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Titel1010

Diskrete Kriegsverkäufer  (Jürgen Rose)

»Der moderne Krieg«, konstatierte Kurt Tucholsky im Jahre 1925, »hat wirtschaftliche Ursachen.« Und, so der scharfzüngigste Friedensjournalist Deutschlands weiter: »Die Möglichkeit, ihn vorzubereiten und auf ein Signal Ackergräben mit Schlachtopfern zu füllen, ist nur gegeben, wenn diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt wird.« Ob die Schlapphüte bei der »Central Intelligence Agency« diesen Autor studiert haben, mag dahinstehen. Denn wie der Historiker Andreas Elter in seiner vor Jahren bei Suhrkamp publizierten aufschlußreichen Abhandlung über die »Geschichte der US-Propaganda 1917–2005« nachgewiesen hat, besitzt die Manipulation der öffentlichen Meinung jenseits des Atlantiks eine lange und bemerkenswerte Tradition. Seit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg haben sich die Regierungsbehörden dort Schritt für Schritt das wohl ausgeklügeltste Instrumentarium staatlich gesteuerter Propaganda auf diesem Planeten verschafft.

Ein schlagendes Beispiel hierfür war jüngst auf der Internet-Plattform WikiLeaks zu finden, deren Betreiber sich hingebungsvoll der Aufgabe widmen, der Öffentlichkeit Geheimdokumente aller Art zugänglich zu machen. Dort stand ein als »confidential//noforn (US)« – vertraulich und nur für US-Staatsangehörige zugänglich – klassifiziertes Memorandum zum Download bereit. Als dessen Verfasser firmierte die »CIA Red Cell«, ein Team von Geheimdienstlern, das vom CIA-Direktor nach eigenen Worten damit beauftragt ist, »über den Tellerrand zu blicken«, »zum Nachdenken anzuregen« und »alternative Sichtweisen anzubieten«.

Angesichts der desaströsen Lage, in die sich die NATO-Truppe auf dem afghanischen Kriegsschauplatz manövriert hat, erscheint ein solcher Ansatz durchaus rational. Denn die Kritik am Sterben und Töten im fernen Zentralasien greift um sich. Kaum zu verwundern daher, daß die Spin-Doktoren im US-Geheimdienst ihre Denkschrift mit dem Titel versahen: »Afghanistan: Sustaining West European Support for the NATO-led Mission – Why Counting on Apathy Might Not Be Enough«. Darum, in den Reihen der westeuropäischen Verbündeten für den Afghanistankrieg zu werben und so die Unterstützung für den NATO-Krieg am Hindukusch zu gewährleisten, geht es also, denn wozu unterlassene Werbung führen kann, zeigt der Sturz der holländischen Regierung über den Streit um den Truppenrückzug aus Afghanistan. Deshalb gilt es vor allem, mittels Geheimdienst-Propaganda für die Schlacht am Hindukusch die westeuropäische Öffentlichkeit dazu zu bringen, die für den Sommer dieses Jahres zu erwartenden steigenden Opferzahlen sowohl in den Reihen der eigenen Soldaten als auch in der afghanischen Zivilbevölkerung zu tolerieren. Dafür bedarf es eines maßgeschneiderten »Strategischen Kommunikationsprogramms« für die truppenstellenden NATO-Staaten. Als dessen Hauptadressaten nennen die US-Geheimdienstler die Kriegsgegner in Frankreich und hierzulande. Ebenso professionell wie perfide setzen die Propagandaexperten an den jeweiligen gesellschaftstypischen Diskursen an. Dreht sich nach deren Erkenntnis die Auseinandersetzung in Frankreich hauptsächlich um die Flüchtlingsproblematik sowie um den Nutzen der ISAF-Mission für die afghanische Zivilbevölkerung, so stehen in Deutschland Kostenfragen, die Auffassung, Afghanistan sei kein deutsches Problem, und nicht zuletzt die prinzipielle Ablehnung, sich in bewaffnete Konflikte einzumischen, im Vordergrund der öffentlichen Debatte.

Daraus resultieren spezifisch ausgerichtete Empfehlungen für die jeweilige staatliche Kriegspropaganda. In Frankreich, so raten die CIA-Experten, seien einerseits die positiven Auswirkungen der ISAF-Mission für die afghanische Zivilbevölkerung herauszustreichen, andererseits die möglichen Negativfolgen einer NATO-Niederlage und einer Rückkehr der Taliban an die Macht aufzubauschen, um daran anknüpfend Schuldgefühle in der französischen Öffentlichkeit zu erzeugen. Darüber hinaus regen sie an, unter den Franzosen Ängste vor einer eventuellen Flüchtlingskrise zu schüren.

