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Brief aus Paraguay  (Kirsten Hofmann)

Vor der Schule staut sich morgens regelmäßig der Verkehr, denn fast alle Eltern bringen ihre Kinder mit dem Auto zur Schule. Meist sind es Edelkarossen oder schwere Geländewagen, in denen der Nachwuchs bis vor das Schultor der Goethe-Schule, der deutschen Schule in Asunción, gefahren wird. Viele der SchülerInnen, die aussteigen, haben neben ihrem Schulranzen noch eine große Thermoskanne mit eisgekühltem Matetee – dem paraguayischen Nationalgetränk Tereré – bei sich. Das Schulgelände ist gepflegt. Palmen und die für die paraguayische Hauptstadt typischen Lapachobäume spenden in den heißen Sommermonaten Schatten. Die Klassenräume sind zum großen Teil mit Digitaltafeln ausgestattet. Wer hier zur Schule geht (das Schulgeld beträgt umgerechnet zwischen 250 und 300 Euro im Monat), erhält im Vergleich zu Altersgenossen an den staatlichen Schulen eine hervorragende Schulbildung. Einige SchülerInnen werden mit dem Internationalen Abitur abschließen, das sie zu einem Studium in Deutschland berechtigt.

 

Die LehrerInnen, die hier arbeiten, verdienen zwar besser als ihre KollegInnen an den staatlichen Schulen, mussten bisher jedoch einen gravierenden Nachteil in Kauf nehmen: Wie alle DozentInnen, die an privaten Bildungseinrichtungen arbeiten, hatten sie keinerlei Anspruch auf Rentenleistungen. Bislang war es den LehrerInnen an Privatschulen nicht möglich, in die staatliche Rentenversicherung einzuzahlen.

 

Diese Ungleichheit hat ihren Ursprung in den Zeiten der Diktatur. Der deutschstämmige Alfredo Stroessner war 1954 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen, die er 35 Jahre behielt. Während dieser Zeit durften lediglich Mitglieder seiner Colorado-Partei im öffentlichen Dienst arbeiten. Anderen LehrerInnen blieb nichts übrig, als sich eine neue Arbeit zu suchen oder an Privatschulen zu unterrichten und damit auf Rente zu verzichten. Die Goethe-Schule zahlte ihren altgedienten KollegInnen immerhin beim Ausscheiden eine Gratifikation.

 

Nach einer 60 Jahre währenden Regierung der Colorado-Partei wurde 2008 der ehemalige Bischof Fernando Lugo, der einem Mitte-Links-Bündnis angehörte, zum Präsidenten gewählt. Unter seiner Regierung wurde 2011 endlich ein Gesetz vorbereitet, das den Dozenten an privaten Bildungseinrichtungen eine Rente zusicherte. Aber bevor das Gesetz in Kraft treten konnte, wurde Lugo durch ein Amtsenthebungsverfahren entmachtet. Er selbst bezeichnete es als Staatsstreich – Ähnliches geschieht jetzt in Brasilien und Venezuela. Nachdem sich gewerkschaftliche Aktionen lange Zeit auf Petitionen an die Regierung beschränkt hatten, drang die Union der LehrerInnen an privaten Bildungseinrichtungen Paraguays (UPIPP) nun mit wachsendem Druck darauf, das von Lugo vorbereitete Gesetz in Kraft zu setzen. Die Aktionen reichten von Demonstrationen und öffentlichkeitswirksamer Übergabe von Protestnoten bis zu Streiks und Blockaden der Hauptzufahrtsstraßen der Hauptstadt. Ernestina Acosta, die Vorsitzende der UPIPP, erzählt von schwierigen Zeiten und vielen Rückschlägen. Den Menschen in Paraguay, so meint sie, falle es schwer, öffentlich zu protestieren, da ihnen die Diktatur noch immer in den Knochen stecke. Sie selbst habe aber nie daran gedacht, den Kampf aufzugeben. Ihre Mutter habe sie darin bestärkt. Sterbenskrank in der Klinik habe sie gesagt: »Du musst für diese Sache kämpfen. Ich weiß, du hast heute dieses Treffen mit deinen Mitstreitern. Geh! Ich verspreche dir, in der Zwischenzeit nicht zu sterben.«

 

Im Mai hat Präsident Horacio Cartes, der wie der ehemalige Diktator Stroessner der Colorado-Partei angehört, endlich dem wachsenden Druck nachgegeben und das Gesetz unterschrieben. Die monatliche Rentenleistung darf die Höhe von zwei Mindestlöhnen nicht unterschreiten – was etwa 570 Euro entspricht. Man muss das 60. Lebensjahr erreicht und 25 Jahre lang gearbeitet haben.

 

Was aber geschieht mit den LehrerInnen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen? Ernestina Acosta kennt Fälle, in denen KollegInnen auch weiterhin kein Anrecht auf Rentenleistungen haben, weil sie lediglich auf 23 oder 24 Dienstjahre verweisen können. Sie erzählt von einem ehemaligen Kollegen, der schwerkrank sei, über keine Krankenversicherung verfüge und nun auch weiterhin keinen Rentenanspruch habe. Sie brauche eine kurze Verschnaufpause, sagt sie, aber dann gehe der Kampf weiter. »Wir müssen dafür sorgen, dass auch die alten KollegInnen, die dem neuen Gesetz zufolge keine Rentenansprüche haben, sozial abgesichert werden.«