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Titel1308

Bemerkungen

K-Frage gelöst?
Frank-Walter Steinmeier sei nicht nur als Kanzlerkandidat, sondern auch als Parteivorsitzender der SPD vorgesehen, berichtete der Spiegel. Vorgesehen von wem? Jedenfalls von dem Hamburger Nachrichtenmagazin selbst, und das macht ja, erinnert man sich an Gerhard Schröders Karriere, viel aus. Beim sozialdemokratischen Landesparteitag in Niedersachsen ist der hochgelobte Mann bereits in der passenden Pose aufgetreten: ohne Jackett, mit roter Krawatte, Basta-Rhetorik übend. »Frank kann auch Basis«, soll ein Delegierter die Stimmung bei den Delegierten wiedergegeben haben. Ein Loyalitätswort Steinmeiers an Kurt Beck durfte nicht fehlen; »Wenn der Parteivorsitzende das Recht für die Kanzlerkandidatur in Anspruch nimmt, werde ich ihn vorbehaltlos unterstützen«, sagte Steinmeier laut Reuters, eine Konditionalaussage, deren Hintersinn in der Partei gewiß verstanden wird: Sollte Kurt Beck Parteivor- sitzender bleiben und dann wirklich Kanzlerkandidat werden wollen, dann... – nein, über diesen höchst unwahrscheinlichen Fall muß sich der deutsche Außenminister den Kopf nicht zerbrechen. Seine Partei hofft auf ihn als eine Art Schröder-Wiedergeburt, so als hätte der Niedergang der SPD mit der Politik jenes Agenda-Kanzlers, dessen engster Mitarbeiter Steinmeier war, nichts zu tun.

Peter Söhren

Finanzgrün
»Die Grünen umgarnen die Finanzwirtschaft« schrieb die Frankfurter Rundschau über das Ereignis: Am zentralen deutschen Börsenstandort veranstaltete die grüne Partei eine »Finanzmarktkonferenz«, zu der Banker in großer Zahl erschienen. Initiator war der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick (der vor seiner Tätigkeit als MdB im Dienst der Bertelsmann-Stiftung gestanden hatte). Hauptredner der Konferenz: Klaus-Peter Müller, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken und Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank. Parteichef Reinhard Bütikofer empfahl den Banken, »eine Revolution zu finanzieren«, womit er für die Renditechance bei Investitionen in »Öko-Unternehmen« warb. So auch das Motto der Konferenz: »Grün zahlt sich aus«.

Die Zeiten, in denen sogenannte Fundis bei den Grünen eine solche Zusammenkunft durch die Frage gestört hätten, wer hier wen mit wessen Hilfe umgarnt und für wen sich das auszahlt, sind längst vorbei.
Marja Winken

Rüttgers privatisiert
Das größte Bundesland wird bekanntlich von einem christdemokratischen Arbeiterführer regiert. Der hat jetzt, einem Wunsch seines freidemokratischen Koalitionspartners folgend, das bisher in öffentlichem Besitz befindliche wohnungswirtschaftliche Unternehmen Landesentwicklungsgesellschaft NRW (rund 93.000 Wohnungen, etwa 280.000 BewohnerInnen) an den Immobilienfond des US-amerikanischen Großinvestors Goldman Sachs verkauft. Verscherbelt ist damit ein bewährtes Instrumentarium, im Wohnungsmarkt und in der Stadtentwicklung sozial ausgleichend zu wirken. Zwar ist mit Goldman Sachs eine »Sozialcharta« vereinbart, diese sei aber nicht mehr als »weiße Salbe«, sagt Mieterbundpräsident Franz Georg Rips, denn: »Heuschrecke bleibt Heuschrecke.« Vermutlich wird Goldman Sachs den LEG-Wohnungsbestand aufteilen und mit Gewinn weiterverkaufen.

Jürgen Rüttgers beruft sich bei passenden Gelegenheiten gern auf den ersten CDU-Politiker im Amt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, Karl Arnold. Das sollte er in Zukunft besser unterlassen. Denn Arnold verfocht einst einen gemeinwirtschaftlichen Sektor als soziales Korrektiv im Kapitalismus; wohnungswirtschaftliches Engagement von Ländern und Kommunen zugunsten der wenig begüterten Bür- gerinnen und Bürger war ein wesentlicher Teil dieses Konzepts.

