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Wir, die Beherrscher Europas  (Otto Köhler)

Wir schreiben das Jahr 1 der Bundesrepublik Deutschland: »Großdeutschland und Mitteleuropa um das Jahr 1950« heißt ein behutsam ausgedachter Plan, der schon 55 Jahre vorher ausgearbeitet wurde, ich zitiere: »Großdeutschland besteht demnach aus einem großdeutschen Bunde und einem großdeutschen Zollverein. Der großdeutsche Bund wird gebildet aus 1. dem jetzigen kleindeutschen Kaiserreich einschließlich Luxemburg, 2. den Niederlanden (Holland und Belgien), 3. der deutschen Schweizer Eidgenossenschaft, 4. dem österreichischen Kaiserreich. Der großdeutsche Zollverein wird gebildet aus 1. dem großdeutschen Bunde, 2. den baltischen Fürstentümern, 3. dem Königreich Polen, 4. dem Königreich Ruthenien, 5. dem Königreich Rumänien, 6. dem Königreich Großserbien.«

Da gab es manche freundliche – Österreich sollte den Hafen von Saloniki erwerben und zum Freihafen machen –, aber auch um so nachdrücklichere Ratschläge an die betroffenen Völker: »Wenn unsere niederländischen Volksgenossen in Holland erst ihre fast kindliche Furcht vor einer ›Annexion durch die Preußen‹ abgelegt haben, werden sie begreifen, daß der Anschluß der Niederlande an ein Großdeutschland im beiderseitigen Vorteil liegt.«

Der Alldeutsche Verband, dieses Sprachrohr und dieser Thinktank der deutschen Industriellen, hatte schon 1895 für das Jahr 1950 diesen sorgfältigen Plan erarbeitet. Mitgegründet hatte den Alldeutschen Verband 1890 der junge Alfred Hugenberg, geboren sechs Jahre vor dem aus Krieg und Korruption (sechs Millionen Gulden schmierten Bayerns König Ludwig II.) im besetzten Versailles zur Welt gekommenen Deutschland – Deutsches Reich hieß es damals. Hugen-berg, der baldige Krupp-Direktor und Medienmagnat der Weimarer Republik – die UFA war ebenso sein Werk wie Adolf Hitler, als dessen Steigbügelhalter er 1933 berühmt wurde. Hugenberg erlebte noch Bundeskanzler Adenauer, bevor er sich – »Gott mit uns!« – 1951, ein Jahr nach seinem großen Planzielpunkt, zu unserem höchsten Verbündeten abmeldete. Vom noch nicht existierenden Deutschland bis zur Bundesrepublik hat er fast alles mitgestaltend erlebt. Von Bismarck, dem »Zwingherrn zur Deutschheit«, bis hin zu Adenauer, dem großen Europäer.

Doch schon 1871 gab es die große europäische Tat. Das frischgeschaffene Deutschland hatte sich ohne Verzug auf den richtigen Klassenstandpunkt begeben. Es spannte den Rettungsschirm über die französische Bourgeoisie auf und sorgte für ein Blutbad. Der französischen Regierung, gerade noch Todfeind, lieferte Deutschland Waffen und Munition, ja es ließ Kriegsgefangene frei, damit diese im von den Deutschen eingeschlossenen Paris die Kommune abschlachteten: 30.000 Menschen verloren dank dieser ersten deutsch-französischen Verständigung ihr Leben. Später forderte Wilhelm II. ein Blutbad gegen die Roten, und die Sozialdemokraten dankten es ihm, indem sie willig 1914 in den Krieg zogen.

Schließlich hatten die Alldeutschen schon lange »Ellenbogenraum« angemahnt, selbst wenn darüber »solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slowenen und Slowaken, die das Nationalitätsprinzip anrufen, ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten«. Und die Griechen, nein das ist schon wieder Gegenwart, zuallererst.

Christfest 2011. Ulf Poschardt, Vizechef der Tageszeitung Die Welt, verkündet allen ehrlichen Deutschen die frohe Botschaft: »2011 hat Deutschland in Europa die Führung übernommen, und kaum jemanden erschreckt das.« Denn: »Die sachliche Art, mit der Angela Merkel die Führung Europas angegangen ist, läßt keinen Raum für chauvinistische Überheblichkeiten.« Aber: Der »fehlende Respekt der Deutschen für Merkels Taten« macht dem Welt-Vize schwere Sorgen. »Kanzlerin Angela Merkel ringt momentan Tag und Nacht um die Rettung unseres Wohlstands. In Deutschland wird das nicht gesehen, geschweige denn wertgeschätzt.« Poschardt: »Es hat sich ein raunziger Ton eingeschlichen in die Kritik an Angela Merkel und ihrer Regierung, der etwas Anmaßendes hat.«

