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Titel1010

Nationalstolz  (Eckart Spoo)

Beate Klarsfeld sagte dieser Tage in einem Interview der Frankfurter Rundschau, sie sei »stolz, eine Deutsche zu sein«. Sie erwähnte das im Zusammenhang mit ihrem Wunsch, einen deutschen Orden zu bekommen. Ich fürchte, nach diesem nationalen Bekenntnis könnte sie eines Ordens für würdig befunden werden, vielleicht müßte sie sich nur ein bißchen von der Ohrfeige distanzieren, die sie einst dem CDU-Vorsitzenden Kurt Georg Kiesinger (»König Silberzunge«), einem früheren Nazi-Propagandisten, verpaßt hat.

Beim Nachdenken über den Nationalstolz stelle ich fest: Er ist mir fremd. Gelegentlich bin ich mit mir zufrieden, wenn mir etwas Nützliches gelungen ist. Aber dabei halte ich mich ungern lange auf, arbeite lieber weiter. Wenn Stolz auf eigene Leistung mich befiele, würde ich es wahrscheinlich für klug halten, ihn schnell abzuschütteln, bevor er mich etwa anderen entfremdet, mit denen ich gern zusammenarbeite.

Schon gar nicht möchte ich stolz sein auf etwas, was mir zugefallen ist: meine Nationalität. Und nie will ich mich mit denen gemein machen, die in den 1980er Jahren anfingen, Hemden mit dem Aufdruck »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein« durch die Straßen zu tragen. Mit dieser Parole stellten sie sich mir und allen entgegen, die versuchten, über Nazi-Verbrechen aufzuklären – wozu Beate Klarsfeld gute Beiträge leistete.

65 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands ist in Berlin jetzt an der Stelle, von der aus einst der Terror geplant und gesteuert wurde, eine Gedenkstätte entstanden: die »Topographie des Terrors«. Andere, durchweg mühsam erkämpfte Gedenkstätten hatten den Blick jahrzehntelang fast ausschließlich auf die Opfer des Nazi-Regimes gerichtet; nun interessiert man sich auch für die Täter, die zentralen Staatsterroristen. Vielleicht deswegen, weil sie inzwischen alle tot sind, Wie die Ausstellung mit ihnen umgeht, will ich mir in den nächsten Tagen gründlich ansehen. Eins aber sei gleich gesagt: Ein Museum, das darüber aufklärt, wie Millionen Deutsche zur Mitwirkung an brutalsten Verbrechen fähig geworden sind, besteht bis heute nicht. Ein solcher Lernort muß endlich geschaffen werden.

Eine Gedenkstätte wird in diesen Tagen abgerissen: in Ziegenhals bei Berlin, wo sich Ernst Thälmann und andere in die Illegalität gedrängte Reichstagsabgeordnete gleich Anfang Februar 1933 erstmals trafen, um Widerstand zu organisieren. Für mich gehört der antifaschistische Widerstand zu den wertvollsten Traditionen, die es in Deutschland zu bewahren gilt. Diese Tradition abzuwickeln oder etwa nur gerade derjenigen hohen Offiziere zu gedenken, die jahrelang Hitler gefolgt waren und in seinem Namen Massenmorde verübt hatten, bis die militärische Niederlage absehbar war, ist schändlich. Und die Einzelheiten können kaum schäbiger sein als im Fall Ziegenhals: Ein für Baurecht zuständiger Ministerialrat der brandenburgischen Landesregierung erwirbt das Grundstück am Krossinsee äußerst preisgünstig, weil die Gedenkstätte unter Denkmalschutz steht. Sofort beantragt er die Aufhebung des Denkmalschutzes, wodurch sich der Wert der Immobilie verdreifacht. Als das Land Brandenburg dann auch noch das Denkmalschutzgesetz ändert, erhält Ministerialrat Gröger freie Hand. Er will dort Stadtvillen errichten, unmittelbar an der Berliner Stadtgrenze. Die brandenburgische Linkspartei – auf Mitregieren und freundliches Koalitionsklima bedacht – zeigt sich an dem Skandal desinteressiert, der folglich gar keiner ist.

