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Titel1120

Gesundheit und Rüstung  (Conrad Taler )

»Jetzt muss endlich was passieren, weil sonst etwas in mir zerbricht«, sang Konstantin Wecker vor 43 Jahren, und im Refrain bekannte er: »Genug ist nicht genug, ich lass’ mich nicht betrügen. Schon Schweigen ist Betrug. Genug kann nie genügen.« Seither ist vieles passiert, wenn auch nicht das, was sich Konstantin Wecker erhoffte, sogar Undenkbares, wie jetzt die Corona-Pandemie, von der manche behaupten, nach ihr werde nichts mehr so sein, wie es mal war.

 

Bis auf ein paar Äußerlichkeiten wie das Tragen von Gesichtsmasken und ein paar geänderte Benimmregeln wird sich wohl nicht viel ändern. Der Rüstungswahnsinn zum Beispiel bleibt uns sicher erhalten. Die politischen Akteure haben ihn so verinnerlicht, dass sie nichts dabei finden, für die Bundeswehr einen Panzer wie den Leopard 2 angeschafft zu haben, der nach Herstellerangaben 340 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbraucht. Dieselben Leute reden uns heute ein, wir sollten der Umwelt zuliebe möglichst keine Dieselfahrzeuge mehr benutzen und uns stattdessen ein Auto mit Elektroantrieb zulegen. Wenn es nur das wäre!

 

Als die Corona-Krise den Horizont zu verdüstern begann, gab der Haushaltsausschuss des Bundestages am 11. März grünes Licht für die milliardenschwere Entwicklung einer neuen Panzergeneration. Gepriesen wurde das Vorhaben als wichtiger Schritt in der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. Zu derselben Zeit, da Eingeweihte sich sorgten, ob genügend Betten für Corona-Patienten bereitstünden, verhandelte Annegret Kramp-Karrenbauer mit den USA zur Sicherung der »nuklearen Teilhabe« Deutschlands über den Kauf neuer Kampfflugzeuge, die in Deutschland gelagerte Atombomben im Falle eines Falles ins Ziel bringen sollen. Ein selbstmörderisches Hirngespinst, unvereinbar mit dem deutschen Verzicht auf Atomwaffen.

 

Um welche Summen es bei modernen Kampfflugzeugen geht, lässt sich am Preis eines entsprechend ausgerüsteten Pilotenhelms ablesen. Er kostet so viel wie 30 VW-Golf zusammen, nämlich 737.800 Dollar. Gab es einen Aufschrei des Protestes angesichts dieser irrwitzigen Summe? Mitten in der Corona-Krise wurde in Berlin über die nachträgliche Bewaffnung ferngesteuerter Aufklärungsdrohnen der Bundeswehr diskutiert, also über ihre Umwandlung in Killermaschinen, wie sie von den USA zur Tötung von Menschen vom Schreibtisch aus benutzt werden. Das sei wichtig für den Schutz unserer Soldaten in Mali, hieß es dazu. Fragt man, was die Soldaten dort eigentlich machen, dann heißt es, sie verteidigen, wie einst am Hindukusch, unsere Sicherheit. In Wirklichkeit schützen sie wohl eher den Abbau von Uran, das Frankreich dort für seine Kernkraftwerke und seine Atombomben aus dem Boden holt.

 

Mitten in der Corona-Krise, als viele Betriebe um ihre Existenz bangten und keiner so recht wusste, wie viel Geld es wohl kosten würde, der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, sagte die Bundesregierung der NATO insgeheim zu, die deutschen Verteidigungsausgaben erstmals auf mehr als 50 Milliarden Euro jährlich zu erhöhen; das entspricht einer Steigerung um 6,4 Prozent. Offiziell hält die Regierung damit immer noch hinter dem Berge. Die Deutsche Presse-Agentur hat nach eigenen Angaben aus NATO-Kreisen in Brüssel davon erfahren und den Coup in Berliner Militärkreisen bestätigt bekommen. So kam die Sache an die Öffentlichkeit.

 

Gab es wenigstens in diesem Fall einen geharnischten Protest von wem auch immer? Zu mehr als dem dezenten Hinweis, auch etwas für die Abrüstung zu tun, konnte sich die SPD nicht aufraffen. Dabei wird es auf absehbare Zeit kaum eine günstigere Gelegenheit geben, das Thema Abrüstung als vordringlich auf die Tagesordnung zu setzen, als gerade jetzt, da sich mehr Menschen als jemals zuvor Gedanken über die Zukunft machen. Der Anteil der Militärausgaben am deutschen Bruttoinlandsprodukt ist nicht groß, wie man vermuten könnte; er beträgt nach Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI etwas mehr als ein Prozent. Die deutsche Wirtschaft und der Arbeitsmarkt würden also nicht zusammenbrechen, wenn die deutsche Rüstungsindustrie kürzer treten müsste beziehungsweise in andere metallverarbeitende Bereiche expandierte.

 

Man stelle sich vor, die Medien rund um den Globus verbreiteten eines Tages die Nachricht, Deutschland habe als Konsequenz aus der Corona-Krise seine Militärausgaben zugunsten des Gesundheitswesens um die Hälfte gekürzt. 25 Milliarden – auf einen Schlag frei für lebensrettende Investitionen! Die elektrisierende Wirkung wäre gewaltig. Vielleicht sänge uns Konstantin Wecker dann auch ein neues Lied und sein sanftes »Genug ist nicht genug« bekäme einen ganz neuen Klang.