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Titel1118

Bemerkungen

»Der Westen auf die Couch!«

lesen wir in Rubikon vom 19. Mai. »Die westliche Kultur ist zweifellos besessen von Regeln, Schuld, Unterwürfigkeit und Bestrafung […]. Andre Vltchek legt den Westen auf die Couch und diagnostiziert eine sadistische Persönlichkeitsstörung.«

 

Dem kann ich nicht folgen. Gesamtkulturelle, sadistische Persönlichkeitsstörungen, sofern überhaupt möglich – selbst wenn wir ein bisschen Provokation durchgehen lassen – gehören (und passen) nicht auf die Couch. Schließlich ist der imperiale Überwachungsstaat doch nichts anderes als unabdingbares Instrument des Kontroll- und Herrschafts-Apparats der »0,1 Prozent« – des Diktats der Billionäre.

 

Nur so kann diese kümmerliche Gruppe zuverlässig eine enorme Mehrheit dominieren und ausnutzen. Und zwar global unter Beschlag aller Ressourcen unseres Planeten.

 

Und dies umso mehr, als die mentalen Kontrollmechanismen früherer Zeiten nicht mehr verlässlich sind: Papst und Pastoren, der überkommene Verhaltenskodex des Bürgertums und alle anderen Leitsterne der Ständegesellschaft. Auch wenn sich diese teilweise noch vor den Karren der »Eliten« spannen lassen.

 

Es ist also keine »sadistische Persönlichkeitsstörung« der Gesellschaft zu konstatieren, sondern eine bewusst herbeigeführte gesamtgesellschaftliche Fehlentwicklung. Dass dabei auch sadistische Neigungen bedient werden, beziehungsweise überkommene Vorstellungen von Schuld, Sühne und so weiter, bleibt Nebensache. Leitmotiv ist die Ausrottung des gesellschaftlichen Durchblicks und Gemeinsinns zugunsten einer radikalen Neudefinition des Zusammenlebens. Mit dem Ziel der Individualisierung und tiefgreifenden Verunsicherung aller. Die gesteuerte Pervertierung von Erziehung und Bildung erübrigen jeden weiteren Kommentar.

 

Sigmund Freuds Couch meinetwegen für die Verursacher, aber nicht für die westliche Kultur, was immer damit gemeint sein mag.               

        

Wolf Gauer

 

 

 

Aufgewacht?

Vor gut  einem Jahr hat Ossietzky den Transusen im Deutschen Gewerkschaftsbund zugerufen: »Wacht auf, Gewerkschaften im Lande!«, und siehe da, es scheint gefruchtet zu haben. Seither ist in den Nachrichtensendungen des Hörfunks und des Fernsehens öfter vom DGB oder einer Einzelgewerkschaft die Rede, als das bis dahin der Fall war. »Was hört man denn heute vom DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann oder vom IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann zu den großen Streitfragen der Zeit?«, fragte Ossietzky in Heft 10/2017. »Zu den geplanten neuen Milliardenausgaben für die NATO etwa, zu den Milliarden für ein neues Raketenabwehrsystem und für neue Kriegsschiffe.« Hat Reiner Hoffmann sich das zu Herzen genommen? Jedenfalls äußert er sich neuerdings öfter auch zu den großen Streitfragen der Zeit. Viel hat ihm das noch nicht eingebracht, wie das magere Ergebnis von 76,3 Prozent bei seiner Wiederwahl auf dem jüngsten DGB-Kongress gezeigt hat. Rund ein Viertel der Delegierten hat ihm wohl nicht verziehen, dass er sich auf einem SPD-Parteitag vehement für die Fortsetzung der Großen Koalition eingesetzt hat. Sie als »Dogmatiker« abzuqualifizieren wie in einer großen Tageszeitung geschehen, geht an der Sache vorbei. Es hat wohl eher etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, wie das gute Abschneiden von Annelie Buntenbach und Elke Hannack beweist, die mit 81,2 beziehungsweise 86,5 Prozent besser abschnitten als der Sozialdemokrat Hoffmann. Die eine wird den Grünen, die andere der CDU zugerechnet. 

 

Conrad Taler

 

 

 

Schöne-neue-Arbeitswelt-Splitter

Ein befristeter Arbeitsvertrag ist so etwas wie eine Galgenfrist.