Richtig: Die Regierung Merkel verschweigt nicht länger, daß das, was »unsere« Soldatinnen und Soldaten in aller Welt machen, Krieg sein könnte. Bundeskanzler Schröder, der damit angefangen hatte, sagte noch: »Wir führen keinen Krieg.« Diese strenge Sichtweise hat sich inzwischen gelockert, aber man muß sie verstehen. Noch lange nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit gab es eine weitverbreitete Tabuisierung des Krieges, wie wir sie so aus der deutschen Geschichte nicht kennen. Michael Stürmer, diplomatischer Korrespondent der Welt und ein sehr verläßlicher Historiker, weiß, daß in einem »geschichtslosen« Land die Zukunft gewinnt, wer »die Erinnerung füllt, Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet«. Er hat zu dieser Tabuisierung des Krieges viel beigetragen. Ausgerechnet er, der heute durchaus Präsident des Alldeutschen Verbandes sein könnte, wenn es den als Organisation noch gäbe, hat vor 22 Jahren zu einem programmatischen Termin eine programmatische Rede gehalten. Es war der 28. September 1990 – fünf Tage später wurde Deutschland wiedergeboren.

Michael Stürmer sprach an diesem Tag – ich war dabei – im Westberliner Interconti auf der Festveranstaltung zum 100jährigen Geburtstag des Gesamtverbands der Metallindustriellen Arbeitgeberverbände (Gesamtmetall). Doch der Historiker wußte natürlich: Dies ist nicht der Geburtstag von Gesamtmetall – der war schon am 19. März 1890 gewesen. Dieser 28. September 1990 war vielmehr der 100. Geburtstag des von den Metallindustriellen gegründeten und finanzierten Alldeutschen Verbandes, auf den die meisten der gründlich durchdachten Expansionspläne für Deutschland zurückgehen. Das durfte fünf Tage vor dem Einheitsvollzug nicht laut gesagt werden. Und so meldete Stürmer – als Lehre von 100 Jahren Gesamtmetall – den heute eingelösten Anspruch an: »Als Händler und Manager, Unternehmer und Bankiers durften die Deutschen in der Tat die Vorherrschaft in Europa anstreben.« Mit einer Kautel: »Aber als Helden hätten sie es besser unterlassen.«

Das mußte Stürmer damals so sagen. Er war langjähriger Berater von Helmut Kohl, dem Kanzler der Einheit. Kriegerische Töne durfte sich Deutschland in der delikaten Situation von 1989/90 nicht leisten. Heute ist das anders.

Am 10. Dezember 2011 schreibt Stürmer – »Krise und Krieg« – in der Welt den Leitartikel: »Das größte Potential für Krieg liegt gegenwärtig in der iranischen Atomrüstung.« Er sagt nicht Gefahr. Er sagt Potential. Er meint: Das ist entwicklungsfähig. Er mahnt: »Viel Zeit bleibt nicht.« Entweder »Präventivschlag« oder »härteste Sanktion«. Und fordert: »Bei all dem kommt Deutschland ... die Schlüsselrolle zu.« Und er ermuntert: »Um den Ernstfall zu vermeiden, muß man ihn denken. Wann, wenn nicht jetzt? Und wer, wenn nicht wir?« Ende des Kommentars. Anfang des Befehls an die Deutschen, wieder Helden zu werden. Deutschland sagt nicht mehr »humanitäre Hilfe«, »Brunnen bohren«, »Mädchenschulen bauen«. Nein, Deutschland sagt wieder Krieg, wenn es Krieg führt.

Diese falsche Scham, sich zur natürlichen Tätigkeit »unserer« Soldatinnen und Soldaten zu bekennen, diese Scham überwunden zu haben, ist das lebenslange Verdienst des darob zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler. Er hat das Tabu gebrochen und ausgesprochen, daß »militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren«, Krieg für »freie Handelswege« zum Beispiel. Und auch dem Freiherrn Karl Theodor zu Guttenberg kann keiner Feigheit vorwerfen. Vor den Leichen dreier seiner Soldaten bekannte er völlig unaufgeregt, man dürfe »umgangssprachlich von Krieg« reden. Deutschland ist in seinem Umgang mit sich selbst und mit dem Rest der Welt wieder ehrlich geworden.

