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Titel102013

Chance für schöpferische Unternehmer  (Herbert Schui)

Als das Deutsche Reich im 19. Jahrhundert es darauf anlegte, sich einen Platz an der Sonne zu erkämpfen, mußten Kriegsschiffe her. Private Werften waren dieser Aufgabe nicht gewachsen. Gelöst wurde die Frage nach der Reichsgründung 1871 von staatlichen Werften, den kaiserlichen Werften in Danzig, Kiel und Wilhelmshaven. Sie waren die Nachfolger der königlich preußischen Werften. Mit Airbus lief es ähnlich: Die vielen kleinen europäischen Flugzeugwerke konnten im Wettbewerb mit den großen Firmen in den USA nicht mithalten. Dem sollte ein Konsortium aus Messerschmitt-Bölkow-Blohm, Dornier und Fokker abhelfen, das sich dann unter seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Franz Josef Strauß zur Deutschen Airbus GmbH zusammenschloß. Dieses Unternehmen wiederum fusionierte schließlich mit französischen und britischen Herstellern.

Hier und in vielen anderen Fällen ist der Staat Entwicklungshelfer, oft auch Lieferant billiger Leistungen für die privaten Unternehmen. Wenn er seine Aufgabe erfüllt hat oder wenn ein privates Unternehmen es durchsetzen kann, teure, privatisierte Vorleistungen an andere Unternehmen zu verkaufen, dann steht Privatisieren auf der Tagesordnung. Mit dem öffentlichen Dienst, so der Altenpflege, den Schulen, Krankenhäusern ist es ähnlich, wenngleich hier nicht Betriebe aufzubauen sind oder auf kleinere Unternehmen eingewirkt werden muß, damit sie sich zusammentun. Keiner Unternehmerpartei wäre wohl im 19. Jahrhundert in den Sinn gekommen, die Privatisierung etwa der Volksschulen zu fordern: Nicht, weil sie wie im Fall der Werften hierzu technisch nicht in der Lage gewesen wären, sondern weil es nicht genug zahlungsfähige Kundschaft gegeben hätte. Im dynamischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts verlegte sich der private Sektor lieber auf die Industrie und den Finanzsektor. Im Laufe der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung aber werden die vielen öffentlichen Dienste aus zwei Gründen interessant für die privaten Unternehmen: Zum einen sind die Geschäftsmöglichkeiten bei niedrigem Wirtschaftswachstum begrenzt. Zum anderen sind viele öffentliche Dienste mittlerweile entwickelt genug, um aus ihnen private Profitquellen zu machen.
Zum Beispiel die Altenpflege: Nachdem Arbeit nur noch bei völliger Flexibilität zu finden ist, was Raum, Zeit und Lohn angeht (Reformen haben die »verkrusteten Strukturen« des Arbeitsmarktes »aufgebrochen«), ist häusliche Pflege zunehmend nicht mehr möglich. Überdies gibt es noch andere Gründe, so Professionalität und Unterstützung bei der häuslichen Pflege. All dies war Anlaß für die Schaffung einer gesetzlichen Pflicht zur Pflegeversicherung. Wenn die Dinge soweit gediehen sind, dann sind für private Pflegeunternehmen alle Voraussetzungen geschaffen, Heime oder mobile Dienste anzubieten. Ungeklärt ist dabei die Frage, wer die Qualität der Leistungen überwacht, wenn Pflegebedürftige restlos und uneingeschränkt der Anstalt ausgeliefert sind. Für die vorherrschende Wirtschaftstheorie wird diese Frage durch den Wettbewerb und die freie Wahl des Konsumenten gelöst, die Konsumentensouveränität also. Das setzt Information und tatsächliche Souveränität der betroffenen Personen voraus. Die Antwort ist »Transparenz«. Die soll durch einen sogenannten Wohlfühlindex gewährleistet werden. Aber mit welchem Gewicht gehen die einzelnen Elemente in diesen Index ein? Wird das Wundliegen aufgewogen durch das Auslegen von Illustrierten?

Die Schulen sind ein anderes Beispiel. Wichtig sind Ganztagsschulen. Abgesehen davon, daß das Mittagessen in einer Schulkantine frisch zubereitet und nicht lauwarm vom privaten »Caterer« angeliefert werden sollte: Die Kinder müssen nachmittags bei ihren Hausaufgaben betreut werden, Fördergruppen sind einzurichten, wo den Kindern, die irgendwo nicht mitkommen, weitergeholfen wird. Die Praxis zeigt, daß all diese Fragen kaum angegangen werden. Stattdessen auch hier Privatisierung, ohne daß je eine Schule verkauft worden wäre. Weil es sehr häufig keine Hilfe bei den Hausaufgaben gibt, keine Förderklassen, wird private Nachhilfe zur Lösung. Hier gibt es reichlich Firmengründungen. Auch wenn längst nicht alle zahlen können, die auf private Nachhilfe angewiesen sind – hieran ändert von der Leyens Zehn-Euro-Bildungspaket nichts –, die Nachfrage reicht für private Nachhilfeunternehmen aus. Zugeteilt wird nach den Kriterien des Marktes, also nach der Zahlungsfähigkeit, nicht aber nach dem Bedarf. Aber auch für diejenigen, die zum Zuge kommen, stellt sich die Frage nach der Qualität der Leistung. Wer unterrichtet in diesen privaten Einrichtungen? Oft genug sind es schlecht bezahlte Aushilfskräfte. Sonst könnte der Nachhilfekrauter ja nichts daran verdienen. Aber wer geläufig rechnen kann, hat noch lange nicht das Zeug, Nachzüglern Mathematik zu erklären. Allemal haben gute Pädagogen Didaktik der Mathematik studiert. Und gute Pädagogen sollten doch besser an öffentlichen Schulen zu einem tariflich festgelegten Lohn unterrichten.

Schauen wir bei der Privatisierung also nicht einzig auf die Krankenhäuser, die Wasserversorgung oder die Verkehrseinrichtungen, die verkauft werden, also nicht nur auf diejenigen öffentlichen Leistungen und Einrichtungen, die für Großunternehmen interessant sind! Es gibt noch einen anderen Prozeß der Privatisierung, bei dem keine öffentlichen Einrichtungen verkauft werden. Diese Privatisierung setzt sich als eine Art Outsourcing durch, weil die öffentlichen Dienste schlechter werden. Es fehlt an Geld. Das ist eine Folge der zunehmend verringerten Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen. Die Formel heißt also: weniger Steuern, weniger öffentlicher Dienst – ersetzt durch private Dienstleister. Für das, was vielfach mittelständische Wirtschaft genannt wird, für die Stützen der Gesellschaft also, läuft die Sache gut.