 

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Biete Krankheitsdauer unter 20 Tagen in zwei Jahren – suche unbefristeten Arbeitsvertrag (Deutsche Post bevorzugt).

 

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Was nützt die beste Einstellung eines Bewerbers, wenn keine Einstellung möglich ist.

 

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Viele arbeiten für die Katz, damit wenige die Mäuse einstreichen können.

 

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Wenn es um gerechte Löhne geht, schlagen Unternehmer gern das Klageliederbuch auf.

 

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Langzeitarbeitslose gibt es so lange, wie es Langzeit-Kapitalbesitzer gibt.

 

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Lohnabhängige sind nicht rechtlos; sie haben das Recht, auch für wenig Geld und unter Verzicht auf betriebliche Sozialleistungen zu arbeiten. Oder: Jeder Arbeitslose kann sofort Arbeit finden, wenn er welche finden möchte – eine unter Tarif bezahlte Arbeit.

 

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Diplomierte oder sogar promovierte Praktikanten sind keine Rohdiamanten, die erst bearbeitet werden müssen.

 

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Warum sind im Arbeitsrecht nicht auch Abmahnungen und Verdachtskündigungen für die Unternehmensbesitzer vorgesehen?

 

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3,26 Millionen Menschen übten 2017 eine Nebenbeschäftigung aus. Wohl kaum alles nur gut bezahlte Abgeordnete.

 

Dietrich Lade

 

 

 

Alte Männer und Gebote

Was hat der Australopithecus, was haben »Jugend und Sexualität in primitiven Gesellschaften« (so der Titel eines Klassikers der Ethnologie) mit Terror und dem Strategischen Konzept der NATO zu tun? Die weit auseinanderliegenden Pole verbindet der pensionierte Professor für Zoologie Stefan Berking in seinem faktenreichen Buch. Als zentraler Begriff dient dem Autor der »Selektionsvorteil«, den Populationen erringen, wenn und solange sie Gebote und Tabus beachten. Oberstes Gebot bleibt bei Schamanen wie Politikern bis heute: Den alten Männern zuhören und gehorchen. Die dafür notwendige Unterdrückung wird effektiv durch Angst erzeugt – und dieser Mechanismus wirkt nach Berking auch heute; denn er wird nach wie vor in der Soziali-sation von Kindern und Jugendlichen genutzt.

 

Auf diese Weise bleiben archaische Denkweise und magisches Denken bis in unsere Gesellschaft wirksam. In einer spannenden Zusammenfassung trägt Berking zahlreiche aktuelle Beispiele von Manipulation und Propaganda der Herrschenden zusammen, die der Sicherung ihrer Macht dienen und kritisches Denken und Fragen verketzern und verhindern. Den Platz der »alten Männer« indigener Gesellschaften haben jetzt Regierungen eingenommen; das magische Denken blieb aber so wirkmächtig, dass das bestehende Vermögens- und Machtgefälle sogar von den Menschen am unteren Ende der Sozialleiter akzeptiert wird.

 

So faszinierend und anregend der ungewohnte Blick – illustriert durch Beispiele und Belege aus Ethnologie, Psychoanalyse und Politik – auf die Lesenden wirkt, so berechtigt ist der kritische Einwand: Der »Selektionsvorteil« als maßgebliche Einflussgröße müsste durch eine Gesellschaftsanalyse ergänzt werden. Es ist aufschlussreich, dass Begriffe wie Kapitalismus oder Neoliberalismus auch bei der Darstellung aktueller Herrschaftsverhältnisse und -methoden außen vor bleiben. Stefan Berking möchte aufklären, nach ihm soll Vernunft das Handeln bestimmen. Dafür reiche aber Aufklärung nicht, die Persönlichkeitsstrukturen müssten sich ändern – eine Aufgabe der Sozialisation also. Nur dadurch könne rationales, realitätsbestimmtes Handeln zum »Selektionsvorteil« mutieren. Hier bleibt aber noch Platz für Gesellschaftsanalyse jenseits der alten Männer und des Selektionsvorteils.

