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DGB auf Gro-Ko-Kurs  (Arno Klönne)

Sigmar Gabriel ließ sich eine einprägsame Formel einfallen, um die Delegierten des DGB-Bundeskongresses auf die großkoalitionäre Linie zu verpflichten: Dank gewerkschaftlicher Ermahnungen habe die SPD zu »ihrem Kompaß zurückgefunden« – also könnten nun die Arbeitnehmerorganisationen volles Vertrauen in die Politik der Bundesregierung setzen, seine Partei biete Gewähr dafür. Das »Parlament der Arbeit« erledigte routiniert seine statuarischen Pflichten, Erregungszustände blieben aus.

Ohne Gegenkandidatur wurde als Nachfolger Michael Sommers der neue Bundesvorsitzende Reiner Hoffmann gewählt, ein erfahrener innergewerkschaftlicher Diplomat, zuletzt Landesleiter der sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie in Nordrhein-Westfalen. Er wird sich darauf konzentrieren müssen, Rivalitäten zwischen den Großverbänden IG Metall und ver.di auszugleichen und die kleineren Mitgliedsorganisationen des DGB nicht zu verärgern. Seit Jahren schon ist der Stellenwert des »Bundes« in der gewerkschaftlichen Politik verhältnismäßig gering, sein gesellschaftlicher Einfluß schwach; längst vorbei sind die Zeiten, in denen die Unternehmer vor dem DGB als einem »Staat im Staate« warnten. Und noch immer leidet die gesellschaftspolitische Reputation der Gewerkschaften darunter, daß diese nicht in der Lage waren, die Agenda 2010 eines sozialdemokratischen Kanzlers zu verhindern.

Umso mehr wurden nun beim DGB-Bundeskongreß sozialpolitische Projekte der Großen Koalition als Erfolge der Gewerkschaften herausgestellt: der gesetzliche Mindestlohn und der Renteneinstieg mit 63 Jahren. Das Verhältnis der DGB-Gewerkschaften zur SPD ist wieder enger geworden, Andrea Nahles als Bundesministerin wurde auf dem Kongreß freundlich behandelt. Kaum zum Ausdruck kam, daß die erwähnten und so positiv gewürdigten sozialen »Wohltaten« der Bundesregierung bescheidene Korrekturen einer Problemlage sind, die historisch aus der gesellschaftspolitischen Schwäche der Gewerkschaften resultiert.

Joachim Gauck pries in seiner Begrüßung des DGB-Kongresses die derzeitige gewerkschaftliche Position als Gewinn für die Bundesrepublik. Einst als »Dinosaurier« betrachtet, seien nun die gewerkschaftlichen Organisationen »vitale Teilnehmer des politischen Diskurses«, und »die Politik« gehe auf ihre »Kernanliegen« ein. Der Grund dafür: Von der »Konfrontation« habe der DGB sich gelöst, die sei auch für die Gesellschaft »zu teuer«; erfreulicherweise befinde sich Deutschland am Ende der internationalen Streikstatistik, der deutsche Arbeitnehmer aber im internationalen Wohlstandsranking »ganz weit vorn«. Was die wachsende Schicht der »prekär« Beschäftigten hierzulande von einer solchen bundespräsidialen Einschätzung der sozialen Lage halten mag und welche Folgen die sogenannte Flexibilisierung im Arbeitsmarkt und in den Erwerbsstrukturen für die zukünftige deutsche Gesellschaft zeitigen wird, ist eine Frage, der sich der DGB-Bundeskongreß nicht stellte. Eine Auseinandersetzung damit hätte auch die Zufriedenheit mit dem Projekt Mindestlohn gestört; daß dieses eine umfassende arbeitspolitische Patentlösung bietet, ist aber nicht anzunehmen.

Ein interessanter Konflikt spielte sich auf dem DGB-Kongreß denn doch ab, allerdings ziemlich verdeckt, in den Finessen bei der Formulierung eines Beschlusses, die »Tarifeinheit« in den Betrieben betreffend. Es geht um das Prinzip »Ein Betrieb, ein Tarif«. Der DGB und die Arbeitgeberverbände waren 2010 auf die Idee gekommen, »Wildwuchs« von Arbeitnehmervertretung zu verhindern und kleinere gewerkschaftliche Organisationen außerhalb des DGB wie die von Lokführern, Piloten et cetera zurückzudrängen durch ein Gesetz, das tarifliche Vereinbarungen zum Privileg der jeweils mitgliederstärksten Gewerkschaft in einer Firma machen sollte. Kleinere Arbeitnehmerorganisationen würden damit auch das Streikrecht verlieren, sie wären an eine von ihnen selbst gar nicht ausgehandelte »Friedenspflicht« gebunden. Eben deshalb entwickelte sich gegen diesen Plan Widerspruch an der gewerkschaftlichen Basis, vor allem bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, und der DGB-Vorstand mußte zurückstecken. Im Koalitionsvertrag für die jetzige Bundesregierung jedoch ist ein solches Gesetz vorgesehen. Beim DGB-Bundeskongreß hatten die Gegner einer solchen Art von »Tarifeinheit« die Mehrheit, und es wurde ein Beschluß gefaßt, der darauf pocht, jeder Eingriff in das Streikrecht sei abzulehnen. Der neue DGB-Bundesvorsitzende hätte eine sanftere Formulierung vorgezogen, denn die Große Koalition zielt weiterhin ein Gesetz zur »Tarifeinheit« an. Allerdings gibt auch der jetzt beschlossene Text dem DGB-Vorstand durchaus »Spielraum«, wie die FAZ und der Arbeitgeberpräsident beruhigt erklärten; insofern ist nicht ausgeschlossen, daß demnächst per Gesetz die Möglichkeit zum Streiken weiter eingeschränkt wird, im Interesse der Unternehmen und bei Bedenken des DGB – aber ohne »Konfrontation«, um den Begriff des Bundespräsidenten zu verwenden. Die kleinen Konkurrenten der DGB-Gewerkschaften stünden dann ohnmächtig da; aber auch den gewerkschaftlichen Großverbänden würde eine solche Regelung alles andere als »Vitalität« bringen. Fazit: Wenn es nach den gewerkschaftlichen Vorständen geht, wird es eine außerparlamentarische Opposition der Arbeitnehmerorganisationen gegen die Politik des Kabinetts Merkel nicht geben.