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Fifa-Skandal – Warum gerade jetzt?  (Winfried Wolk)

Die Welt verbreitete am 28. Mai die Information, daß die US-Justizbehörde unmittelbar vor dem großen Fifa-Kongreß sieben führende Fifa-Funktionäre wegen Korruption verhaften und abführen ließ. Spontan fragte ich mich: Warum denn das gerade jetzt?


Ich erinnerte mich, schon am 28. April 2013 bei Spiegel online von dem größten Bestechungssystem der olympischen Sportgeschichte durch die einstige Marketingfirma ISL erfahren zu haben. João Havelange, von 1974 bis 1998 Fifa-Präsident, mußte im Dezember 2011 wegen der ISL-Affäre aus dem IOC zurücktreten. Auch Ricardo Terra Teixeira, sein ehemaliger Schwiegersohn, gab 2012 auf Druck von Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff seine Ämter als Langzeit-Präsident des brasilianischen Fußballverbandes CBF, Organisationschef der Fußball-WM 2014 und Fifa-Exekutivmitglied auf. Nach einem Deal mit der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug wurde im Sommer 2010 das Verfahren gegen Havelange und Teixeira eingestellt. Sie zahlten insgesamt 2,5 Millionen Franken Wiedergutmachung, verneinen aber eine strafrechtliche Verantwortung. Die ISL-Gruppe, die 2001 wegen Mißwirtschaft Konkurs anmelden mußte, beherrschte von 1982 bis 2001 die Branche und hielt milliardenschwere Sponsoren- und Fernseh-Verträge mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), dem Fußball-Weltverband Fifa und anderen Weltverbänden. Das alles steht in Jens Weinreichs Spiegel-Artikel: »Korruption im Weltsport: Die die Hand aufhielten«. Der Fifa-Korruptionssumpf ist seit vielen Jahren in aller Welt bekannt.


Nun also informiert mich die Welt, daß die US-Justizministerin Loretta Lynch aktuell der Fifa vorwirft, das weltweite Fußballgeschäft seit 24 Jahren zu korrumpieren, um sich zu bereichern. Jahr um Jahr hätten Fifa-Funktionäre das gemacht, von Turnier zu Turnier. Jetzt aber würde ihnen die rote Karte gezeigt und die Vergabepraxis der Fußballweltmeisterschaften seit 2010 unter die Lupe genommen.


Warum und mit welcher Befugnis wird jetzt plötzlich eine US-Behörde in der Schweiz tätig, wenn sie all die Jahre so eindrucksvoll schwieg? Gibt es eigentlich keinen internationalen Gerichtshof, der solchen Vorwürfen nachzugehen hat? Und: Warum braucht die sich nun zuständig fühlende amerikanische Justizbehörde 24 Jahre, um endlich gegen so schwerwiegende Delikte vorzugehen? Ist das die übliche Reaktionszeit? Ist das auch die Norm bei solchen Delikten wie vorsätzliche Anzettelung eines völkerrechtswidrigen Krieges mit erlogener Begründung und mindestens 108.000 toten Zivilisten? Oder dem Mord mittels unbemannter, ferngesteuerter Flugkörper an Menschen, die weder vor einem ordentlichen Gericht gestanden, noch angeklagt und verurteilt wurden? Fragen über Fragen und keine Antworten. Ich winke ab.


Mein innerer Verschwörungstheoretiker weist mich darauf hin, daß doch die Vergabepraxis der Fußballweltmeisterschaften unter die Lupe genommen werden soll. »Rußland und Katar« flüstert er mir ins Ohr, und ich denke, na klar, man kann doch nicht zulassen, daß Rußland jetzt, wo man dieses Land doch aus den G 8 ausgeschlossen und so fabelhaft isoliert hat, durch eine Fußballweltmeisterschaft wieder aufgewertet würde. War doch schon die Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Sotschi ein Skandal. Und dieser Blatter, der sich zum wiederholten Male zur Wiederwahl als Fifa-Präsident stellte, hat bisher kein einziges verurteilendes Wort zu Putin gefunden. Das muß doch geändert werden, der Mann muß weg! Ich erschrecke, wie schnell man wie ein Verschwörungstheoretiker zu denken beginnt. Aber nicht mit mir, denke ich. Immer schön objektiv bleiben, denke ich.


Die Welt hilft mir dabei bereits am nächsten Tag mit dem Artikel »Der Zerstörer« und informiert mich, daß Europa mit dem Rückzug aus der Fifa droht und der »Kreml-Chef Wladimir Putin« die Korruptionsermittlungen gegen die Fifa-Funktionäre »als Versuch der USA verurteilt, Rußland die WM 2018 zu entziehen«. Der Putin ist ja genauso ein Verschwörungstheoretiker wie der in mir, denke ich. Am 1. Juni lese ich dann bei Spiegel online vom Fortgang der Dinge und davon, daß Englands Fußball-Verbandspräsident Greg Dyke »Deutschland und andere wichtige Fußball-Nationen aus Protest gegen den wiedergewählten Fifa-Präsidenten Joseph Blatter zu einem WM-Boykott aufgerufen« hat.


