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Titel1018

Die Dividende des 8. Mai  (Ulrich Sander)

Im März 1848 erschoss die Soldateska mit bleiernen Kugeln die Demokraten vor dem Berliner Schloss. Jede weitere preußische oder deutsche Militäraktion machte und macht deutlich, dass es segensreich für die Menschheit gewesen wäre, es hätte in den letzten 170 Jahren keine deutsche bewaffnete Macht gegeben: Millionen Tote im Ersten Weltkrieg. Ein Vielfaches an Toten im Zweiten Weltkrieg. Seit 130 Jahren trägt der Meister des Todes auch den Namen Rheinmetall. Das Unternehmen produzierte und produziert Waffen und Munition für fürchterliche Kriege.

 

In der Geschichte der Waffenfabriken – auch dieses Konzerns – ist nur ein Lichtblick zu erkennen: Im August 1918 legten die Arbeiter der Waffenfabriken in Berlin die Arbeit nieder und trugen zum Sturz der Monarchie und zum Ende des Krieges bei. Doch noch während der Novemberkämpfe 1918 wurden auch aus der Kasse von Borsig/Rheinmetall Millionenbeträge für eine »Antibolschewistische Liga« bereitgestellt, die damit die massenmörderischen Freikorps finanzierte. Im Herbst 1926 war Borsig/Rheinmetall mit dabei, Putschpläne gegen die Demokratie zu schmieden.

 

Als der Konzern 1933 in Konkurs ging, da war das kein Glücksfall für die Demokratie, sondern für die Nazis. Sie retteten Rheinmetall. Der staatliche Einfluss durch Institutionen der Wehrmacht und die Eingliederung von Rheinmetall-Borsig in das Staatsunternehmen Reichswerke Hermann Göring nahm zu. Bald war der Konzern vollständig verstaatlicht und in die planmäßige Kriegsvorbereitung integriert. Die Eingliederung rief bei Friedrich Flick und anderen Industriellen, die Hitler um ihrer Profite willen an die Macht gebracht hatten, Unwillen hervor. Unwillen über »Sozialisierung«, den sie später als eine Art Widerstand ausgaben. Doch Hermann Göring versprach auch den anderen gute Geschäfte. Und so marschierten neben den Blitzkriegern die Konzernvertreter, um Stahlwerke und andere Betriebe zu arisieren und zu rauben und 15 Millionen Zwangsarbeiter nach Deutschland zu holen, auf dass sie als Sklaven unter anderem für Rheinmetall arbeiteten. Viele wurden durch Arbeit vernichtet. Allein die Reichswerke Hermann Göring versklavten 300.000 sogenannte Ostarbeiter. Viele Tausend Sklaven schufteten an anderen Rheinmetallstandorten.

 

Die Erinnerung an die Opfer der faschistischen Barbarei und die Kämpfer gegen den Faschismus ist für uns alle ein bleibendes Anliegen. In diesem Jahr verschandelte der Rüstungskonzern Rheinmetall den 8. Mai. Ausgerechnet an diesem Tag führte er seine Hauptversammlung durch. Der Tod als Meister aus Deutschland (Paul Celan) ist zu keiner Scham fähig. Die Aktionäre feilschten am 8. Mai um ihre Dividende, um ihr Blutgeld, herausgeholt durch die Opfer so vieler Menschen, die in Frieden leben wollten und in erneuten deutschen Kriegen sterben. Um gut zehn Prozent soll der Umsatz der Sparte Rüstung steigen.

 

Als der Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 erstmals das erlösende Wort sprach, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung sei, da setzte er hinzu, es sei aber kein Tag zum Feiern. Sicher war es jedoch ein Tag der Freude für Millionen Menschen, die befreit wurden und denen die Kriegslast genommen wurde. Es war kein Tag der Freude für die Menschenschinder und Nazis. Aber auch durchaus kein Tag der Trauer für die großen Industriellen. Obwohl für kurze Zeit inhaftiert, brachte ein hoher IG-Farben-Mann zum Ausdruck, die Kriegsverbrecherprozesse hätten einen Bogen um die Verurteilung der deutschen Industrie und Banken gemacht, und das freue ihn. Die wenigen Unternehmer, die angeklagt waren, kamen bald wieder frei und erhielten ihre Fabriken und Vermögen zurück. Für Rheinmetall ging es 1955 mit der Gründung der Bundeswehr wieder richtig los. Aus der Verstaatlichung befreit, konnten die Aktionäre wieder auf dicke Profite hoffen. Heute hat der Konzern einen Jahresumsatz von 5,6 Milliarden Euro – und wenn das Hochrüstungsprogramm der Großen Koalition greift und die Rüstungsausgaben verdoppelt werden, dann beginnen noch goldenere Zeiten für die Meister des Todes bei Rheinmetall.