Selbstverständlich weiß Rüttgers das. Aber vor allem weiß der Arbeiterführer, wessen Interessen er in der Regierungspraxis zu exekutieren hat.
Arno Klönne

Griff nach den Sparkassen
Noch werden in den Schulbüchern die Sparkassen als historisch gewachsene soziale Errungenschaften gewürdigt, Anstalten des öffentlichen Rechts, getragen von Kommunen und Kommunalverbänden, darauf ausgerichtet, in Distanz zum spekulativen Finanzmarkt dem »kleinen Mann« oder der »kleinen Frau« eine sichere Anlage von Ersparnissen und preisgünstige Kredite zu bieten.

Diese Beschreibung wird man demnächst korrigieren müssen. Seit längerem schon schaut der Finanzmarkt, neue Profitfelder suchend, gierig auf diese noch nicht privatisierten Geldinstitute. Jetzt haben die fünf »Wirtschaftsweisen« den Politikern ein »Reformmodell« für die Sparkassen vorgeschlagen: Umwandlung in Aktiengesellschaften mit Stiftungseigentum und Übergabe von 49,9 Prozent des Eigentums an private Finanzfonds. Zum Trost wird erklärt, auf diese Weise werde den öffentlichen Händen und damit dem Gemeinwohl ein mehrheitlicher Einfluß bewahrt. Das Argument ist trügerisch. Die 0,1-Prozent-Barriere würde nichts daran ändern, daß die neoliberalisierten Sparkassen sich ungehemmten Gewinninteressen unterwerfen – Abschied von der Gemeinnützigkeit, schrittweise, damit der Coup nicht so auffällt.
A.K.

Treuhand-Report

Es wird heute kaum noch bestritten, daß es die einst von Helmut Kohl prognostizierten »blühenden Landschaften« nie geben, der Osten des vereinigten Deutschlands wohl auf Dauer eine Armutsregion bleiben wird. Politiker und angebliche Wirtschaftsexperten pflegen die Schuld daran der »sozialistischen Mißwirtschaft« in der DDR zuzuschieben. Über die desaströsen Folgen der sogenannten Wiedervereinigung des Jahres 1990 redet fast niemand. Es ist daher zu begrüßen, daß Ralph Hartmanns Buch »Die Liquidatoren« aus dem Jahre 1996 jetzt neu aufgelegt und ergänzt worden ist. Der Autor, gewesener DDR-Diplomat, hat sich in den 1990er Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag intensiv mit der »Treuhandanstalt« beschäftigt.

Hartmann weist nach, daß die DDR im Jahre 1989 zwar in einer Wirtschaftskrise steckte, von einem Zusammenbruch oder gar einer Zahlungsunfähigkeit jedoch keine Rede sein konnte. Die Zerschlagung der ostdeutschen Wirtschaft war von der damaligen Bundesregierung gewollt und wurde bewußt herbeigeführt – ohne Rücksicht auf soziale Folgen. Die Treuhandanstalt – von der Modrow-Regierung zum Zwecke der Verwaltung des DDR-Volkseigentums gegründet – wurde von der Kohl-Regierung schnell in ein Instrument zur Vernichtung eben dieses Eigentums umgewandelt. Gemäß politischem Auftrag ging den aus Westdeutschland importierten Treuhand-Mitarbeitern Privatisierung vor Existenzsicherung. Volkseigene Betriebe, die auf Export in Richtung Osteuropa ausgerichtet waren, wurden generell als »nicht überlebensfähig« eingestuft und trotz wohlgefüllter Auftragsbücher und Firmenkonten stillgelegt. Andere Betriebe wurden zu Spottgeldern an notorische Wirtschaftskriminelle oder an westeuropäische Konkurrenzfirmen verscherbelt. Die angeblich gewollte »Transformierung in die soziale Marktwirtschaft« erschöpfte sich zumeist darin, daß Firmenkonten geplündert, Produktionsstrecken stillgelegt und Immobilien verscherbelt wurden. Millionen gewesener DDR-Bürger verloren so ihre Arbeitsplätze; die ostdeutsche Infrastruktur wurde irreparabel geschädigt.

Hartmann nennt nicht nur die Schuldigen, auch die Gewinner dieses wirtschaftspolitischen Bubenstücks. Den Hauptschnitt machten westeuropäische Unternehmen, die sich für ein Butterbrot ganze Wirtschaftszweige einverleiben, lästige Konkurrenten wohlfeil beseitigen und deren Marktanteile übernehmen konnten. Doch auch den »Liquidatoren«, die sich bei der Abwicklung der DDR-Volkswirtschaft die Hände schmutzig machten, wurde dies großzügig honoriert.