Nun ist am 2. Juni der alte neue Fifa-Präsident nach nur fünf Tagen tatsächlich von seinem Amt zurückgetreten, weil er, wie er sagt, sich nicht mehr von der gesamten Fußballwelt unterstützt fühlt. Am 3. Juni lese ich dann gleichfalls in Spiegel online, daß die US-Behörden auch gegen Blatter ermitteln würden. Eine Bestätigung hierfür gebe es nicht, doch auch die New York Times berichte über Ermittlungen gegen Blatter und berufe sich auf Mitarbeiter der US-Behörden. »Deren Plan war es demnach, von den am vergangenen Mittwoch festgenommenen Fifa-Funktionären Informationen zu bekommen, die Blatter belasten. Der Präsident sei von vornherein das eigentliche Ziel gewesen.«


Die ganze Aktion richtete sich also gegen Blatter und dessen Wiederwahl. Mit seinem Rücktritt steht die Vergabe der WM an Rußland und an Katar auf dem Prüfstand. Blatter mußte fallen, meint mein innerer Verschwörungstheoretiker, weil er an der Entscheidung unbedingt festhalten würde. In Katar, dem Wüstenstaat, wo im Sommer schon mal Temperaturen von 45 Grad Celsius auftreten, eine Fußball-WM auszurichten, hatte ich von Anfang an als absurd empfunden, ohne daß mein innerer Verschwörungstheoretiker dazu etwas sagen mußte. Die teuren Fußball-Legionäre wären wahrscheinlich bei diesen Temperaturen kollabiert, weshalb man das Turnier dann auf die Zeit um Weihnachten gelegt hat. Auch die Bedingungen beim Bau der Sportanlagen sind menschenunwürdig, das las ich mehrfach. Mehr als eine Million Gast- oder besser Sklavenarbeiter werden unmenschlich ausgebeutet und mehr als Tausend starben dabei, wie die Washington Post am 27. Mai und Spiegel online aktuell am 3. Juni zu berichten wissen. Und außerdem, das weiß ich auch, unterstützt Katar die islamistischen Terroristen. Das sind die Gründe, dachte ich, weshalb sich die amerikanische Justizbehörde verpflichtet fühlte einzugreifen. Die Fußballweltmeisterschaft dorthin zu vergeben, kann nur mit Bestechung erfolgt sein. Aber Katar, das lese ich etwas später bei Wikipedia, bezieht einen beträchtlichen Teil seiner Einnahmen durch die bezahlte Bereitstellung von Truppenlagerplätzen und Ruhezonen für die US-Armee. Damit gehört das Land samt seiner Führung zu den Verbündeten, zu der Allianz der Willigen und scheidet als eigentliches Ziel der gegenwärtigen Attacke aus. Also geht es doch gegen Rußland! – flüstert mir triumphierend mein innerer Freundfeind ins Ohr.


Vielleicht aber, so meint er weiter, reicht eine unterstellte Bestechungsaffäre nicht aus, um Rußland die WM entziehen und damit auch auf dem Gebiet des Sports demütigen zu können. Da muß noch ein bißchen mehr geschehen. Und tatsächlich las ich dann am 1. Juni bei Spiegel online von den manipulierten Satellitenfotos und den obskuren Theorien des Kreml, der immer neue angebliche Beweise dafür veröffentlicht, daß die Ukraine den Flug MH 17 abschoß. Die vorgelegten Aufnahmen seien nicht nur falsch datiert, sondern auch »durch die Software Adobe Photoshop CS5 digital verändert worden«. Das hatte ein investigatives Untersuchungsteam namens Bellingcat herausgefunden. Damit ist klar: Weil die Ukraine MH 17 nicht abgeschossen haben kann, muß es Rußland gewesen sein. Und damit hat der Kreml nun auf jeden Fall das moralische und auch sonstige Recht verwirkt, die Fußball-WM 2018 auszurichten. Kein Fußballer und kein echter Fan will Spiele in einem Mörderland!


Wer ist eigentlich Bellingcat? Noch nie habe ich von dieser Informationsplattform gehört. Ich google und finde bei Wikipedia, daß der regierungstreue britische Blogger Eliot Higgins und seine Bellingcat-Plattform ihre Informationen aus Dokumenten beziehen, die von Amateuren erstellt und auf verschiedenen Internetforen veröffentlicht wurden oder von Plattformen stammen, die der neuen ukrainischen Regierung nahe stehen. Bisher allerdings steht eine offizielle Auswertung der Katastrophe noch aus. Weder ist eine öffentliche Auswertung der Flugschreiber erfolgt, noch konnten die von den amerikanischen und sonstigen westlichen Geheimdiensten weltweit abgefischten Milliarden von Informationen zur Klärung beitragen. Auch gab es in der Öffentlichkeit keine einschlägigen Aufnahmen von US-Spionagesatelliten. Deshalb ist es nur wenigen außergewöhnlich detektivisch talentierten Plattformen wie Bellingcat möglich, ein entsprechend eindeutiges Licht auf ansonsten verborgene Geheimnisse zu werfen.


Übrigens hatten sich auch England und die USA um die fraglichen Fußballweltmeisterschaften beworben, die nicht nur mit einem beträchtlichen Imagegewinn für das Land verbunden, sondern vermutlich auch ein hervorragendes Geschäft sind. Leider wurden sie Rußland und Katar zugesprochen. Da paßt alles gut zusammen, findet mein innerer Verschwörungstheoretiker, und ich frage mich, ob er nicht doch manchmal ein bißchen Recht hat.