 

Georg Rammer

 

Stefan Berking: »Schimpansen haben keinen Jagdzauber und klopfen nicht an Holz. Zur Entstehung und Evolution des magischen Denkens«, Books on Demand, 232 Seiten, 8,99 €

 

 

 

Endstation Ödnis

Nach der Premiere von Tennessee Williams’ »Endstation Sehnsucht« im Berliner Ensemble am 22. April ging ich verdrossen nach Hause – Michael Thalheimers Regie hatte mir missfallen. Allein in dieser halsbrecherischen Schräge, auf der sich die Schauspieler abmühen mussten, erkannte ich wenig dramaturgischen Sinn. Auch nicht in den ohrenbetäubenden Klängen, die immer wieder die Handlung zerrissen – was sollten sie? Zugegeben, die beiden Hauptdarstellerinnen überzeugten, Cordelia Wege gab eine erschütternde Blanche, eine gequälte Frau, die ständig missbraucht wird, ständig den Missbrauch herausfordert, und Sina Martens erregte tiefes Mitgefühl für die geschändete, ihrem Mann hörige Ehefrau. Tennessee Williams‘ Stück über Sehnsucht und Leidenschaft steht und fällt aber mit dem Polen Stanley. Die Inszenierung fällt durch wegen der Darstellungsweise des Andreas Döhler, der steif und hölzern spielte und dessen Diktion miserabel war. Ein Blick auf Marlon Brandos Stanley im Film »A Streetcar Named Desire« hätte ihn gelehrt: Das kann ich nicht, dem bin ich nicht gewachsen, das ist unerreichbar vielschichtig. Viele sind berufen, wenige auserwählt. Hätte Döhler es doch gelassen und Regisseur Thalheimer gleich mit.                               

 

Walter Kaufmann

 

 

 

Drehers kalte Amnestie

Das Jahr 1968 scheint in besonderer Weise geschichtsträchtig. Nicht nur die Notstandsgesetze, das Attentat  auf Rudi Dutschke oder die Studenten- und APO-Bewegung sind in aller Munde.

 

Ein eher unrühmliches Ereignis steht dabei nicht so sehr im Mittelpunkt, hat es doch auch gar nichts mit den fortschrittlichen und gegen den »Muff aus Tausend Jahren« gerichteten studentischen Aktionen und Initiativen zu tun. Am 30. Mai 1968 wurde im Bundesgesetzblatt das »Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz« veröffentlicht. Es klingt unendlich harmlos, was vielleicht von seinen »Machern« auch so beabsichtigt war. In ihm war nämlich auch eine Änderung von § 50 Absatz 2 des Strafgesetzbuches »versteckt«, die weitreichende Folgen für damals noch in vielen Funktionen des gesellschaftlichen Lebens tätige alte Nazis hatte. Durch die bis zum Jahr 1960 erfolgte Gesetzgebung war ohnehin schon alles verjährt außer Mord. Mit der neuen Regelung kamen jetzt auch die Mordgehilfen in den Genuss dieser Segnung. Jetzt war zwingend bei diesen die Milderung der lebenslangen Zuchthausstrafe auf eine solche mit einer Obergrenze von 15 Jahren vorzunehmen. Als Gehilfe galten nach damaliger bundesdeutscher Rechtsprechung alle in Betracht kommenden Beschuldigten, Täter waren nur Hitler, Himmler oder Kaltenbrunner – alles Namen von Toten. Es wurde damit gleichzeitig rückwirkend »amnestiert«, da die mit einer solchen Obergrenze bedrohten Nazigewaltdelikte bereits zu diesem Zeitpunkt verjährt waren. So fielen denn auf dem Wege Tausende Täter durch die Maschen und entgingen ihrer gerechten Strafe.

 

Als Initiator dieser rückwirkend herbeigeführten Straflosigkeit gilt der damals im Bundesjustizministerium tätige Eduard Dreher, selbst erheblich nazibelastet, weil als Sonderstaatsanwalt in Innsbruck einst eingesetzt und an der Herbeiführung von Todesstrafen beteiligt. Als die gesetzliche »Intrige« bemerkt wurde, war es zu spät, die Änderung ohne Widerstand vom Parlament beschlossen!                    

