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Der diskreditierte Charme der Bourgeoisie  (Christophe Zerpka)

Ein 39-jähriger Investmentbanker soll es richten. Emmanuel Macron wird nun für die nächsten fünf Jahre der mächtigste Mann Frankreichs sein. Die etablierten bürgerlichen Parteien sind abgestraft, vor allem die Sozialdemokraten sind zur Randgruppe verkommen, der »sozialistische« Kandidat bekam knapp sieben Prozent, aber auch die Konservativen von den Republikanern haben mit 19 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren. Die französischen Wirtschafts- und Finanzeliten waren also gut beraten, beizeiten einen Plan B aus der Tasche zu ziehen, um einen der ihren zum Präsidenten zu machen. Macron war der ideale Kandidat. Mit seinen knapp 40 Jahren konnte er einen Teil der Jungwähler begeistern, aber auch die ältere Generation kam bei diesem smarten Schwiegersohn mit den guten Manieren ins Schwärmen. Auch seine Karriereleiter entsprach dem klassischen Aufstieg eines französischen Politikers. Nach dem katholischen Gymnasium absolvierte er die unumgängliche Kaderschmiede ENA (École nationale d’administration), um sich dann bei der Rothschild Bank seine ersten Sporen zu verdienen. Das Sahnehäubchen war seine kurze Karriere als Wirtschaftsminister von François Hollande: lang genug, um Regierungserfahrung vorzuweisen, aber zu kurz, um mit dem sozialistischen Debakel in Verbindung gebracht zu werden.

 

Der Mann hat alles richtig gemacht: Sein früher Antrittsbesuch bei Angela Merkel noch während des Wahlkampfs hat den maßgeblichen EU-Protagonisten signalisiert: Macron ist auch unser Mann. So war der Jubel am Tag nach der Wahl am 23. April bereits entsprechend: Martin Schulz sprach von dem zukünftigen Präsidenten in den höchsten Tönen, Regierungssprecher Seibert gab sich ob des Resultats erleichtert, und auch EU-Chef Juncker gehörte zu den ersten Gratulanten, der Dax bedankte sich mit einem Allzeithoch. Die Kandidaten des bürgerlichen Lagers, einschließlich des so wortradikalen Benoît Hamon beeilten sich, zur Wahl von Macron aufzurufen. Die deutschen Medien hatten sich ohnehin schon früh für den »linksliberalen« Macron entschieden. Bis zum 22. April war für den zweiten Wahlgang allerdings noch das Gespenst zweier Extremisten und »Feinde Europas« an die Wand gemalt worden. Die penetrante Gleichsetzung der maroden EU mit dem hehren Gedanken eines demokratischen Europas ist eine perfide Taktik, die bei einigen Wählern wohl gewirkt hat. Dabei hat niemand etwas gegen Europa, nicht einmal Madame Le Pen. Linkskandidat Jean-Luc Mélenchon, der mit 19,3 Prozent nur vier Prozent hinter Macron lag, hat es klar formuliert: Zunächst muss versucht werden, die EU demokratisch und sozial zu reformieren. Erst wenn dies nicht möglich ist, sollte man einen Austritt erwägen, gestützt durch ein Plebiszit.

 

Mélenchon hat durch seinen phantasievollen Wahlkampf ein eindrucksvolles Ergebnis erzielt. Im Dezember hatte er nach den Umfragen noch bei neun Prozent gelegen. Er ist auch einer der wenigen unterlegenen Kandidaten, der nicht zur Wahl von Macron aufgerufen hat und seiner Wählerschaft die Entscheidung überließ. Einige werden sicher zähneknirschend den »Kandidaten des CAC 40« (französisches Äquivalent zum DAX) gewählt haben, andere haben weiße Stimmzettel abgegeben oder sind gleich zu Hause geblieben. Währenddessen richten sich die Augen schon auf die Parlamentswahl im Juni. Der neue Präsident ohne eigene Partei wird versuchen, mit den Unterstützergruppen seiner »En marche«-Bewegung schnell eine solche ins Leben zu rufen. Aber das wird für eine »majorité présidentielle« nicht reichen. Er müsste also ein stabiles bürgerliches Bündnis zwischen seiner Aufbruchbewegung und Teilen der Republikaner und Sozialisten schmieden. Mit den vielen ohnehin neu zu vergebenen lukrativen Pöstchen ließe sich schnell eine »Union für den Fortschritt« oder eine andere nichtssagende Allianz bilden, die das bestehende System über die nächsten fünf Jahre rettet.

 

Aber dann? Bis 2022 wird Frankreich kaum besser dastehen als jetzt, die bürgerlichen Parteien werden bei den Franzosen vollends diskreditiert sein. Marine Le Pen wird die Jahre für eine weitere Verankerung des Front National nutzen, Wirtschafts- und Finanzkapital werden die Macron-Karte nicht erneut spielen können. Aber dann bliebe ja immer noch der Pakt des Bürgertums mit der inzwischen salonfähig gewordenen Frontfrau Marine. Es gibt da historische Parallelen ...