Das Buch liest sich spannend wie ein Wirtschaftskrimi – und ist auch einer. In der kurzen Geschichte der Treuhand von 1990 bis 1993 wurde einer ganzen Generation von Managern eingebleut, daß man sich bei der Privatisierung öffentlichen Eigentums ungestraft kriminell bereichern kann. Mit den Folgen werden wir wohl noch sehr lange zu kämpfen haben.
Gerd Bedszent

Ralph Hartmann: »Die Liquidatoren. Der Reichskommissar und das wiedergewonnene Vaterland«, edition ost, 3. ergänzte und aktualisierte Auflage 2008, 255 Seiten, 14,90 €

Zuschriften an die Lokalpresse
Die Nachricht, daß die Haie an den mexikanischen Urlauberküsten immer aggressiver werden und auch Badegäste angreifen, wundert mich nicht. Die Menschen werden auch nicht friedlicher, und vor den scharfzahnigen Meeresungeheuern wurde schon immer gewarnt. Sie eignen sich nun mal nicht als Reitfische oder Streicheltiere.

Die Wissenschaftler wollen nun aber alles noch meeresgründlicher erforschen und deshalb 1000 Haie an der Pazifikküste fangen, mit Chips ausstatten und die Aggressivität kontrollieren. Ich frage mich allerdings, wie das geschehen soll und ob sich für die Experimente genügend Badegäste zur Verfügung stellen. Vielleicht könnte man im Kreis der Selbstmordattentäter Interessenten finden.

Angegriffene Schwimmer müßten versuchen, an die Chips heranzukommen, den Code flugs einlesen und über das wasserdichte Handy die IODHK – die Internationale Organisation zur Dechiffrierung der Hai-Kennziffern – verständigen. Dann müßte auch noch Zeit für Rückfragen bleiben, denn der Diensthabende wird sich sicher für Einzelheiten, beispielsweise für Verhaltensauffälligkeiten des Raubfisches interessieren, und das möglichst noch vor dem Schluckab. Mich interessiert: Wurden bei diesen wissenschaftlichen Experimenten schon erste Ergebnisse erzielt? – Lale Andersrum (43), Verhaltensforscherin, 07607 Hainspitz
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Wie der Berliner Kurier mitteilte, will der indische Bundesstaat Madya Pradesh den freien Sonntag auf den Dienstag verlegen. Damit soll eine Hinterlassenschaft der britischen Kolonialmacht endgültig überwunden werden.

Ich halte das für eine sehr gute Möglichkeit, die Vergangenheit zu bewältigen, und schlage vor, in den beigetretenen neuen deutschen Bundesländern (NBL) generell auf den Sonntag als freien Tag zu verzichten. Die neue Woche sollte gleich auf den Samstag folgen. Das brächte folgende Vorteile:
1. Der vorgezogene Wochenwechsel dokumentiert, daß sich die NBL von der Diktatur und ihrer belasteten Vorgeschichte endgültig befreit haben;
2. die Gewinnung zusätzlicher Arbeitstage würde sich auf das Wirtschaftswachstum in den NBL spürbar auswirken und den Aufwärtstrend unterstützen;
3. die veränderten Wochenabläufe könnten, wenn sie im Rahmen der NBL gestaffelt werden, Entlastungen im deutschen Verkehr, im Handel und im Dienstleistungssektor bewirken;
4. die daraus resultierende Koordinierung erfordert die Schaffung neuer Ämter und wirkt dem Arbeitsplätze-Abbau entgegen. – Kai Ohnesorge (38), Planungs-Fachwirt, 89364 Rettenbach
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Auf einer Art Abschiedstour hat der Noch-Präsident der USA die stärksten Mitgliedsmächte der Europäischen Union besucht. Nach Auskunft seines Nationalen Sicherheitsberaters ging es ihm darum, Europa auf die Haltung der USA gegen das iranische Atomprogramm einzuschwören. Nach wie vor schließt Bush einen Militärschlag gegen den Iran nicht aus, wenn Teheran sein Atomprogramm nicht einfriert.

Ich dagegen schlage folgende Lösung vor, die, was ich für einen Vorteil halte, friedlich wäre: Wenn die USA ihr eigenes Atomprogramm einfrieren würden, brächte das den Iran ganz schön in Zugzwang. Das Stockholmer SIPRI-Institut hat ja gerade die Rüstungsstatistik 2007 vorgelegt, und da liegen die USA uneinholbar an der Spitze, auch im Rüstungsexport, wo ihr Anteil 45 Prozent beträgt.