 

Ralph Dobrawa

 

 

Druckfrisch

Rechtzeitig zum 50. Todestag von Fritz Bauer am 1. Juli  hat der Ossietzky Verlag unter dem Titel »Einem Nestbeschmutzer zum Gedenken« eine Sammlung von Texten veröffentlicht, die sich mit den ungeklärten Umständen seines Ablebens und den Anfeindungen befassen, denen der legendäre hessische Generalstaatsanwalt in der Nachkriegszeit ausgesetzt war. Verfasser ist der Publizist Kurt Nelhiebel, der den Kämpfer für die Würde des Menschen und unbeugsamen Antifaschisten Fritz Bauer persönlich gekannt und gegen seine Kritiker verteidigt hat. Nelhiebel war unter anderem Zeuge eines Streitgespräches zwischen dem Initiator des Auschwitz-Prozesses und dem späteren Bundeskanzler Helmut Kohl, in dessen Verlauf der damalige CDU-Landtagsabgeordnete dem von den Nazis verfolgten Fritz Bauer 1962 vorhielt, der zeitliche Abstand für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus sei noch zu kurz. Der Verfasser des Buches wurde kürzlich für die publizistische Aufarbeitung der jüngsten Geschichte Deutschlands mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.                                      

 

Red.

 

 

Kurt Nelhiebel (Conrad Taler): »Einem Nestbeschmutzer zum Gedenken«, Ossietzky Verlag, 120 Seiten, 10 € zzgl. 1,50 € Versandkosten, Bezug: ossietzky@interduck.net

 

 

 

Ein Täter

Reiner Engelmann hat im Kinder- und Jugendverlag der Verlagsgruppe Random House bereits so wichtige Bücher wie »Der Fotograf von Auschwitz« und »Wir haben das KZ überlebt – Zeitzeugen berichten« veröffentlicht, nun legt er mit »Der Buchhalter von Auschwitz« ein weiteres Buch vor, das Jugendliche mit den Verbrechen der Nazis bekannt macht. Oskar Gröning (1921–2018), der – wie er sagte – »ein kleines Rädchen« war, hat in Auschwitz das Geld, das den Häftlingen abgenommen wurde, sortiert und verwaltet. Nur dreimal habe er auf der Rampe gestanden und auf das Gepäck der Eingelieferten geachtet. Ihm war nicht wohl dabei, doch zum Widersetzen beziehungsweise zum Antrag auf Versetzung hat es nicht gereicht. Gröning machte mit und hatte nach 1945 Glück. Zwar wusste man von seinem Dienst, aber die Justiz hatte eine andere Vorstellung von »Beihilfe zum Mord«, als es nun heute endlich der Fall ist. Nach über 70 Jahren kam es zum Prozess.

 

Was war er für ein Mensch? Was und warum hat er das getan? War es nicht zu spät für einen Prozess gegen einen über Neunzigjährigen? Diese und andere Fragen beantwortet der Autor, der weiß, was Jugendliche wissen müssen und wissen wollen. Sachlich und konkret vertritt Engelmann den Standpunkt, dass nichts von damals vergessen werden dürfe. Stolz wirbt der Verlag mit dem Verdienst: »Das erste Jugendbuch, das sich mit dem Leben eines Täters auseinandersetzt!«                             

 

Christel Berger

 

 

Reiner Engelmann: »Der Buchhalter von Auschwitz. Die Schuld des Oskar Gröning«, cbj Kinder- und Jugendverlag, 219 Seiten, 16 €

 

 

 

Denkmal für Maud von Ossietzky

Maud von Ossietzky stritt – bisher kaum gewürdigt – an der Seite Carl von Ossietzkys für dieselbe Vision einer menschenwürdigen, gerechten, weltoffenen Gesellschaft ohne Rüstung, Militär und Krieg. Als Carl von Ossietzky 1936, gezeichnet durch Folter und Gewalt, unheilbar krank aus dem KZ Esterwegen zunächst ins Berliner Staatskrankenhaus der Polizei verlegt und schließlich in das an der Mittelstraße 6–8 in Berlin-Pankow gelegene Privatkrankenhaus Nord-end entlassen wurde, teilte Maud von Ossietzky mit ihm das Krankenzimmer bis zu seinem Tode. Maud von Ossietzky setzte ein ordentliches Grab für CvO durch; nur sie und die Tochter durften ihm im Rahmen einer stillen Bestattung das letzte Geleit geben. Öffentlichkeit und Blumen waren untersagt. Nach dem Ende des Nazireichs gehörte Maud von Ossietzky zu den Wiederbegründern der Zeitschrift Die Weltbühne. Nach einigem Hin und Her erhielt sie zusammen mit Hans Leonhard eine sowjetische Lizenz zur Herausgabe des Blattes, datiert auf den 1. Juni 1946.