In Bezug auf Deutschland wiederum raten die Geheimdienstler dazu, die konträren Auffassungen hinsichtlich der ISAF-Mission in Afghanistan und hierzulande hervorzuheben. Außerdem gelte es, die Konsequenzen eines Scheiterns am Hindukusch für die nationalen Interessen der Bundesrepublik zu dramatisieren: unter anderem die terroristische Bedrohung, den Drogenhandel oder Flüchtlingsströme. Besonderes Gewicht sollte auf Bündnissolidarität und die Verpflichtung zur humanitären Hilfeleistung gelegt werden, da die Deutschen diesen beiden Faktoren hohe Bedeutung beimäßen.

Nationenübergreifend empfiehlt die CIA Red Cell, zum einen die Wertschätzung des westeuropäischen Publikums für US-Präsident Obama auszunutzen, um vermehrte Unterstützung für die Kriegsanstrengungen einzufordern. Zum anderen sollen afghanische Frauen dazu benutzt werden, die Funktion der ISAF bei der Bekämpfung der Taliban schönzureden, da sie »ideale Vermittlerinnen« seien, die »die Fähigkeit besitzen, persönlich und glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter dem Taliban-Regime, ihre Zukunftserwartungen und ihre Ängste im Falle eines Sieges der Taliban zu sprechen«. Unbedingt müsse daher afghanischen Frauen in den Medien Gelegenheit gegeben werden, den französischen, deutschen und übrigen europäischen Frauen ihre Geschichten zu erzählen.

Auf welch fruchtbaren Boden die geheimdienstliche US-Kriegspropaganda hierzulande trifft, demonstrierte umgehend der Chef-Transatlantiker, bekennende Bellizist und habituelle Islamophobiker Josef Joffe, Mitherausgeber der hamburgischen Wochenzeitung Die Zeit. Am 22. April leitartikelt er dort unter dem Rubrum »Falsche Reflexe« nachgerade kongenial mit den US-Schlapphüten: »Die Deutschen tun sich schwer mit dem Krieg in Afghanistan. Wie Militär und Politik die Initiative zurückgewinnen können.« Getreu seiner Maxime »Von der US-Propaganda lernen, heißt siegen lernen« beherzigt Joffe den Ratschlag der Kollegen aus Das liest sich so: »Der Deutsche als solcher möchte den Gotteskriegern bestimmt nicht Afghanistan, geschweige denn den Atomstaat Pakistan nebenan überlassen. Er akzeptiert auch das Argument ›Lieber Krieg am Hindukusch als in Hindelang Langley, Virginia und verweist auf den »Widerstreit der Interessen, der die Afghanistanpolitik bestimmt«. ‹. Und er schätzt die Nato, das älteste Bündnis der Welt, als unverzichtbare Rückversicherung.« Wie diese dann den »Ordnungskrieg« (Joffe) am Hindukusch doch noch gewinnen kann, weiß der Möchtegern-Feldherr am heimischen Redaktionstisch auch, nämlich: »Die eigenen Hightech-Stärken gegen die Schwächen des Gegners ausspielen«, »Sensoren am Boden, in der Luft (Drohnen) und im Weltraum, aber bitte alles gut vernetzt in Echtzeit«, außerdem »Kampf- und Transporthubschrauber, schnell reagierende Kampfjets und eine agile, aber optimal gepanzerte Truppe am Boden«. Über eine politische Strategie für die Konfliktlösung in Afghanistan findet sich bei Joffe kein Wort. Er weiß eben: »Raus mit uns!« ist »das Bekenntnis der Ohnmacht und die Absage an alle Politik in einer Gegend, wo die gefährlichsten Pathologien des 21. Jahrhunderts lauern«.

Trotz seiner professionellen und anscheinend pathologischen Begeisterung für sogenannte militärische Lösungen sei dem Kriegsverkäufer Joffe der Satz anempfohlen, mit dem der eingangs zitierte Kurt Tucholsky alias Ignaz Wrobel seinen damaligen Artikel in Das Andere Deutschland fortgesetzt hatte: »Der Krieg ist aber unter allen Umständen tief unsittlich.«