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Transjektive Matrixialität am Tor zur Welt  (Monika Köhler)

Ach: »Zum ersten Mal ...«, kaum eine Ausstellung, die sich nicht mit dieser Angabe schmückt. Hier in den Hamburger Deichtorhallen wird der Satz so fortgesetzt: »seit der deutschen Wiedervereinigung ...«, oh, »wird der Versuch unternommen, einen möglichst umfassenden Überblick über die gegenwärtige Malerei in Deutschland zu geben.« Dreiundfünfzig Künstler/innen wurden ausgewählt (aus zweihundert), alle um die Vierzig. An der Ausstellung: »Jetzt! Junge Malerei in Deutschland« waren verschiedene Veranstalter beteiligt: das Kunstmuseum Bonn, das Museum Wiesbaden, die Kunstsammlung Chemnitz – Museum Gunzenhauser. Als letzte Station der Präsentationen nun die Hamburger Deichtorhallen. Insgesamt wirkten sieben Kurator/innen mit. Die Ausstellungen fallen unterschiedlich aus, in Hamburg werden nur je drei Werke gezeigt. Coronabedingt nun bis zum 9. August verlängert. Die weiträumigen Hallen geben den meist großformatigen Gemälden den passenden Rahmen – auch praktisch für den nötigen Abstand der Besucher.

 

»Weltweit angesehen« sei die deutsche Malerei, so die Presseinformation. Diese Bilder, in den beiden letzten Jahren entstanden, können sie einen »gültigen Querschnitt« zeigen? Alle Stile der Moderne sind vertreten, viel Abstraktes, aufregend Neues fehlt – vor allem gesellschaftskritische und soziale Themen. Lassen sich die auf einem Tafelbild heute nicht mehr vertreten? Heißt das Titel-»Jetzt« der Ausstellung Aufbruch oder – auf die Künstler bezogen – jetzt muss er gelingen, der Aufstieg? Der Besucher kann selbst entscheiden, wie er ein Bild einordnet. Das Begleitheft ist wenig hilfreich mit Formulierungen wie: »Leiblichkeit, Antlitz und transjektive Matrixialität« zu den Bildern von Vivian Greven. Was ist zu sehen? Digitale Kühle, alles hell, klinisch. Ein Frauenkörper, schemenhaft, die Brust, eine Hand, die sie berührt. Die Farben, unwirklich pastellig. Das einzig Auffallende: ein blutroter Strich, wie ein Schnitt an der Brust. Das alles spricht für sich, für eine Realität, die der Interpret Georg Herzberg – ein Mann – wohl nicht wahrnehmen will. In der Ausstellung Werke von etwa gleich viel männlichen und weiblichen Künstlern.

 

Lydia Balke gibt Rätsel auf. Im Begleitheft Dialoge, die Balke zitiert. Wer sagt was warum? Ihr Triptychon, auf jedem Bild drei junge Menschen, ein Mädchen mit Pistole und ein Wolf. Alles strahlt Gewalt aus und Kälte. Die kleinen Schneemänner brauchte es dazu nicht. Die Besucher neben mir sagen: »Da sind wohl viele Anspielungen drauf. Und eine hat geschossen.« Ratlosigkeit. Gegenüber ein Stillleben mit angeketteter Vase von Vera Palme.

 

Das Bild »Halbzeit« von David Lehmann, der in Cottbus lebt, ist vielleicht auch ein Triptychon, schwarze Striche unterteilen die lange Leinwandbahn. Die Geschichte zum Bild, das von weitem lockt, wer will, kann sich darin verlieren. Realistisch, fantastisch, drastisch, brutal. Die Tätowierung am Arm eines Mannes – in einem Herz AfD – kann leicht übersehen werden. So viele selbstüberhebliche Männer. Auch etwas Selbstironie ist dabei.