 

Im Herbst 2017 stellten die Internationale Liga für Menschenrechte und der Freundeskreis der Chronik Pankow den Antrag zur Umbenennung der Pankower Mittelstraße in Maud-von-Ossietzky-Straße. An der Außenmauer des ehemaligen Nordend-Krankenhauses soll zudem ein Denkmal für Maud von Ossietzky entstehen und öffentlich zugänglich sein. Der heutige Eigentümer des Geländes ist bereit, die Umzäunung um die für das Denkmal benötigte Fläche zurückzusetzen.

 

Auf der Gedenkveranstaltung zum 80. Todestag von Carl von Ossietzky stellte der Pankower Künstler Gösta Gablick die Modelle zu Relief und Skulptur vor, die zu Maud von Ossietzkys Ehren an ihrem 130. Geburtstag, am 11. Dezember 2018, zusammen mit dem neuen Namen für die Mittelstraße enthüllt werden sollen. Die veranschlagten Kosten für das Denkmal belaufen sich auf gut 24.000 Euro. Der Betrag muss bis zum 15. Juli 2018 aufgebracht sein, damit die Arbeit an der Skulptur begonnen und das Denkmal rechtzeitig fertig wird.

 

K. K.

 

 

Spendenkonto: Internationale Liga für Menschenrechte, IBAN: DE20 100 2050 0000 3317 100, Bank für Sozialwirtschaft, BIC: BFSWDE33BER; Kennwort: Denkmal Maud von Ossietzky.

 

 

 

Der 131. katalanische Präsident

Erst im zweiten Wahlgang wurde Quim Torra am 14. Mai mit einfacher Mehrheit gewählt: mit 66 Ja-Stimmen gegen 65 Nein-Stimmen bei vier Enthaltungen. Torra hat die Absicht, eine katalanische Republik aufzubauen und dafür einen konstituierenden Prozess durchzuführen.

 

Ohne einen Eid auf die spanische Verfassung und Monarchie abzulegen, übernahm am 17. Mai der gewählte Quim Torra das Amt des katalanischen Regionalpräsidenten. In der kurzen, schlichten Zeremonie, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Palau de La Generalitat de Catalunya in Gegenwart des Parlamentspräsidenten Roger Torrent stattfand, schwor er »Treue gegenüber dem katalanischen Volk und dem Parlament«. Zur Erinnerung: Eine ähnliche Eidesformel sprach Carles Puigdemont bei seiner Amtseinführung, das Oberste Gericht hatte damals keine Einwände erhoben. Nun will die Partido Popular (PP) gemeinsam mit der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und der Ciudadanos eine Gesetzesinitiative ins Parlament von Madrid einbringen, die Amtsträger verpflichtet, die spanische Verfassung anzuerkennen.

 

Der Vereidigungsakt von Torra wurde live vom katalanischen Fernsehsender TV 3 übertragen. Einzige Symbole im Saal: die Senyera (katalanische Fahne) und das Medaillon, das den Regionalpräsidenten identifiziert. Als Symbol der Unterstützung und Solidarität mit den Inhaftierten und Exilierten trug der Präsident das gelbe Band. Nicht einmal drei Minuten dauerte die Amtseinführung. Die Regierung Madrid hatte ihre Teilnahme abgesagt.

 

Bisher gibt es vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy kein Gesprächsangebot an Quim Torra. Auch wurde der Verfassungsartikel 155 nicht aufgehoben, mit dem Madrid Katalonien regiert. Dabei hätte das gemäß der Verfassung und dem Beschluss des spanischen Senats vom Herbst 2017 sofort nach der Wahl des 131. katalanischen Regionalpräsidenten  geschehen müssen. In einem Interview mit TV 3 sagte Quim Torra: »Wir sprechen von einer humanitären Krise, wir haben Menschen im Gefängnis und im Exil.«

 

Quim Torras Wahl ist belastet von antispanischen Tweets, die er vor Jahren schrieb und für die er sich jetzt entschuldigte: »… wenn es jemand als Beleidigung verstanden hat, so tut es mir sehr leid«.

