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Titel1208

Militarismus contra Grundrechte  (Bernd C. Hesslein)

Die Bundesrepublik ist nach herrschender Meinung ein Rechtsstaat, Ausnahmen eingeschlossen, und die Bundeswehr hat die Aufgabe, ihn zu schützen. Ob nur nach außen oder auch im Innern oder nun am Hindukusch, wie der große Stratege Struck meint – diese Entscheidung unterliegt dem Wandel der Parteienpolitik. Die Bundeswehr hat aber auch ein eigenes Recht. Die 59 Paragraphen des Soldatengesetzes sind teilweise nicht mehr als eine Benimmfibel für einen ehrpusseligen Orden und stehen häufig im Widerspruch zum Freiheitsgebot der Gesellschaft; sie schränken sogar die Grundrechte der Verfassung ein. Gerade eben ist die Generalität dabei, mit Hilfe des Soldatengesetzes ihr Mütchen zu kühlen.

Zielscheibe und Opfer ist der Stabsoffizier Jürgen Rose, tätig im Wehrbereichskommando IV in München. Der diskussionsfreudige und sattelfeste Oberstleutnant – Ossietzky-Leserinnen und Leser kennen ihn – empört sich darüber, daß sich die Politiker haben verleiten lassen, das Völkerrecht zu brechen und an Kriegsverbrechen teilzunehmen. Die Bundesrepublik und vor allem die Generäle als Berater der Regierung wie als verantwortliche Kommandeure müßten sich nach den Lehren aus dem moralischen Versagen der Wehrmacht richten, fordert er. Doch die Angesprochenen haben jahrelang nur geschwiegen. Dann verlangten sie eine Disziplinarbuße von 750 Euro (Ossietzky berichtete darüber). Ende vergangenen Monats schlugen sie heftiger zu: Rose soll 3000 Euro Disziplinarbuße zahlen – eine Abschreckungsaktion, wo Aufklärung und Rechtfertigung dringend geboten sind.

Dreitausend Euro, in drei Monatsraten abzuzahlen, sind eine happige Strafe, die einer einsehbaren Begründung bedarf. Zwar hat es eine Anhörung gegeben, doch sie erwies sich als Farce; die Einwände und Begründungen des Oberstleutnants blieben unerörtert. Er erfuhr auch nicht, auf welchen Gebührenkatalog sich die Disziplinarbuße bezieht und wo der Betrag verbucht wird. Ein dürftiger Hinweis unter dem Rubrum »Dienstpflichtverletzungen«, zusammengestoppelt aus dem Soldatengesetz, soll hinreichen, um Ruhe im Beritt zu schaffen. In acht knappen Zeilen an den Oberstleutnant heißt es: »Sie haben damit gegen

§ 7 des Soldatengesetzes (Pflicht zum treuen Dienen) verstoßen, der Loyalität gegenüber Staat und Dienstherrn bei der Äußerung in sicherheits- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten im Dienst fordert;

§ 10 Abs. 6 SG (Pflicht zur Zurückhaltung) verstoßen, der Zurückhaltung bei Äußerungen von Offizieren innerhalb und außerhalb des Dienstes fordert, wenn diese in die Öffentlichkeit oder Untergebenen zur Kenntnis gelangen können;

§ 15 Abs. 1 SG (Pflicht zur eingeschränkten politischen Betätigung) verstoßen, der von Soldaten politische Neutralität und Zurückhaltung im dienstlichen Bereich fordert.«

Auch nach 60 Jahren kann die Bundeswehr ihre Herkunft nicht verleugnen: Sie ist aus den Kadern der Wehrmacht entstanden. Ehrenerklärungen von Dwight D. Eisenhower, dem Oberkommandierenden der westlichen Alliierten, und Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler unter den Besatzungsmächten, erübrigten Reue und Trauer über das eigene Tun. Wer als ehemaliger Wehrmachtssoldat in die alten Kasernen mit den alten Heldennamen einzog, war und blieb geprägt von der Sozialisation im Hitler-Reich. Es gab keine andere Wahl, behauptete Adenauer. Aber es gab auch keinen erkennbaren Willen, die Bundeswehr in dem radikal neuen Geist zu erziehen, der sich in anfänglichen Bekenntnissen manifestierte. Um die innere Verfassung der sogenannten Parlamentsarmee kümmerte sich die Politik wenig, oft und gern verzichtete sie auf ihre Weisungsbefugnis, es sei denn, es geht um neue Orden und Ehernzeichen oder ein eigenes Ehrenmal für die sinnlos in den Tod geschickten Soldaten. Es ist der alte Schwindel.