erstellt mit easyCMS
Titel1118

Für Religionsfreiheit – mit einer Ausnahme  (Ulrich Sander)

Im Jahr 782 ließ der König der Franken und spätere Kaiser Karl der Große in Verden an der Aller 4500 Sachsen enthaupten, weil diese sich weigerten, Christen zu werden. Er erwies sich auch bei vielen anderen Gelegenheiten als missionierender Massenmörder. Dennoch wird Karl Jahr für Jahr in Aachen geehrt, indem ein Karlspreis verliehen wird. Es gab sogar das Karlsjahr, in dem die Zeit im Mittelalter vor 1200 Jahren glorifiziert wurde.

 

Seit dem Jahr 2014 lässt Kalif Abu Bakr al-Baghdadi im Irak und in Syrien Tausende töten, die sich nicht zum sunnitischen Glauben bekennen. Diese Form der Missionierung, die laut Spiegel online auf das Vorbild frühislamischer Gemeinden vor 1400 Jahren zurückgeht, wird seit Jahren mittels Bombardements von NATO-Staaten bekämpft.

 

Zu den Kriegern gegen den Kalifen gehören seit Jahren mehrere Karlspreisträger. Könnte es sein, dass sich der Kalif an dem Kaiser Karl orientiert? Oder an den christlichen US-amerikanischen Präsidenten, nicht nur Trump, die persönlich die Hinrichtung Tausender per Drohnen befahlen?

 

Die Menschheit braucht eine Selbstkritik der großen Kirchenfürsten, auf dass der Märtyrertod nicht länger glorifiziert wird. Denn anzunehmen, dass der IS nachhaltig beseitigt wird, indem seine Kämpfer getötet werden, ist ein Irrtum. Diese Kämpfer begrüßen doch den Märtyrertod und wünschen ihn sich herbei – derartig sind sie indoktriniert worden.

 

Eine Diskussion über den Einsatz der Selbstmordattentäter als heimtückische Waffe findet nicht statt. Ist Furcht vor Islamophobie der Grund? Im UN-Rat für Menschenrechte wurde im Sommer 2006 ein Antrag islamischer Staaten gegen die Islamophobie behandelt. Zugleich berieten Vertreter großer Weltreligionen über eine Erklärung gegen den Terrorismus. Beide Projekte waren mit einem Mangel behaftet: Es wurde die Tatsache des religiösen »Märtyrertums« der Selbstmordtäter nicht problematisiert. Das Ergebnis der damaligen Beratungen ist leider nie kommuniziert worden.

 

Es fällt auf, dass zwar der Terror der Islamisten allgemein verurteilt wird, aber niemand von Seiten sämtlicher Religionsgemeinschaften daran geht, die verbrecherische Anstiftung zum Märtyrertum der Selbstmordattentäter völkerrechtlich in Frage zu stellen. Liegt es daran, dass es in allen großen Religionen derartige Konzeptionen gab oder gibt? Sollte nicht von den Religionsführern verlangt werden, eine Konvention zu erarbeiten, die religiöses Märtyrertum als Mittel der Kriegsführung ächtet? Fällig wäre eine UNO-Erklärung, die besagt: Religiös verbrämte Kriegshetze darf nicht länger von der Religionsfreiheit gedeckt werden. Als Atheist, der stets Religiöses achtete, derzeit aber immer mehr fürchtet, frage ich ganz einfach: Warum sagt ihr nicht den potentiellen Selbstmordattentätern, dass ihr Tun sie in die Hölle, aber niemals ins Paradies führen wird?

 

Bertolt Brecht schrieb 1951 an die deutschen Schriftsteller und Künstler: »Völlige Freiheit des Buches, des Theaters, der bildenden Kunst, der Musik, des Films – mit einer Einschränkung. Die Einschränkung: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke, welche den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen, und für solche, welche den Völkerhass fördern.« Ich erlaube mir hinzuzufügen: Völlige Freiheit der Religion –  mit einer Einschränkung. Keine Freiheit der Religion, wenn sie Krieg verherrlicht oder als unvermeidbar hinstellt und den Völkerhass fördert. Keine Freiheit der Religion, wenn sie als Mordwerkzeug gegen sich und andere benutzt wird.

 

 

Leseempfehlung zum Thema »Karlspreis«: Hartwig Hohnsbein »Mit Blut gedüngt«, Ossietzky 12/2014