 

Die Vorstellung der Regierungsmannschaft am 19. Mai muss für den spanischen Ministerpräsidenten eine Provokation gewesen sein. In der Liste der neuen Mitglieder des katalanischen Exekutivrates stehen auch die Namen Jordi Tull (Regierungssprecher) und Josep Rull (Ratsmitglied für Nachhaltigkeit), beide befinden sich in Untersuchungshaft. Zwei weitere neue Regierungsmitglieder – Antoni Comín (Gesundheit) und Luís Puig (Kultur) – leben im belgischen Exil. Bereits einen Tag später kritisierte die spanische Zentralregierung den neuen katalanischen Ministerpräsidenten für seine Auswahl scharf. Er, Torra, habe es verpasst, sichtbar zu zeigen, dass er bereit sei, zur Normalität zurückzukehren. Allein die Regierung in Madrid, so Mariano Rajoy, sei zur Ernennung der Minister autorisiert.

 

Rajoy bestätigte, dass der Verfassungsartikel 155 der spanischen Verfassung für Katalonien derzeit nicht aufgehoben wird. Damit besteht der Ausnahmezustand in Katalonien weiter, obwohl eine neue Regierung gebildet ist. Dem neuen Beschluss haben neben Ministerpräsident Rajoy der Generalsekretär der PSOE, Pedro Sánchez, und Albert Rivera von der Partei Ciudadanos zugestimmt. Damit hat sich der radikale Rivera durchgesetzt.

 

Joaquím Urías, Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla, sprach in einem Beitrag für die spanische Tageszeitungs-Website eldiario.es von einem »juristischen Staatsstreich«. Er bezeichnet das Vorgehen gegen die Katalanen als »Rechtumgehung«, nennt es einen »großen Betrug«. Es sei Torra nicht verboten, so Urías, »einen Gefangenen oder eine im Ausland weilende Person zu ernennen«.

 

Carlos Carrizosa, Sprecher von Ciudadanos, hingegen glaubt, dass Torra mit seiner Wahl das Gesetz und die Verfassung gebrochen habe. Die Partei gab bekannt, dass sie gegen die Amtseinführung von Torra vor Gericht klagen werde.

 

Torras erste Dienstreisen führten ihn am 21. Mai in die Gefängnisse Estremera und Alcalá-Meco, in denen ehemalige Regierungsmitglieder auf ihre Prozesse warten.                             

 

Karl-H. Walloch

 

 

 

Urlaub des Kleingärtners

Man will es einfach nicht glauben …, aber die Urlaubszeit steht quasi vor der Tür. Eigentlich die schönste Zeit des Jahres. Kleingärtner haben da jedoch eine ganz andere Meinung, denn einen längeren Sommerurlaub übersteht ihr grünes Paradies meist nicht unbeschadet. Da ist guter Rat teuer. Die beste Lösung ist natürlich die Gartenbetreuung durch den Nachbarn, der auch gleich noch mit dem Lüften der Wohnung und dem Leeren des Briefkastens beauftragt wird.

 

Trotz dieser Vorsorge verreist der wahre Gartenfreund nur schweren Herzens. Die Sorgen und Befürchtungen um seinen privaten Garten Eden belasten zusätzlich sein Urlaubsgepäck. In der Ferne findet er schließlich keine Ruhe. Von Erholung kann keine Rede sein, ständig kreisen seine Gedanken um die heimischen Tomatenpflanzen und den geliebten Rasen. Ob der Nachbar sie auch nicht vernachlässigt?! Also erkundigt man sich täglich telefonisch nach dem Zustand des Gartens. Per Smartphone ist man über Temperaturen und Regenmenge in den heimatlichen Gefilden genauestens unterrichtet, so dass man gezielte Ratschläge zur Bewässerung geben kann, verbunden mit Hinweisen zur eventuellen Schädlingsbekämpfung, und das Unkraut sollte auch nicht überhandnehmen.