 

Wenn ich schreibe, dass der 8. Mai 1945 für die großen Unternehmen kein Tag war, welcher den Beginn einer Abrechnung mit ihren Verbrechen darstellte, so verweise ich auf Wirtschaftshistoriker wie Ulrich Herbert (BRD) und Dietrich Eichholtz (DDR). Sie belegten, dass das Wirtschaftswunder in der BRD in erheblichem Maß den Zwangsarbeitern und der Ausbeutung Europas zu verdanken gewesen war. Deutschland hatte zwar den Krieg verloren, aber am Krieg verdient. Otto Köhler stellte in Ossietzky 1/2013 fest: »Der deutsche Wohlstand nach 1945 und Ludwig Erhards vermeintliches Wirtschaftswunder beruhen auf dem durch den deutschen Angriffskrieg verlorenen Wohlstand der Völker Europas.« Ich verweise auch auf den Wissenschaftler Thomas Kuczynski, der nachwies, dass die Industriellen bei der sogenannten Zwangsarbeiterentschädigung im Jahre 2001 den Hinterbliebenen der Sklavenarbeit mindestens 50 Milliarden Euro an Lohn schuldig blieben. Sie zahlten nur 2,5 Milliarden Euro, und dies auch nur, weil die USA drohten, ihnen den US-Markt zu sperren, wenn sie nicht den Marktvorteil ausglichen, der durch die Ausbeutung der Zwangsarbeiter entstanden war.

 

Bei ihrer Befreiung 1945 schworen die überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.« Er schließt mit dem Satz: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht.«

 

Dass sie vor den Richtern der Völker stehen, das ist den Herren der Rüstungskonzerne wie Rheinmetall bisher erspart geblieben. Wir brauchen daher keine Hauptversammlung wie jene, die am 8. Mai tagte. Wir brauchen eine große Anklage, damit im Interesse der Millionen Opfer Recht gesprochen wird. Und der Spruch kann nur lauten: Schuldig. Den Schuldigen muss das Handwerk gelegt werden. Ein für alle Mal.

 

Das war auch 1945 das Anliegen der Potsdamer Konferenz der Alliierten. Im Sinne der dort gesprochenen Verurteilung des deutschen Militarismus wurde in das Grundgesetz 1949 die Absage an Militär und Krieg hineingeschrieben. Wir fordern die Wiederherstellung dieser antimilitaristischen Verfassungsprinzipien.

 

 

Aus einer Rede des VVN-BdA-Sprechers vor dem Gebäude der Hauptversammlung von Rheinmetall am 8. Mai in Berlin.

 

Leseempfehlung: »Deutschland Mai 1945. Besiegt. Besetzt. Befreit?«, Ossietzky-Themenheft mit Beiträgen von Horst Schäfer, Victor Grossman, Arno Klönne, Ilsegret Fink, Eckart Spoo, Ingrid Zwerenz, Kurt Pätzold, Friedrich Wolff, Monika Köhler, Heinrich Hannover, Andreas Buro, Conrad Taler, Matthias Biskupek, Harald Kretzschmar, Heinrich Fink, Ralph Hartmann, Otto Köhler, Wolfgang Bittner, Werner René Schwab u.a., 36 Seiten, 2,80 € / zzgl. 1,50 € Versandkosten, Bezug: ossietzky@interdruck.net

 

Unter dem Motto »Krieg beginnt hier – Rheinmetall entwaffnen« wird es rund um den diesjährigen Antikriegstag am 1. September Aktionen am Rheinmetall-Standort in Unterlüß geben. Darauf verständigten sich Ende April auf einem Bündnistreffen im niedersächsischen Celle 40 Personen aus zehn norddeutschen Städten. Beteiligt waren unter anderem Gruppen aus der Friedens- und Antimilitarismus-Bewegung sowie Gewerkschaftsvertreter*innen. Das Bündnis plant von Mittwoch, den 29. August, bis Dienstag, den 4. September, ein Friedens-Camp in Unterlüß. Direkt am Antikriegstag soll es eine öffentlichkeitswirksame Aktion geben. Zu einer überregionalen Demonstration will das Bündnis zum Sonntag, dem 2. September, aufrufen. Die Aktionen richten sich gegen Rheinmetall, weil auf nahezu jedem aktuellen Kriegsschauplatz mit Waffen dieses Konzerns Menschen getötet werden. Rheinmetall exportiert den Tod in alle Welt.