oder Erwachsene, die sich der Taufe unterziehen. Ein Gedichteschreiber als Botaniker oder als Täufer? Auf jeden Fall sollte in Gedichten etwas Neues auftauchen in der gewohnten Welt und im Alltag des Lesers. Das gelingt vielen, nicht allen Gedichten des Bandes. Doch vermögen sie uns sämtlich daran zu erinnern, wie widersprüchlich-herrlich unser Leben ist und dass es gut ist, es zu haben.

Der letzte Text des Buches spricht davon, dass die letzten Seiten noch immer leer seien. Mit dem Lesen oder Sprechen der davor stehenden Gedichte kann man sie füllen …                   

 

Albrecht Franke

 

 

Thomas Rackwitz: »neophyten«, Gedichte, Mitteldeutscher Verlag, 84 Seiten, 12 €

 

 

 

Verdächtige Weihnachtsbäckerei

Dieses Jahr gönnt uns anscheinend niemand das Weihnachtsfest. Nicht nur Corona macht uns einen gewaltigen Strich durch die Festtagsstimmung, jetzt tauchen auch wieder Meldungen über erhöhte Acrylamid-Werte in Lebkuchen, Spekulatius und anderen Festtagssüßigkeiten auf.

 

Wissenschaftler haben den krebserregenden Stoff schon vor einigen Jahren in diversen Leckereien entdeckt; seitdem werden wir jedes Jahr damit konfrontiert, und das ausgerechnet zur Adventszeit, um uns die vorweihnachtliche Stimmung gründlich zu vermiesen. Wo eigentlich Besinnlichkeit und Gemütlichkeit gefragt sind, lauert plötzlich überall das heimtückische Gift. Und dann noch Salmonellen in den Eiern oder verschimmelte Walnusskerne, igittigitt! Das bekannte Kinderlied »In der Weihnachtsbäckerei / Gibt es manche Leckerei« bleibt uns quasi im Halse stecken angesichts der täglichen Meldungen über hohe Acryl-amid-Konzentrationen in Keksen und im vielgeliebten Weihnachtsgebäck, aber auch Pommes frites, Kartoffelchips, Cornflakes oder Brot sind betroffen und daher keine Alternative. Je knuspriger, je krosser, desto gefährlicher. Ja selbst die Tasse Bohnenkaffee zum Stückchen Stolle missgönnt man uns, denn auch in der gebrannten Kaffeebohne wurde das Gift nachgewiesen.

 

Eine grausige Vorstellung: Omas Weihnachtsplätzchen verursachen Erbgutschäden. Was können wir überhaupt noch vom bunten Teller verzehren? Die Ernährungsexperten raten uns: Günstiger als kleine Kekse sind großvolumige Gebäckstücke, denn sie enthalten weniger Acrylamid. Also Oma, bitte nur noch Dreipfund-Plätzchen und Makronen von der Größe eines Kürbisses. Wie wir anschließend das Übergewicht wieder loswerden, das werden uns die Experten dann schon sagen. Ich frage mich nur: Wann werden wir wieder einmal gemütliche, ja gefahrlose Weihnachten unterm geschmückten Tannenbaum erleben?

 

Ekkehard Arnim

 

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Nach den jahrzehntelangen Tragödien um die BER-Eröffnung ist es für mich kaum fassbar, dass die U-Bahnlinie 5 am »Tage der Heiligen Barbara«, der Fachfrau für Wühlmäuse, ihren Betrieb nachhaltig aufgenommen hat. Seit dem 4. Dezember mündet sie in die Stummelbahn zum Hauptbahnhof und erleichtert so der Kanzlerin ihren Dienstweg, der sich nach der Inbetriebnahme des bereits festlich beleuchteten Bahnhofs »Museumsinsel« im kommenden Sommer noch weiter verkürzen wird. Ich finde es auch gut getimet, dass die Premiere unmittelbar vor dem Nikolaustag über die Weichen ging, man muss die bauverstörten Berliner auch mal belohnen. Dass unser Regierender bei der Einweihung klammheimlich noch eine lockere Schraube beiseite geräumt hat, kennzeichnet nur seine Umsicht. Jetzt können wir uns entspannt auf den Erlöser und den erlösenden Corona-Impfstoff freuen! Advent – beides wird kommen! Darauf einen Glühwein to go! Mit Abstand und Maske, versteht sich! Apropos Corona: Nicht einmal die Pandemie konnte verhindern, dass Eva Kreienkamp, die neue Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe, mit diesem »Wunder von Berlin« in ihre neue Funktion starten durfte. Herzlichen Glückwunsch und hohe Nachhaltigkeit! – Kalle Krawutschke (74), ehrenamtlicher BVG-Veteran, 13059 Berlin-Wartenberg

 

Wolfgang Helfritsch

 

 

 

Winter Is Coming

Der Kalender steuert auf den kürzesten Tag des Jahres zu, auf den 21. Dezember. Wintersonnenwende. Die Sonne steht an ihrem tiefsten Punkt für die Nordhalbkugel und damit die wenigsten Stunden über dem Horizont. Das längste Dunkel naht. Winteranfang.

 

 

Winter Is Coming.

 

 

Ein inzwischen legendärer Spruch, den alle kennen, die »Das Lied von Eis und Feuer«, so der deutsche Titel, des US-amerikanischen Schriftstellers George R. R. Martin, gelesen oder die Fantasy-Serie »Game of Thrones« (GoT) des US-amerikanischen Kabelsenders HBO gesehen haben. Es ist der wohl bekannteste Haus-Spruch aller Adelsgeschlechter in GoT, das Motto des Hauses Stark. In der Bedeutung der Worte sind sich die Interpreten weitgehend einig: »Man muss immer auf der Hut sein, immer wachsam, darf sich niemals zurücklehnen und sollte sich darüber bewusst sein, was kommen kann. Man sollte immer vorsichtig sein, alle Möglichkeiten im Blick haben und sich nicht betrügen lassen.« (Zitat aus dem Online-Magazin GIGA)

 

 

Winter Is Coming.

 

 

Bei der FAZ klingt das so: »Der Winter der Pandemie kommt erst noch.« (Kommentar Jürg Altweg, 28. Oktober)

 

Joe Biden, der künftige Präsident der USA, weiterhin verwickelt in das GoT mit seinem Vorgänger, prophezeite am 9. November laut Agenturmeldungen: »Uns steht immer noch ein sehr dunkler Winter bevor.«

 

Und Kanzlerin Angela Merkel orakelte am 29. Oktober: »Der Winter wird schwer, vier lange schwere Monate. Aber er wird enden.«

 

Ob es dann, wenn er endet, gut wird? Für Deutschland? Für ihre Partei, die tief verstrickt ist im eigenen Game of Thrones, im Diadochenkampf um Parteivorsitz- und Kanzlerkandidatur? Die Zeiten sind durcheinander, auch die Jahreszeiten: Vielleicht folgt gar auf den Dezember schon der Merz?

 

 

Winter Is Coming.

 

 

Man muss immer auf der Hut sein.

 

Klaus Nilius