 

So wird jeder Urlaubstag zu einer Seelenfolter. Wieder daheim, eilt der Kleingärtner schnurstracks in seinen geliebten Garten, wo er den Rasen vertrocknet vorfindet, die Beete sind voller Unkraut und an eine Tomatenernte ist in diesem Jahr nicht zu denken. Da bleibt nur ein vorwurfsvoller Blick für den hilfsbereiten Nachbarn und der feste Vorsatz: Nie mehr Urlaub!

 

Manfred Orlick

 

 

 

Zuschriften an die Lokalpresse

»Ich werde oft Versuchskaninchen sein«, erklärte der deutsche Astronaut Alexander Gerst sein für den 6. Juni vorgesehenes zweites Abheben auf die internationale Raumstation ISS. Wie der Berliner Kurier mitteilte, wird das Wissenschaftler-Team aus ihm als Leiter, einer US-Astronautin und einem russischen Kosmonauten bestehen. Hört, hört! Eine US-Wissenschaftlerin, ein Landsmann Putins und ein bundesdeutscher Astronaut vereint in einer engen Kapsel! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen bei all den Beschuldigungen, Vermutungen und Unschuldserklärungen der Mächte über Raketeneinsätze und Giftattacken der letzten Wochen! Aus oder an heiterem Himmel plötzlich eine Gemeinschaftsaktion der Vernunft! Der Handelskrieg eskaliert, und die Kontrahenten weisen Diplomaten aus, aber ihre Wissenschaftler durchrasen von Baikonur aus in trauter Gemeinschaft das All, betrachten den immer verrückter und unbeherrschbarer werdenden Planeten Erde aus der Ferne und wollen durch Experimente dazu beitragen, »Krankheiten in Zukunft womöglich besser« zu behandeln. Welche Krankheiten sind gemeint? Aggressivität? Zeckenbisse? Vergesslichkeit gegenüber internationalen Abkommen und Verpflichtungen? Lügengespinste? Sollen Fluchtwege von der Erde ins All erforscht und Gefährdete gegebenenfalls vom Planeten evakuiert werden? Oder soll durch Experimente demonstriert werden, wie die gegensätzlichsten Auffassungen überwunden werden können, wenn sich ihre politischen Vollstrecker zeitweilig, verantwortungsbewusst und unausweichbar auf kleinstem Raum um Lösungen bemühen? Zu solchen »Versuchskaninchen« kann man der Menschheit nur gratulieren! Ich wünsche dem Gerst-Team ein erfolgreiches Unternehmen! – Paul Ratgeber (75), Unternehmer a. D., 98663 Hellingen

 

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»Ein Küsschen in Ehren kann niemand verwehren!« ist ein geflügeltes Wort, das ich schon seit meiner Jugendzeit kenne. Neulich fiel es mir wieder ein, als die Medien den Begrüßungsknutsch von US-Präsident Trump auf die Wange der angereisten bundesdeutschen Kanzlerin weltweit verbreiteten. Diese intime Art der Ehrerbietung ist unter politischen Großkopfeten nichts Ungewöhnliches, aber man darf nicht zu viel hineininterpretieren. Nachdem sich DDR-Honni und SU-Breshnew seinerzeit feucht umarmt hatten, reichte das historische Konterfei später gerade noch für einen Platz an der Mauergalerie. Vielleicht wird das Begrüßungszeremoniell der gegenwärtigen USA- und BRD-Regierungschefs eines Tages auch am Mauerrest zwischen den USA und Mexiko das wundersame Auf und Ab der Weltgeschichte dokumentieren. Es muss ja nicht gleich so sein wie bei dem Freundschaftsfoto des Präsidenten Sarkozy mit dem ehemaligen libyschen Machthaber, an dessen politischem Finale der französische Foto-Partner später kräftig mitgedreht hat. Überhaupt sollten Personen der Öffentlichkeit mit Liebkosungen besonders sorgfältig umgehen. Immer wieder erfährt man aus der Presse, wie manch herzlicher Kontakt mit 20- oder 30-jährigem Abstand umgedeutet werden kann. – Sebastian-Wotan Knutschback (51), Beziehungskonsultant, 54689 Irrhausen                    

 

Wolfgang Helfritsch