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Titel1219

Palmwein wird ausgeschenkt  (Monika Köhler)

Émile Zola sträubte sich, seinen Roman »L’Assommoir« (»Der Totschläger«) zu interpretieren. Aber wenn er gezwungen wäre, »einen Schluß zu ziehen, so würde ich sagen, daß ‚Der Totschläger‹ in einem Satz zusammengefaßt werden kann: Schließt die Kneipen, öffnet die Schulen ... die Trunksucht verwüstet das Volk ...« Und er setzte den Aufruf hinzu: »Macht die Vorstädte gesünder, erhöht die Arbeitslöhne, die Wohnungsfrage ist entscheidend ... die erdrückende Arbeit, die den Menschen zum Tier herabwürdigt, der ungenügende Lohn, der ihn entmutigt und das Vergessen suchen läßt, füllt die Kneipen, das Volk ist so, weil die Gesellschaft es so will.« (Zitiert nach dem Nachwort von Rita Schober in Émile Zola: »Der Totschläger«, übersetzt von Gerhard Krüger, Winkler Verlag München) »Assommoir« (Totschläger) ist in der französischen Umgangssprache eine Bezeichnung für Kneipe. Der Roman erschien 1877. Vieles gilt auch heute.

 

Auf Kampnagel in Hamburg nahm die Gruppe »La Fleur« diesen siebenten Teil eines 20-teiligen Zola-Zyklus als Vorlage für ihr Stück »Körper als Unternehmen«. Regie und Konzept: Monika Gintersdorfer. Sie war schon öfter Gast auf Kampnagel. Ich sah ihre Arbeit über den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, über den Kongo und die internationalen Konzerne, die dort die Bodenschätze ausbeuten. Kein einziges Kriegsverbrechen der Militärs damals angeklagt von der sich als »Welt-Gerichtshof« verstehenden Justizbehörde. Dieses sperrige Thema verständlich, auch künstlerisch überzeugend auf die Bühne zu bringen: bewundernswert (Ossietzky 24/2012). Dem Romanzyklus von Zola hatte sich das Thalia-Theater an drei Abenden gewidmet (Ossietzky 21/2016 und 19/2017) unter der Regie von Luk Perceval, der leider Hamburg verließ.

 

Die Gruppe »La Fleur« besteht aus drei Frauen und sechs Männern, mehrheitlich von der Elfenbeinküste Afrikas. Choreograf ist Franck E. Yao, der auch mittanzt, fast gewaltsam die Musik in Bewegung übersetzt – das kraftprotzende Gehabe der Männer in Artistik verwandelt. Und der mit dem Ausruf: »Der Alkohol ist ein Monster«, Zolas Roman auf diesen einen Aspekt reduziert. Die Zuschauer werden zum Schluss aufgefordert, sich ein Getränk zu holen. Palmwein wird ausgeschenkt – um sich ins Stück einzufühlen? Der Tanz ist oft Pantomime, die Arbeit darstellen soll, nicht die der Wäscherin Gervaise allein, alles wird vervielfacht. Die Schwere dieser Tätigkeit löst sich so in der Leichtigkeit des Tanzes auf. Vieles wirkt beliebig, wie im Augenblick erfunden, spielerisch. Die eingestreuten Worte in Französisch, Englisch, auch mal Deutsch, oft mit gesungenem Text, verharmlosen dieses menschliche Drama. Vieles bleibt unverständlich. Eine Seite aus Zolas Roman sagt mehr als der weit über die geplanten neunzig Minuten lange Abend.

 

Die Bezüge zur Gegenwart können die Videos am Anfang nur unzureichend herstellen. Aufnahmen vom Pariser Stadtteil Chateau Rouge und dem Hamburger St. Georg: Herumlungern von Jugendlichen, da und dort Einkaufen im Supermarkt oder Wühlen in Mülltonnen. Gleichzeitiges Agieren auf der Bühne, die nicht existiert, die mitten im Publikum stattfindet, das überall herumsteht. Als Kulissen werden große gemalte Bilder hereingetragen, an die Wand gestellt. Ein schwarzer Schauspieler versucht, ein Flugblatt der AfD zu verlesen, kaum verständlich. Es geht gegen den Hansaplatz in St. Georg, wo Prostitution und Drogenhandel sichtbar würden. Das aber gab es dort schon lange. Nicht die Flüchtlinge sind schuld, sondern das Milieu, dem sie dort ausgeliefert sind. In der Vorankündigung des Stückes ist von »ständigen polizeilichen Kontrollen und Racial Profiling« die Rede. Im Stück gab es das alles nicht. Realität ging unter in Tanz und Performance – wenn auch oft gut gemacht.

 

Das furchtbare Ende von Zolas Roman, es teilte sich dem Publikum nicht mit. Der Versuch, kurz zusammenfassend darüber zu berichten, konnte nur scheitern. Zola: »Aber die Wahrheit war, daß Gervaise am Elend, am Unrat und an den Strapazen ihres verpfuschten Lebens verschied. Sie verreckte ... am Schlappwerden. Als es eines Morgens schlecht auf dem Korridor roch, entsann man sich, daß man sie seit zwei Tagen nicht gesehen hatte; und man entdeckte sie schon ganz grün in ihrer Nische.« (Zola, Krüger (Ü.), ebenda)