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Digitalisierung (2): Internetarbeiter  (Marcus Schwarzbach)

Das Internet sucht Arbeiter. Sie fotografieren Produkte in Geschäften, kategorisieren Waren für Online-Kataloge oder bewerten Serviceleistungen. Allein in der Bundesrepublik Deutschland gibt es inzwischen Hunderttausende solcher digitalen Crowd-Arbeiter. Was wie eine leichte Möglichkeit zum Nebenjob klingt, ist ein radikaler Arbeitsplatzabbau im Stillen.

 

Bei den meisten Plattformen haben die Klick-Arbeiter noch nicht einmal ein Recht darauf, für getane Arbeit bezahlt zu werden. Theoretisch kann jede Firma in der ganzen Welt auf einer Plattformseite ihre Aufträge einstellen, und jeder Mensch mit Internetanschluss kann diese Aufgaben übernehmen.

 

Auch deutsche Firmen geben Aufträge an Amazons Crowdworking-Website. 2013 hat zum Beispiel das deutsche Energieunternehmen EnBW einen Teil der handschriftlichen Zählerablesungen seiner Kunden digitalisieren lassen, da die Handschrift für den Computer oft schlecht zu lesen war (siehe auch Thomas Wagner: »Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie«, Seite 63). Eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie liefert wissenschaftliche Erkenntnisse über bundesdeutsche Crowdworker. »Crowd Worker sind häufig gut ausgebildet. Viele nutzen die Jobs im Internet als Zuverdienst, doch gut ein Fünftel der Befragten verdient damit den Lebensunterhalt – zum Beispiel als Programmierer oder Designer« (siehe: »Die digitalen Tagelöhner«, https://www.boeckler.de/64443_64455.htm).

 

Das große Risiko: Aufgaben von Festangestellten könnten an Klick-Arbeiter ausgelagert werden. »Crowd Work hat in den vergangenen Jahren ein erstaunliches Wachstum verzeichnet«, schreiben die Forscher. Gut die Hälfte der Befragten gibt an, dass sie zu unterschiedlichen Tageszeiten arbeiten, häufig abends oder nachts. Nur vier Prozent sind regelmäßig morgens aktiv. Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt knapp 14 Stunden pro Woche. Die Aufgaben reichen von einfachsten Tätigkeiten zum schnellen Nebenverdienst bis hin zu komplexen Projekten. Etwa 70 Prozent verdienen weniger als 500 Euro im Monat.

 

Crowdsourcing beinhaltet, dass Arbeit, die bislang im Unternehmen selbst erledigt wurde, ausgelagert wird. Unter Crowdsourcing versteht man die »Strategie des Auslagerns einer üblicherweise von Erwerbstätigen entgeltlich erbrachten Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines offenen Aufrufes an eine Masse von unbekannten Akteuren, bei dem der Crowdsourcer und/oder die Crowdsourcees frei verwertbare und direkte wirtschaftliche Vorteile erlangen« (nach: Christian Papsdorf »Wie Surfen zur Arbeit wird. Crowdsourcing im Web 2.0«).

 

Forscher schätzen, dass egal ob um Mitternacht oder um sechs Uhr morgens zwischen 10.000 und 40.000 Menschen für Auftraggeber des Online-Marktplatzes Mechanical Turk schuften, sie löschen beispielsweise Pornofotodateien oder tippen Visitenkarten ab. Auch anspruchsvollere Aufgaben warten auf Internetnutzer, etwa die Entwicklung von Software. Das Unternehmen Local Motors entwirft und produziert Autos – mit nur rund 100 fest angestellten Beschäftigten und einer »Crowd« von geschätzt 45.000 Entwicklern.

 

 »Amazons Plattform zeigt ähnlich wie die Share-Economy-Protagonisten AirBnB (Übernachtungen) oder Uber (Taxifahrten) die Gesetzmäßigkeit der radikalen Machtkonzentration im Netz: ›The winner takes it all‹«, kritisiert die AG Amazon Attack (siehe https://www.akweb.de/ak_s/ak617/22.htm)

 

 

Zukunft der Arbeit?

»Vieles sind eigentlich arbeitnehmerähnliche Verhältnisse. Damit werden Mitbestimmung, Tarifverträge, soziale Sicherungssysteme und vieles andere ausgehebelt«, sagt Christiane Benner vom IG-Metall-Vorstand (siehe Schwarzbach, »Work around the clock?«). »Die Plattformen haben das Zeug, eine Tsunami-Wirkung zu entfalten und das Normalarbeitsverhältnis in weiten Gebieten der Wirtschaft hinwegzufegen«, warnt der Arbeitsrechtler Thomas Klebe. Es wäre eine radikal andere Arbeitswelt: eine, in der Menschen wie Computer genutzt werden, die man nach Bedarf ein- und ausschalten kann.

 

In den USA ist die gewerkschaftliche Organisierung der Crowdworker schon weiter. »Crowd Workers of the World Unite« lautet das Motto. Über die Seite »Turkopticon« bewerten sie ihre Auftraggeber. Die öffentlichen Bewertungen auf Turkopticon bauen Druck gegen schlechte Anbieter auf und dienen als Entscheidungshilfe für andere Crowdworker. Denn nicht immer wird die geleistete Arbeit überhaupt bezahlt. Missstände werden so aufgedeckt: Unsicherheiten bei der Bezahlung, unerreichbare Zielvorgaben bei den Aufträgen oder niedriges Honorar. Die IG Metall bietet das Portal faircrowdwork.org an, ein ver.di-Beratungsteam ist unter https://www.ich-bin-mehr-wert.de/support/cloudworking zu erreichen.

 

Die Aktivistin Kristy Milland hat vorgeschlagen, die Crowdworker sollten selbst die Produktionsmittel übernehmen und eigene Plattformen schaffen. »Nur so können wir dafür sorgen, dass nicht die herrschenden Konzerne von unserer Arbeit profitieren, sondern wir selbst.«

 

Teil 1 der vierteiligen Artikelreihe zur Digitalisierung erschien in Ossietzky 9/2017.