An einer diesbezüglichen Erklärung der US-Regierung könnte nicht einmal der hochgerüstete Iran vorbeigehen, wenn er sich nicht vor der gesamten Weltöffentlichkeit in Mißkredit bringen will. Die Bündnispartner der USA könnten das auch nicht ignorieren, und die von Kriegen und Kriegsgefahren gebeutelte Welt würde endlich neue Hoffnung schöpfen. Bush jr. aber könnte die Weltbühne mit einem Palmwedel verlassen. – Waldemar Vorschläger (77), Kriegsversehrter, 79877 Friedenweiler
Wolfgang Helfritsch


Dreimal jährlich Frühling
Manchmal, wenn ich allein bin, rede ich mit mir selbst. Parteien tun das auch, aber am liebsten vor großem Publikum. Das neue »Magazin für Freiheit und Sozialismus«, das dreimal jährlich unter dem Titel prager frühling in sämtlichen Frühlingsfarben erscheinen soll, ist eine gedruckte Selbstfindungstherapie der neuen Linken. In Aufsätzen, Interviews und Gruppengesprächen geht es um Die Linke, Feminismus, Gewerkschaften, Bürgerrechte, Hochschulen, Neoliberalismus, Europa, 1968, das Gesundheitswesen, Proletarier und die TV-Serie »Sex and the City«. Die AutorInnen – unter ihnen Katja Kipping als Mitherausgeberin des Blattes – bemühen sich, weitab von der Tagesaktualität das neue linke Projekt facettenreich zu beschreiben, ohne langweilig zu wirken. Michel Friedman warnt vor Nachwuchspolitikern, die sich ihren Karrieren zuliebe einen geistigen Maulkorb verpassen. Mögen seine Worte Folgen haben.

Das erste Heft endet mit einer in & out-Liste. Out sind ab sofort »schlecht gefärbte Haare«, in ist: »das perfekte Dinner mit FreundInnen selbst veranstalten«. Wer mit FreundInnen das perfekte Dinner selbst veranstaltet, wird wohl keine fünf Euro für den prager frühling übrighaben. Wer sich aber mit Erbsensuppe oder Currywurst zufriedengibt, kann die Erstausgabe des neuen Magazins beim Verlag bestellen und versuchen, seinen geistigen Appetit mit vielen luftigen Texten zu stillen.
Martin Petersen
Der prager frühling erscheint zum Einzelpreis von 5 Euro im VSA-Ver-lag, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg


Alles hat am Ende sich gelohnt
13 Bogen zählte die ehemalige Eisenbahnbrücke bei Schwelm in Westfalen, wo Franz Josef Degenhardt aufwuchs. Und »Dreizehnbogen« heißt seine neue CD. Das Umschlagfoto zeigt die Brücke im Abbruch.

Fast 17 kurze Minuten lang ist der Sänger im Titelsong wieder zu Besuch in der Unterstadt, in den neuen alten Schmuddelkinder-Vierteln mit ihren Ecken, Höhlen, Parkplätzen, dem Bahndamm, der Kneipe, den Blocks und den Menschen, wie eh und je erspürt er die Brüche und Umbrüche in der immer noch kapitalistisch geprägten Gesellschaft, und was er sieht und spürt, benennt er in dem für ihn typischen poetischen Sprechgesang.

Die CD mit zehn neuen Liedern des nun bald 77-Jährigen schwimmt nicht auf der aktuellen Welle der Erinnerung an 1968.

Wie Degenhardt sich damals engagierte, wissen wir von seinen früheren Platten. In jenem Jahr, als in den USA Robert Kennedy und Martin Luther King erschossen wurden, sang Degenhardt auf Burg Waldeck oder auf den Essener Songtagen und auf Demonstrationen landauf, landab sein »Ostermarschlied« von den »jedem Kind bekannten« Hintermännern und Profiteuren der Schüsse auf Rudi Dutschke. Er ermutigte in »P. T. aus Arizona« die in Deutschland stationierten US- Soldaten bei dem Entschluss, statt nach Vietnam über die grüne Grenze nach Frankreich zu gehen – und »dann mal weg« zu sein. Und er sang sein Lied »Für Mikis Theodorakis«, den verhafteten, gefolterten, verbannten, erst zwei Jahre später von der Internationalen Solidaritätsbewegung frei gekämpften griechischen Sänger und Komponisten.

40 Jahre danach ist der politische Liedermacher Degenhardt immer noch dicht an der Aktualität, ohne ein Anzeichen von Resignation.

Die zehn Stücke ergeben zusammen das, was man früher einmal ein Album nannte: eine Sammlung von Stücken, die textlich wie musikalisch zusammenhängen, arrangiert von Kai Degenhardt und Goetz Steeger.