Außerdem (oder vor allem): Thälmann war Kommunist. Von so einem muß man sich immer wieder distanzieren, weil man sonst in Verdacht geriete, außerhalb des verbindlichen antitotalitären Konsenses zu stehen. Tatsachen wie die, daß die Kommunisten von allen Weimarer Parteien den weitaus stärksten Widerstand gegen das Nazi-Regimes geleistet und die weitaus meisten Todesopfer gebracht haben, wirken da nur störend. Und wenn ich darauf hinweise, daß Carl von Ossietzky 1932 nach dem Verzicht der SPD, zur Wahl des Reichspräsidenten dem Kandidaten der Mitte- und Rechtsparteien, Generalfeldmarschall von Hindenburg, einen eigenen Kandidaten entgegenzustellen, hellsichtig zur Unterstützung Thälmanns aufrief, dann mache ich auch Ossietzky und mich selber verdächtig.

Am Sonntag, dem 9. Mai, als in Moskau die Siegesparade stattfand, bei der auch Angela Merkel nicht fehlen wollte, nahm ich in Torgau, wo sich US- und Sowjetsoldaten zum Kriegsende erstmals die Hände gereicht hatten, an der Eröffnung einer Gedenkstätte teil. Nicht zum Gedenken an den Sieg der Anti-Hitler-Koalition – für ein solches Denkmal hat längst die Rote Armee selber gesorgt. Sondern zur Erinnerung an dreierlei, was nach Darstellung der in Dresden regierenden Initiatoren alles eins ist, nämlich die Wehrmachtsjustiz 1939–1945, die in den letzten Kriegsjahren ihren Sitz in Torgau hatte und hier viele tausende Todesurteile verhängte, die sowjetischen Lager, in denen in der Nachkriegszeit viele Schergen jener Militärjustiz interniert waren, und der Strafvollzug der DDR im Torgauer Fort Zinna, wo heute noch eine Justizvollzugsanstalt besteht.

Zur Eröffnung sprach Sachsens Wissenschafts- und Kunstministerin Professor Sabine von Schorlemer (CDU) allgemein über »das Unrecht«. Sie gestand gnädig zu, daß der 8. Mai »für die Häftlinge« der Tag der Befreiung war, und sprach dann den zentralen Satz: »Die Schichten unterschiedlicher Verfolgung legen sich übereinander.« Obenauf sind die »Opfer des Stalinismus«. Sie geben in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten den Ton an. Ludwig Baumann, letzter Überlebender der Wehrmachtsjustiz, hielt es in dem Stiftungsrat nicht aus, er verließ das Gremium. Zur Eröffnung ist er gekommen, um die Gedenkstätte »ein Schandmal« zu nennen. Er weist auf falsche Behauptungen in den Inschriften hin, und empört sich über eine eigene Tafel für einen Professor Timm, der als strammer Nazi Versuche an Häftlingen habe vornehmen lassen. Auf der Tafel, die der Stiftung 2000 Euro wert war, wird dieser Mann als »Engel von Torgau« glorifiziert. Der Bonner Geschichtsprofessor Joachim Scholtysek merkt mit dünnem Lächeln an: »Das kollektive Gedächtnis kann sich im Gegensatz zu den Fakten verändern.« Über Baumanns Vorwürfe im einzelnen und seinen Protest gegen die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan gehen alle nachfolgenden Redner hinweg.

Wie am 1. Mai marschieren die Nazis nun auch am 8. Mai auf. Daß sich ihnen in diesen Tagen viele Tausende entgegenstellen oder an Sitzblockaden teilnehmen, ist nach überwiegender Meinung von Polizei und Staatsanwaltschaft Unrecht, und die Sprecher der Polizeigewerkschaften bezeichnen es als »unwürdig«, daß sich Politiker dazusetzen.

Was mich aber in diesen Tagen am meisten beunruhigt, ist die Hetze gegen Griechenland und die anderen von der Bild-Zeitung als »Pleite-Nachbarn« verhöhnten, ausgeplünderten Länder, die jetzt »Rettungspakete« bekommen sollen, um Ihre Schulden zahlen zu können. Bild: »Wir sind die Deppen Europas!« Welch ein Nationalstolz.