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Titel117

Eckarts Vermächtnis  (Otto Köhler)

Ja, richtig: »Für unsere kleine Truppe gilt: Wir wollen das schreiben, was wir, hätten wir dieses Blatt nicht, anderswo lesen wollten.« Nein, falsch, wir sind keine Truppe, kein militärischer Kampfverband. Wir von Ossietzky sind eine Gruppe, die zwar kämpft, aber für Frieden und gegen das Militär. Und das zitierte Truppengelöbnis stand unter dem Titel »Augsteins Auftrag, unser Erbe« im Jubiläums-Spiegel und war ein Wort des Gründers vor 70 Jahren, das schon bald nicht mehr stimmte: Es sei denn, man war Liebhaber der Memoiren des Chefs der Gestapo und anderer Nazigrößen.

 

Wir von Ossietzky würden auch gern, was wir schreiben, in anderen Blättern sehen, doch da gibt es in den großen Medien dieses Landes – und auch der Spiegel-Verlag ist längst ein mächtiger Konzern – keinen Platz.

 

Wir sind Demokraten ohne Sturmgeschütz – Kriegsgerät rühren wir nicht an. Und da wir uns in die Tradition der Weltbühne von Carl von Ossietzky, des Landesverräters, gestellt haben, sind wir zugleich Sozialisten und Pazifisten.

 

Der Spiegel gelobte zum 70. Jahrestag am 4. Januar, »Augsteins Auftrag« – was immer das auch sein mag – zu erfüllen. Eckart Spoo, ohne den wir nun weitermachen müssen, erteilte keine Aufträge, oder um den Kommandojargon des Spiegel zu präzisieren, keine Befehle. Wir von Ossietzky halten uns an das Beispiel, das Eckart Spoo uns gab, als er in der ersten Nummer dieses Blattes vor 19 Jahren schrieb: »Wir müssen wenigstens hinsehen. Möglichst genau hinsehen. Und uns erinnern. Dazu verpflichtet uns die Tradition, für die der Name Ossietzky steht.«

 

In seinem Sinne verurteilte Eckart Spoo »das unverschämte Drängeln nach weltweiter militärischer ›Verantwortung‹« – dieses Orwell-Wort gab es damals schon, bevor dieser Bundespräsident Gauck es in den Mund nahm. Er verurteilte die »Aufmärsche gewalttätiger junger Nazis« vor allem »in Dresden« – damals jung, heute, zwanzig Jahre älter und noch gewalttätiger. Und auch daran hat sich nichts zum besseren geändert: »der immer rabiatere Umgang mit Flüchtlingen wie mit den einheimischen Armen, das Ausräubern öffentlicher Einrichtungen, das Mitmachen der SPD, die sich bemüht, alles zu bestätigen, was Tucholsky einst bitter über sie geschrieben hat«.

 

Kennengelernt haben wir uns vor 45 Jahren im Ringen um die Innere Pressefreiheit. Damals wollte die SPD sie uns bescheren, sie kapitulierte nahezu freudig vor der Macht der Medienkonzerne, die alles andere als sozialdemokratisch waren. Eckart, Münchner Korrespondent der – gerade seiner Berichte wegen – unter den 68ern im ganzen Land gelesenen Frankfurter Rundschau, hatte ein sozialdemokratisches Urgestein zum Verleger: Karl Gerold.

 

Als Spoo zum Vorsitzenden der Deutschen Journalistenunion in der Gewerkschaft Druck und Papier gewählt worden war, lud ihn Gerold vor. Seine Dreifaltigkeit als Verleger, Herausgeber und Chefredakteur war auch Verfasser der bestgemeinten Lyrik im deutschen Sprachraum. Berühmt zumindest unter FR-Kollegen war sein aufrührerisches Poem über den Umsturz aller Verhältnisse:

 

»Revolution

strömt durch das Land und ist nicht

mehr zu fassen

die alte Welt ist morsch und ihre

Stützen schwanken,

es schwankt das alte Heiligtum, das Eigentum, der Staat!«

 

Zwei Stunden lang las der Chef Eckart seine Erzeugnisse vor und wandte sich dann – zur Sache kommend – einem nahezu Ebenbürtigen zu, Bert Brecht und seinem Gedicht »An die Nachgeborenen«. Als er die letzten Zeilen (»Ach, wir die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit konnten selber nicht freundlich sein«), fügte er hinzu – und das war die Kündigung: »Ich mach‘ die Rundschau, Du machst die Gewerkschaft.« Eckart Spoo war entlassen.

 

Ich machte damals als Medienkolumnist des Spiegel aus dieser wunderschönen Lyrik des Klassenkampfes eine noch schönere Geschichte, dachte ich. Die Kolumne war schon gesetzt, da kam die Druckfahne von oben zurück in mein Spiegel-Zimmer, versehen mit Anmerkungen der Chefredaktion: ein Abdruck sei »nicht vertretbar«, weil davon auch »das Selbstverständnis der Spiegel-Redaktion tangiert« sei. Tatsächlich waren die Anführer der Redaktionsbewegungen gerade auch gekündigt worden. Die Kolumne erschien dann – ohne mein Zutun – in konkret und in Pardon: Was einmal gesetzt war und so als Fahne in der Spiegel-Dokumentation und beim Chef vom Dienst lag, war in solchen Fällen nicht mehr aufzuhalten. Ich – kein Augstein – konnte im Spiegel nicht schreiben, was ich nun anderswo lesen musste.

 

Vier Wochen später bekam auch ich meine Kündigung. Meine Kolumne war »wirtschaftsfeindlich«. Und der Spiegel hatte erstmals in seiner Geschichte Anzeigen verloren: circa 19,5 Prozent.

 

Ich zagte und ließ mich mit einer – wie ich glaubte – anständigen Summe abfinden. Eckart klagte und gewann. Gerold, der gegen die Urteile des Arbeitsgerichts immer wieder Rechtsmittel einlegte, starb schließlich. Eckart Spoo wurde als FR-Korrespondent für Niedersachsen wiedereingestellt. Er hat in dem skandalumwogten Albrecht & Schröder-Land unendlich viel aufgedeckt – weit mehr als der Spiegel. Er ließ sich frühpensionieren und gründete gleich nach dem Anschluss der DDR die Bürgerinitiative für Sozialismus und schließlich Ossietzky.

 

Seither gibt es in diesem Land eine kleine Oase der Inneren Pressefreiheit, für die Eckart sein Leben lang gekämpft hat. Wir sind keine Truppe, wir sind eine Gruppe. Rudolf Augstein hat nach Auffassung seiner Redakteure, zu denen – solange sie noch verfügbar waren – auch SS-Hauptsturmführer mit Liquidationserfahrung gehörten, einen Auftrag hinterlassen. Eckart Spoo hat uns nie einen Auftrag erteilt. Wohl hat er uns das als Vermächtnis hinterlassen, was wir schon immer selber wollten: Kampf gegen Krieg und Militär und gegen die Konzerne, die in diesem Land die Herrschaft ausüben.