Seiner Tüchtigkeit im letzten Weltkrieg verdankt Deutschland den Wohlstand, der es vor den meisten Ländern Europas auszeichnet. Gewiß, auch Deutschland hatte nach seinem Völkerringen Inflation. Aber Deutschland hat dieses Problem mit der Währungsreform in offenem und ehrlichem Klassenkampf bewältigt: Die Ersparnisse der kleinen Leute wurden vernichtet, die Produk­tionsmittel blieben in der Hand der Größeren, und jeder, ob nunmehr arm oder weniger arm, bekam 40 Deutsche Mark in die Hand gedrückt.

Das lief in den meisten Ländern Europas anders. Dort begann die Inflation früher und war weit schärfer. Sie wurde mit den deutschen Besatzungstruppen eingeführt. Der Berliner Historiker Werner Röhr (»Europa unterm Hakenkreuz«) stellte fest: »Die einseitig festgelegten Besatzungskosten bildeten in den meisten besetzten Ländern die wahrscheinlich schwerste wirtschaftliche Belastung. So zahlte Frankreich während der Okkupation insgesamt 42,544 Milliarden Reichsmark ›Besatzungskosten‹, die Niederlande 14,886 Milliarden Reichsmark und Belgien 5,576 Milliarden Reichsmark« – das waren 46 Prozent aller belgischen Staatsausgaben. Und Italien hatte nach dem Abfall von den Deutschen die im Verhältnis zu seiner volkswirtschaftlichen Leistungskraft höchsten Besatzungskosten zu zahlen. Röhr: »Die Bestimmung des Kriegsvölkerrechts, die Besatzungsmacht habe bei ihren wirtschaftlichen Ansprüchen die Leistungsfähigkeit des Landes zu berücksichtigen, wurde nicht nur für die Besatzungskosten, sondern in jeder Hinsicht ins Gegenteil verkehrt.« Es ging Großdeutschland keineswegs darum, die tatsächlichen Kosten der im Land unterhaltenen Besatzung abzudecken. Es ging darum, die Wirtschaftskraft dieser Länder zu vernichten, die Konkurrenz auszuschalten. Die Besatzungskosten und die Festlegung ungünstiger Umtauschkurse führten zur Inflation, die in Italien, Frankreich, Belgien und den meisten anderen von den Deutschen besetzten Ländern auch nach dem Krieg noch herrschte, während das besiegte Deutschland bald wieder prosperierte.

Tatsächlich gehörte Westdeutschland, das mit seiner schnellen Währungsreform die kleinen Sparer enteignete und den Besitz von Sachwerten und Produktionsmitteln unangetastet ließ, wirtschaftlich zu den Gewinnern des Zweiten Weltkriegs. Die Sachwerte und Produktionsmittel waren zuvor aus ganz Europa zusammengeplündert worden. Der deutsche Wohlstand nach 1945 und Ludwig Erhards vermeintliches Wirtschaftswunder beruhen auf dem durch den deutschen Angriffskrieg verlorenen Wohlstand der Völker Europas.

»In Europa wird wieder Deutsch gesprochen.« Das ist die deutliche Ansage des CDU-Fraktionschefs Volker Kauder. So deutlich sprach man früher nicht: »Wenn wir den europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, wie dies aus Gründen der wirtschaftlichen Stärkung des europäischen Kontinents als Kernraum der weißen Rasse unbedingt erforderlich ist und eintreten wird, so dürfen wir aus verständlichen Gründen diese nicht als eine deutsche Großraumwirtschaft öffentlich deklarieren. Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst.« Solche Rücksichtnahme auf fremde Empfindlichkeit, wie sie hier noch 1940 der Lübecker Chemieindustrielle und außenpolitische Amtsleiter der NSDAP-Reichsleitung Werner Daitz zeigte, hatte Kohl-Berater Michael Stürmer am 100. Geburtstag der Alldeutschen nicht mehr nötig, als er öffentlich deklarierte: »Deutschland wird, seit dem 9. November 1989 noch verstärkt durch staatliche Wiedervereinigung, Konsortialführer der europäischen industriellen Demokratien.« Anstößig an Stürmers Redeweise ist allerdings der unbedachte Gebrauch der Vokabel »Demokratie«, zumal dieses Wort aus dem Griechischen kommt. So etwas sagt man nicht. Und denkt es schon gar nicht. Erinnern wir uns nur an die Empörung, die der damalige griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou mit seiner plötzlichen Idee einer Volksabstimmung in ganz Berlin hervorrief. »Will uns der Griechen-Premier verarschen?« fragte Bild. Papandreou zog unter dem Druck von Merkozy sein Ansinnen sofort zurück und sich selbst aus dem Verkehr seriöser Staatsmänner.