 

Sebastian Gögel zeigt Robotermenschen mit Röhrenarmen, die wohl keine Hände brauchen: »Hyberchon«. Die beiden Ganoventypen in »Leumund« umarmen sich, aber eine Hand drückt schon am Hals des anderen. Die andere, rote Hand, umklammert ein Weinglas. Anklänge an George Grosz. Auf Simon Modersohns Gemälden fehlt etwas: der Mensch. Doch er war da, ist gerade mal weg – neues Material vom Baumarkt holen? Der Garten, vollgestopft mit diesen Dingen. »Heckenschützen« – sind es die Kleingärtner? Eckig geschnittene Büsche, Leiter, Elektrorolle, eine starke Lampe, ein hohes Stativ – alles nötig, um die Natur zu frisieren. In »Round-up« ragt ein rundes Schwimmbecken mit Leiter weit aus dem Boden. Ein tonnenförmiger Schuppen mit orangefarbenem Licht. Keine Menschen. Warum dieser Titel? Glyphosat gegen Unkraut im Garten. Im Begleitheftchen ist von »oftmals humorvoller Ebene« die Rede. Danke.

 

Die Ausstellung »Jetzt« in Hamburg wird durch eine zweite ergänzt: »Quadro«. Das sind vier Künstlerinnen. Kurator ist Dirk Luckow, der Intendant der Deichtorhallen. Gedacht als eine »Antwort« auf die vorhergehende Schau: »Die jungen Jahre der Alten Meister« (siehe Ossietzky 19/2019). Die »Alten Meister«, alles Männer. Die deutsche Vergangenheit, von der diese Generation geprägt wurde – die vier Frauen haben sie nicht erlebt. Wichtig aber, der »Siegeszug« durch die US-amerikanischen Museen – noch immer? Hauptsache: »im Ausland viel Beachtung«. Kerstin Brätsch, 1979 geboren, lebt jetzt in New York. Ihr Bild, wie ein Fries eine ganze Wand sich entlangziehend, mit plastischen Elementen angereichert, auch Glas und Blei, zeigt eine Urwelt, Dinosaurier – die Gegenwart? Im Begleitheft geht es vor allem darum, »welchen Vorrat an Formulierungen, Formeln und Symbolen sich die Malerei aktuell geschaffen hat«. Nur die Form?

 

Stefanie Heinze, 1987 geboren, interessieren die Nicht-Ausführung (anti-achieve) und das Unmögliche (impossibility). Immanent sei das »Persönliche« ebenso wie das »Politische« für sie. Ich erkannte wenig davon, eine Prise Walt Disney vielleicht. Was ich nicht sah: »schlaffe Penisse« und fliegende »Karotten«. In den Infos ist von einer »Art pseudo-optimistischer Eigenkreation entgegen dem Nonsens« die Rede, ein »newsense« – ach so.

 

Laura Link, ebenfalls 1987 geboren, will dagegen das zeigen, was versteckt werden soll, das Unschöne, Morbide. So ein riesiges dunkles Muttermal, das den Rücken beherrscht wie ein wildes Tier. In »Badass Nails« beherrscht ein riesiger Fuß das Bild mit Nägeln, die braun und bröcklig-zerfallen sind – allzu realistisch auf dem übergroßen Gemälde. Nicht dekorativ fürs Wohnzimmer. Ergänzt wird der Schrecken von extrem langen Fingerspitzen, die metallisch wie Dolche hervorstechen.

 

Die vierte Künstlerin, Kati Heck, 1979 geboren, malt altmeisterlich real, doch mit viel Ironie. Sie lebt in Belgien. Ihr »Meisterengelchen Puff« ist ein weiblicher Engel mit weit ausgreifenden Flügeln. Die Figur stützt sich auf einen Baumast, der in einen zarten Entenkopf übergeht, trägt Arbeitshosen, wozu? Das Gesicht ist zum Weinen verzerrt, warum? Fragen, die auch das Bild »Vorbesprechung« aufwirft. Drei kleine Kinder, ein Mädchen in etwas Rotes gehüllt und in einen rosa Sessel gefläzt. Es sieht den Betrachter direkt an mit einem Blick wie Oskarchen aus der »Blechtrommel« – auch etwas erotisch. Auf einem kleinen Rolltisch steht ein nackter Junge. Seine Handhaltung maniriert. Ein rosa-häutiges Mädchen, hellblond mit blauen Augen, aus denen eine Träne rollt.

 

Was soll der Bildtitel? Die Kinder stehen auf schwankendem Boden, die Holzdielen brechen auf – ihre Zukunft?