Ein Leitmotiv ist der Krieg: imperialistisch, kolonialistisch nicht erst seit Theodor Fontanes »Trauerspiel von Afghanistan«. Diese Ballade um die Vorherrschaft in Zentralasien aus dem Jahre 1841 verdeutlicht die Kontinuität. »Krieg ist Krieg« berichtet lakonisch von USA-Bomben auf irakische Zivilisten (»So? Eine Hochzeitsgesellschaft? Wer feiert denn Hochzeit mitten im Krieg?«).

»Die Kartusche« erinnert an die deutsche Grundlektion nach dem letzten großen Krieg, die spätestens mit den Bomben auf Jugoslawien der Tagespolitik geopfert wurde: »Nie wieder Krieg.« Tucholskys Lied »Das Leibregiment« (»Song für die Einheit des Grenadiers Mike Strathmann irgendwo in Neu-Kolonien«) bläst dem Leitthema den ironischen Marsch.

Machen wir noch einmal einen Bogen, zurück ins Jahr 1977. Auf der Rückseite der Hülle der damals erschienenen Platte »Wildledermantelmann« finden wir eine Zeichnung Gertrude Degenhardts, der Schwägerin. Fröhlich sitzen im Gonsbachtal die Kumpanen an einer langen Tafel, unter roten Fahnen, klampfend, singend, parlierend, saufend. Das Temperabild der Künstlerin zu der neuen CD zeigt die Genossinnen und Genossen in einem Boot, »den Fluß hinunter« fahrend. Ihre Reihen sind gelichtet. Es sind die letzten vom Gonsbachtal. »Die Sonne steht längst hinterm Horizont, / ›Da wird es dann weitergehen‹, / singt der Sänger, und ob es sich lohnt, / müsse man dann einfach sehen.«

Und dennoch, trotz spürbarer Melancholie und alledem heißt es dann später im vorletzten Stück der CD: »Jeder Traum, an den ich mich verschwendet, / jeder Kampf, wo ich mich nicht geschont, / jeder Sonnenstrahl, der mich geblendet, / Alles hat am Ende sich gelohnt.«

Das Gedicht stammt von Louis Fürnberg. Degenhardt hat es vertont und singt es wie ein Vermächtnis. Das Ziel immer vor Augen.
Klaus Nilius Walter
Franz Josef Degenhardt: »Dreizehnbogen«, 2008 Koch Universal Music, bei der Büchergilde Gutenberg für 18.90 €.


Press-Kohl
Die Weltbild-Verlagsgruppe liefert im Auftrage der katholischen Bischöfe allerlei Lesestoff, für den sie in mehrfarbigen Prospekten wirbt. Manche der »aktuellen Thriller« sollen nicht nur »atmosphärisch« sein, was immer das sein mag, sondern auch »raffiniert und extrem nervenverzehrend«.

Als Lektüre vorm Einschlafen empfiehlt sich »Cry Baby« von Gillian Flynn: »Zurück in die Arme des Todes. Die Journalistin Camille wird von einer düsteren Vergangenheit eingeholt, die sie für immer vergessen wollte: dem Mord an zwei Mädchen und dem Tod ihrer Schwester.« Herz, was willst Du mehr! »Hochwertige Klappenbroschur. Leinenprägung! Nur 10.95.«

Zuweilen spürt man auch einen Hauch von Sozialkritik im Weltbild-Katalog. »Ann Granger: Wer sich in Gefahr begibt. Mörderisches London. 1864. Wußten Sie, daß das Ideal der bürgerlichen Frau im Viktorianischen Zeitalter in England das eines hochmoralischen Wesens war? Dienstmädchen und Mägde galten in der patriarchalischen Gesellschaft fast als Unperson. Sie wurden schlecht bezahlt, waren frei verfügbar und hatten keinerlei Recht auf Privatsphäre.« Wohlgemerkt: anno 1864. Heute können polyglotte englische Dienstmädchen Weltbild-Bestseller von Andrea Maria Schenkel lesen und sich ihren kalten Kaffee mit der Lektüre des Krimis »Kalteis« versüßen. Die Autorin ließ wissen: »Als Kind habe ich mir immer gewünscht, einmal ins elisabethanische Zeitalter zu reisen, und zwar aus einem einfachen Grund. Ich wollte mit Shakespeare sprechen.«

Ob er auch mit ihr gern gesprochen hätte? Und nach »Kalteis« ihr zweites Großwerk zu lesen wünschte? Nicht »Warmbier« ist der reißerische Titel, sondern »Tannöd«.
Felix Mantel