Entscheidungsberechtigt sind in Deutschland die Großbanken. Nicht den Millionen Bürgern Europas steht die Herrschaft über ihren Kontinent zu, sondern den Milliarden der Banken. Angela Merkel hat das sehr sinnfällig zum Ausdruck gebracht, indem sie ihr Bundeskanzleramt als Partystätte dem Deutschbankier Josef Ackermann für seine Geburtstagsfeier überließ.

Die deutsche Europaidee, von den Alldeutschen im vorletzten Jahrhundert zur Welt gebracht, ist modern, in unserer Zeit wiedergeboren.

Im führenden Nazi-Traditionsverlag Druffel und Vowinckel erschien 2011 die grundlegende Schrift des zeitweise an der Münchner Universität tätigen Gelehrten Werner Post: »Hitlers Europa – Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft«. Es war, so unterstreicht dieses Werk, eine der vordringlichsten Aufgaben der deutschen Politik nach den Blitzsiegen der Jahre 1939 und 1940, zusammen mit den verbündeten Staaten in Europa Konzepte für eine »europäische Großraumwirtschaft« zu entwickeln.

1942 brachte Reichswirtschaftsminister Walther Funk, der bedeutende Antisemit und IG-Farben-Vertrauensmann, bei Haude und Spener in Berlin sein grundlegendes Werk über die »Europäische Wirtschaftsgemeinschaft« heraus, er forderte die Abschaffung der Zollgrenzen, die Verwirklichung einer einheitlichen Währung und das Prinzip der internationalen Arbeitsteilung.

Die Idee einer europäischen Integration, die mit den Römischen Verträgen und der EWG von 1957 Wirklichkeit wurde, baute tatsächlich zu großen Teilen auf Plänen und Überlegungen auf, die das Auswärtige Amt unter Joachim v. Ribbentrop ausgearbeitet hatte. Viele der Mitarbeiter in den Reichsministerien arbeiteten nach dem Krieg wieder in ihren Aufgabengebieten, die Kontinuität blieb gewahrt.

Und wer auch heute für ein machtvolles, also deutsches Europa ist, der fühle sich bestärkt durch einen der führenden Bellizisten des Kontinents, Daniel Cohn-Bendit, der am 3. Oktober 2012 (»Tag der deutschen Einheit«) seine Kampfschrift »Für Europa!« vorstellte (s. Ossietzky 22/12). Er fordert darin ein starkes Europa gegen die übrige Welt. Und das bedeutet: »Nur eine europäische Armee, die mobil und technologisch auf dem neuesten Stand ist, kann in Zukunft unsere Werte und unsere Unabhängigkeit verteidigen « und – wie in unserem letzten von ihm glühend befürworteten Krieg gegen Jugoslawien – vermag es, in die Offensive zu gehen, um die Menschenrechte und die Freiheit zu »verbreiten«.

Die Offensive wird zur Zeit auch an der türkisch-syrischen Grenze vorbereitet. Der deutsche Kriegsminister Thomas de Maizière hatte Tag für Tag solange erklärt, daß die türkische Regierung in Kürze, aber ganz bestimmt schon morgen, um Hilfe der Bundeswehr bitten werde, bis dem NATO-Partner nun wirklich nichts anderes mehr übrig blieb.

Die Stationierung deutscher Patriot-Raketen zusammen mit erst einmal 400 Bundeswehr-Soldaten bietet nicht nur die Möglichkeit, die deutscherseits schon fest angekündigten syrischen Giftgas-Granaten abzuschießen und so ihren Inhalt weit über das Land zu verstreuen. Diese günstige Plazierung deutscher Patriots schafft auch eine exzellente Möglichkeit, das benachbarte Griechenland wieder einmal – wie schon 1940 – gegen Aufstände seiner Eingeborenen zu verteidigen, die sich der Errichtung jenes europäischen, sprich deutschen, Protektorats widersetzen könnten, das schon lange vom einflußstarken Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut gefordert wird. Nicht nur in Europa wird wieder deutsch gesprochen.

Otto Köhler, Mitherausgeber von Ossietzky, war im letzten Halbjahrhundert für Pardon, Spiegel, Stern, Zeit, konkret und das Kritische Tagebuch des WDR tätig. Er schrieb unter anderem die Bücher »Und heute die ganze Welt« (I.G. Farben), »Unheimliche Publizisten«, »Rudolf Augstein« und »Die große Enteignung« (Treuhand). Am Sonntag, dem 6. Januar 2013, erzählt er um 7:05 Uhr (Wiederholung 19:05 Uhr) im WDR 5 aus seinem Leben.