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Zwei Filme über die RAF  (Martin Petersen)

Wer dieser Tage ins Kino geht, kann dort ein ungewöhnliches Werbefilmchen von gerade 75 Sekunden Laufzeit bewundern. Es trommelt für einen deutschen Spielfilm, der erst Ende September in die Kinos kommt, denn gegenwärtig befindet sich »Der Baader Meinhof Komplex« noch in der Nachproduktion. Produzent Bernd Eichinger – von ihm stammte schon das erschreckend schlechte Hitler-Filmporträt »Der Untergang« – ließ es sich nicht nehmen, Stefan Austs gleichnamige Kolportage in Drehbuchform zu bringen. Mit einigen wirklich erstklassigen Darstellern und Fördergeldern in Höhe von 5,7 Millionen Euro machte Regisseur Uli Edel aus einem der wichtigsten Kapitel der westdeutschen Nachkriegsgeschichte offenbar einen grellen Action-Reißer.

»Deutschland 1968« verkündet der Werbefilm gleich zu Beginn, und auf seiner Tonspur beginnt ein Dauer-Trommelfeuer. Man sieht prügelnde Polizisten, einen Wasserwerfer, drei Filmschnipsel vom Westberliner Vietnam-Kongreß. Wer genau hinschaut, liest auf einem Spruchband den Satz »Die vietnamesische Revolution ist Teil des Kampfes für die Befreiung aller Menschen«. Dann: ein Feuerblitz auf dunklen Pflastersteinen. Das entsetzte Gesicht einer Frau, die wie Ulrike Meinhof aussieht. Brennende Autos, prügelnde Polizisten, schreiende Demonstranten. Ein Andreas-Baader-Darsteller schießt, am Steuer eines dahinrasenden Wagens, aus dem Seitenfenster. Über eine Autojagd ist der Satz »Die Situation eskaliert« gelegt. Zwei Autofahrer reichen sich in voller Fahrt die Hände. Dann gehen zwei junge Frauen von einem Gebäude fort, dessen Fassade von zwei Explosionen aufgerissen wird. Die Polizei stürmt ein weiteres Gebäude, der Andreas-Baader-Darsteller und eine blonde Gespielin schrecken im Bett hoch. Dann das Innere eines Gefängnisses, eine Gefangenen-Darstellerin schreit »Ulrike!« Für nicht einmal eine halbe Sekunde ist die Ulrike-Meinhof-Darstellerin in einer Zelle zu sehen, es folgen Bilder vom Prozeß in Stammheim. Eine kreischende Frau will in voller Fahrt aus einem Wagen springen. Der Andreas-Baader-Darsteller legt ein Feuer in seiner Zelle. Eine Zellentür. Ein rasendes Auto. Eine junge Frau mit Pistole. Eine gewaltige Explosion in noch einem weiteren Gebäude. Und das alles in weniger als dreißig Sekunden!

Der Rest des Filmchens stellt die Schauspieler vor. Links jeweils ein Szenenbild, rechts ein Dokumentarfoto. Darunter steht beispielsweise »Martina Gedeck ist Ulrike Meinhof« oder »Moritz Bleibtreu ist Andreas Baader«. Der »Untergang«-Hauptdarsteller Bruno Ganz »ist« diesmal überraschenderweise nicht Adolf Hitler, sondern bloß Horst Herold, der damalige Chef des Bundeskriminalamts. Schließlich taucht aus dem Dunkel der Leinwand der Filmtitel auf und zischt dabei so laut wie ein vorbeifliegender Kampfjet.

Erinnert sich noch jemand an Margarethe von Trottas Spielfilm »Die bleierne Zeit« aus dem Jahr 1981? Auch er beschäftigt sich mit der Roten Armee Fraktion (RAF) der Siebziger Jahre. Der dazugehörige Werbefilm läuft über drei Minuten. Er zeigt keinen Schußwechsel, keine Explosion. Die Schauspieler sind in Spielszenen zu sehen, und sie dürfen ganze Sätze sagen wie »Unsere Gefängnisse liegen in schönen Landschaften« oder »Wo bist du denn gelandet, schreibst du neuerdings für die Springer-Presse?« Die teilweise unterlegte Musik ist kein bedrohliches Trommeln, sondern elegisches Geigenspiel.

Vielleicht ist es Zufall, daß beide Filme einen 25. September als Starttermin haben. Fast scheint es, als sollte der neue, laute, explosive Sensationsstreifen an die Stelle des klassischen, ruhigen, nachdenklichen treten und so die filmische Diskussionshoheit über den westdeutschen Terrorismus erlangen. »Der Baader Meinhof Komplex« wird ein riesiger Kassenschlager werden, ein Kritikerliebling, er wird viele Preise gewinnen. Er kommt genau vierzig Jahre nach 1968 in die Kinos, er macht die 68er für den Terrorismus verantwortlich, er macht eine sachliche Auseinandersetzung mit jener Zeit unmöglich. Er wird »Die bleierne Zeit« von seiner Filmpremiere an überschatten und vergessen machen. Demnächst in allen deutschen Lichtspielhäusern! Und danach auf DVD und als mehrteiliger TV-Film in der ARD, damit auch wirklich jeder mitbekommt, wie der Rote Hase heute zu laufen hat, bevor er abgeknallt wird.