erstellt mit easyCMS
Titel1316

Beihilfe zum Völkermord  (Ulla Jelpke)

Mit den Stimmen aller Fraktionen hat der Deutsche Bundestag am 2. Juni die Vernichtung der Armenier und anderer christlicher Bevölkerungsgruppen unter dem jungtürkischen Regime im Osmanischen Reich als Völkermord im Sinne der UN-Völkermordkonvention verurteilt. Noch vor einem Jahr – zum 100. Jahrestag der Ereignisse von 1915/16 – hatten die Regierungsfraktionen aus Rücksicht auf die NATO-Partnerin Türkei in ihrem Antrag eine solche Einordnung der Verbrechen bewusst vermieden. Allerdings hatten bereits damals Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und die Redner aller Fraktionen keinen Zweifel daran gelassen, dass im Osmanischen Reich ein Völkermord an den Armeniern begangen wurde. Dahinter konnte die Bundesregierung nun trotz ihres schändlichen Flüchtlingspaktes mit dem Erdoğan-Regime nicht mehr zurückfallen.

 

Die Linksfraktion stimmte für den fraktionsübergreifenden Antrag von Koalition und Grünen, obwohl ihre Beteiligung an dessen Ausarbeitung nicht erwünscht gewesen war und der Beschluss in einem entscheidenden Punkt zu kurz greift: Dort ist lediglich von einer »unrühmlichen Rolle« des deutschen Reiches die Rede. Die Reichsregierung habe sich gegenüber dem verbündeten Osmanischen Reich nicht für den Schutz der Armenier eingesetzt. Dieser Vorwurf ist richtig, aber eben nur die halbe Wahrheit. Denn bekanntlich lehnte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg entsprechende Gesuche deutscher Diplomaten mit den Worten ab: »Unser einziges Ziel ist, die Türkei an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.«

 

Die deutsche Mitverantwortung lässt sich nicht auf unterlassene Hilfeleistung beschränken. Vielmehr wäre der Völkermord ohne das Militärbündnis mit Deutschland in der Form überhaupt nicht möglich gewesen. Die regierenden Jungtürken wollten »den Weltkrieg dazu benutzen, mit ihren inneren Feinden – den einheimischen Christen – gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden«, meldete der deutsche Botschafter in Konstantinopel Wangenheim im Juni 1915 dem deutschen Reichskanzler. Einige deutsche Diplomaten und Offiziere billigten offen die Vernichtungspläne der Jungtürken. Deutsche Offiziere in der Führungsriege der Osmanischen Truppen unterzeichneten Deportationsbefehle für armenische Zwangsarbeiter zum Bau der Bagdadbahn und ließen armenische Stadtviertel in Ostanatolien beschießen. Schließlich wurde führenden Köpfen des jungtürkischen Regimes nach dem Krieg in Deutschland Asyl und Schutz vor internationaler Strafverfolgung gewährt. All dies hätte als Beihilfe zum Völkermord klar benannt werden müssen. Ein solches Eingeständnis der deutschen Mitverantwortung ist zugleich zwingende Voraussetzung, um glaubwürdig von der Türkei eine entsprechende Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit einzufordern. Denn es geht nicht darum, die heute in der Türkei lebenden Menschen oder gar türkeistämmige Migranten in Deutschland an den Pranger zu stellen. Vielmehr handelt es sich um die Aufarbeitung eines Kapitels der gemeinsamen deutsch-türkischen Geschichte.