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Die NATO wird gesmartet  (Arno Klönne)

In Chicago trafen sich die politischen Strategen des nordatlantischen Militärbündnisses und heckten etwas aus, das sie »smart defense« nennen. Politiker und Parteien haben dem Vorgang nur wenig Beachtung geschenkt, der gängige Kommentar sieht so aus: Auch bei der Rüstung müsse nun Sparsamkeit walten, und deshalb seien die NATO-Staaten zum »pooling and sharing« übergegangen, zu mehr Gemeinsamkeit bei der Anschaffung und dem Gebrauch von Waffensystemen. Nichts weiter Aufregendes also in jenem Politikressort, das den beruhigenden Titel »Verteidigung« trägt?

Nikolaus Busse, Militärexperte der FAZ, sieht das anders. »Zeitenwende für die NATO« überschrieb er seinen keineswegs kritisch gemeinten Leitartikel zu den Chicago-Plänen, und diese Betitelung ist realistisch.

»Smart« läßt sich übersetzen mit »gerissen«. Diese Eigenschaft hat der neue militärpolitische Entwurf. Staatsfinanzliche Notwendigkeiten vorschiebend gibt er der NATO eine neue Architektur: »In einer dermaßen integrierten Verteidigung kann kein Land mehr autark entscheiden, wie es sich im Bündnisfall verhält«, heißt es in der FAZ. Mit anderen Worten: Alle NATO-Staaten sind gleich, aber einige sind gleicher, und einer ist am gleichesten, wenn darüber zu befinden ist, wo, wann und auf welche Weise das Bündnis seine militärischen Fähigkeiten in der weiten Welt einsetzen soll, »präventiv« selbstverständlich oder zum »Schutz der Menschenrechte« und als »Hilfsmaßnahme« für »gescheiterte Staaten«. Durch Modernisierung der militärischen Technologie und Logistik wird die Hierarchie unter den NATO-Staaten noch krasser: ganz oben die USA und im europäischen Terrain als einer der Statthalter die Bundesrepublik, die sich dann gelegentliche militärische Absenz, wie in den Fällen Irak und Libyen, nicht mehr leisten kann. »Smart defence wird noch höhere Anforderungen an unsere Bündnisbereitschaft stellen, Deutschland wird sich prinzipiell aus keiner NATO-Operation mehr heraushalten können«, stellt zufrieden der CDU-Politiker Karl A. Lamers fest, er präsidiert der Parlamentarischen Versammlung der NATO.

Plausibel ist, daß ein so gesmartetes Bündnis auf einzelstaatliche Bedürfnisse nach demokratischer Regelung auch der Militärpolitik keine Rücksicht mehr nehmen kann. Und der »Parlamentsvorbehalt«, in der Bundesrepublik grundgesetzlich vorgesehen? »Kann man den Einsatz von Truppenteilen, die Deutschland für andere Verbündete stellt, wirklich noch von der Zustimmung des Bundestages abhängig machen?« – fragt Nikolaus Busse. Nicht wirklich, seine Frage ist rhetorisch. Also sind verfassungsrechtliche Bemühungen zu erwarten, um die Einfügung der Bundesrepublik in die Methode »smart defence« reibungslos zu gestalten. SPD und Grüne werden dem nicht im Wege stehen. Sigmar Gabriel hat schon signalisiert, daß »notfalls« Änderungen im Grundgesetz vorzunehmen seien, um der Bundesrepublik bündnispolitisch mehr »Vertrauen« zu verschaffen, militärische Bequemlichkeit wie während des Krieges gegen Gadaffi soll sich nicht wiederholen. Schließlich zieht Deutschland aus alledem seinen machtpolitischen Gewinn, durch die zukünftige NATO-Systematik wird sein Vorrang gegenüber kleineren europäischen Staaten auch militärisch befestigt.

Was in Chicago sonst noch verabredet oder bestätigt wurde: Das neue, gen Osten gerichtete Raketenabwehrsystem der NATO, von der Türkei bis Polen, soll trotz aller Klagen Rußlands errichtet werden. Auch nach dem »Abzug« von Truppen 2014 aus Afghanistan wird dort die NATO militärisch präsent bleiben, in neuer Form. Und atomare Rüstung ist eine unverzichtbare Komponente der NATO-Militärdoktrin. Alles ganz smart.