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Titel1108

Heine und Tucholsky in Paris  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

»Ein höflicher Franzose. Das ist ein Pleonasmus.« So Heinrich Heine 1831, da war er eben in Paris angekommen. »In Deutschland sind die Menschen zunächst einmal unhöflich – hier zunächst einmal höflich.« So Kurt Tucholsky 1924. Wie schade, daß das so unbegrenzt nicht mehr stimmt. Die beiden haben die heutigen Pariser Taxifahrer nicht gekannt. Jedenfalls fühlten sie sich in Paris wohler – obwohl sie dort im Exil lebten.

Heine zumindest ab 1835, als seine Werke in Deutschland per Bundestagsbeschluß verboten worden waren; in einigen deutschen Staaten drohte ihm sogar Verhaftung. Tucho hatte Deutschland satt, jenes tatsächliche nach der abermals verpatzten Revolution und der Wiederkehr der Generale und ihrer niemals abgerüsteten Ausrüster. 1929 zog er es vor, nach Schweden überzusiedeln, ab 1933 war er endgültig im Exil, was er nicht überstand. Heine war im Exil 1856 gestorben, sein Grab auf dem Montmartre ist heute säkularer Wallfahrtsort.

Sie waren Brüder im Geiste, wovon Heine nichts wissen konnte. Tucholsky um so mehr. Vor allem hatten sie gleiche Feinde und manche gemeinsame Vorlieben, zum Beispiel die Pyrenäen. Manches, was wir über dieses Gebirgs- und Grenzland wissen, verdanken wir den beiden.

Die Feinde: Thron, Altar, Militär, Burschenschaften, Zensur und letztlich die »aristocratie bourgeoise« (H.H.), doch auch manche von der linken, der sozialistisch-proletarischen Seite. Nach dem trennenden Jahrhundert waren freilich einige Feinde nicht mehr so wichtig. Die Throne waren nach dem 1. Weltkrieg teils verschwunden oder hatten viel von ihrer Macht eingebüßt. Gegenüber den Altären war wohl Heine der konsequentere, obzwar er auch taktierte wie mit bei seiner protestantischen Taufe oder seiner katholischen Heirat. Und sein Jüdischsein verschwand nie ganz, war präsent im Alter, ohne konfessionell-synagogal zu sein. Tucho war da sowohl differenzierter wie schwankender. Zum Katholizismus hatte er eine gewisse Sympathie. Sein Jüdisches verdrängte er, wissend, daß das kaum möglich war. Das etablierte Judentum mochte ihn nicht und er es nicht. Den eigentlichen Feind nur unscharf oder gar nicht sehend – eine deutsch-jüdische Tragödie.
Heine wie Tucho haßten das Militär und bekämpften Soldaten, Generäle, Krieg. Heine war nie dabei, Tucho zeitweilig, sogar mit einem Rang. Heines schärfste Worte gegen Militarismus und Krieg stehen in der Vorrede zu »Französische Zustände« von 1832: »Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die heilige Allianz der Nationen kommt zustande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse ...« Bei Tucholsky heißt es knapp: »Soldaten sind Mörder.«

Was für Heine die Burschenschaften, sind Tucholsky die »nationalen Verbände«, also jene von ganz rechts. Heine stritt gegen die Zensur, Tucholsky darüber hinaus gegen die ganze Bürokratie; die Justiz war beiden Juristen mißliebig.

Was die Bourgeoisie, das kapitalistische Bürgertum betrifft, können wir bei Heine die Entwicklung der Kritik als Prozeß beobachten bis hin zur analytisch scharfen Anklage in »Lutezia«. Tucholsky hatte diese Macht immer unmittelbar vor Augen, schilderte sie subtil, ohne jede Illusion und attackierte besonders die Rüstungsindustrie.

Beide waren Linke, doch mit Vorbehalten: Heine tadelt die plumpen Gesellen des frühen Handwerker-Kommunismus, sympathisiert aber mit den »Doktoren der Revolution« (Marx und andere) und bejaht mit Furcht die Revolution der Massen. Tucho hält sie für notwendig, haßt die Sozialdemokratie, kann aber auch Skepsis gegenüber den Kommunisten nicht verhehlen.

Viele gemeinsame Vorlieben verbinden Heine und Tucholsky. Sie mochten dieselben Orte, auch in Paris. Beide hatten Wohnungsprobleme. Heine zog etwa 15 mal um, von der Rue de Vaugirard über Cité Bergère Nr. 3 (wo heute eine Gedenktafel angebracht ist) und Rue des Martyrs bis zu den Alters- und Krankheits-Wohnungen Rue de Amsterdam 50 und Rue de Matignon 3 in der Nähe der Champs Elysées, wo er starb. Tucho, der Paris »die liebenswürdige Stadt«, doch auch »Stadt der Beziehungen« nannte, hatte in den fünf Jahren vermutlich fünf Wohnungen, eine in der Avenue Mozart, neben Hotels wie »Gramont Opéra«. Heines Lieblingsort war das Palais Royal, die »Klatschboutique von Paris«, für den Journalisten in ihm eine Art Nachrichtenbörse.

Heine liebte den Jardin du Luxembourg, Tucho den Park Monceau, über den er ein liebevolles Gedicht geschrieben hat. Beide flanierten über die großen Boulevards und die Rue de Rivoli, besuchten Theater und die Oper (die freilich nach hundert Jahren nicht mehr die gleichen Häuser waren).

All das schaute ich mir wieder einmal an, selbst als Flaneur, aber auch im größeren Kreis von Mitgliedern der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft anläßlich des 20. Jahrestages der Gesellschaft, den sie in der »Maison Heinrich Heine« der Cité Universitaire beging. Unter dem Thema »Heine und Tucholsky« wurde eine große literarische und politische Traditionslinie gezogen. Zur Tagungsmitte am 10. Mai lasen Mitglieder der Gesellschaft aus vor 75 Jahren in Deutschland verbrannten Büchern – ganz aus dem Geiste Tuchos, mit Heines berühmtem Satz: »Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.«