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Digitalisierung (3): Arbeitsbedingungen  (Marcus Schwarzbach)

Mit dem Konzept Industrie 4.0 soll das »Internet der Dinge« in den Alltag übertragen werden: Kühlschränke, die eigenständig Lebensmittel nachbestellen, Waschmaschinen, die nur starten, wenn der Strompreis niedrig ist. Das Internet der Dinge soll die virtuelle mit der realen Welt vereinen. Dabei werden Objekte »intelligent« und können Informationen austauschen. Die Basis dafür sind Sensoren und Chips, die Zustände erfassen und Aktionen ausführen können. Die Übertragung dieser Logik auf die Betriebe wird als »vierte industrielle Revolution« bezeichnet. Die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung bezeichnet den Vorgang als »Verheiratung von Internet- und Produktions-Technologien«.

 

Industrie 4.0 ist vor allem ein großes Forschungsprojekt von Bundesregierung und Großkonzernen, bei dem moderne Informationstechnik mit industrieller Produktion verzahnt werden soll. Inzwischen ist davon auszugehen, dass Industrie 4.0 wohl nicht der propagierte Quantensprung wird, sondern in vielen Trippelschritten erfolgt. Die anfängliche Aufbruchsstimmung der Konzerne hat sich in verhaltenen Optimismus verwandelt, aber bereits jetzt sind Veränderungen in den Betrieben zu spüren.

 

Ein aktuelles Forschungsprojekt am Fraunhofer Institut zeigt, wie die Kooperation Mensch und Maschine verändert wird. Die Forscher entwickelten eine Sensorhaut, die sich flexibel an die unterschiedlichsten Geometrien anpassen kann. Einerseits könne das Messsystem »Berührungen schnell und zuverlässig erkennen und damit die Sicherheit der Interaktion zwischen Mensch und Roboter erhöhen. Es signalisiert dem Roboter, dass sich der Arbeiter in unmittelbarer Nähe befindet. Der Roboter kann seine Tätigkeit stoppen oder entsprechende Ausweichbewegungen durchführen. Andererseits kann das gleiche System auch als Eingabegerät, eine Art Touchpad am Roboterarm, zur Programmierung benutzt werden«, erläutert Steffen Wischmann, Institut für Innovation und Technik (zitiert nach: Alfons Botthof/Ernst A. Hartmann: »Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0«, Seite 158).

 

Hybride Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass neben den Beschäftigten, auch die Technik Prozesse steuert. Bekannt ist die Zusammenarbeit von Mensch und automatisierter Steuerung etwa durch die Arbeit von Piloten. Für das Unternehmen hat die Technik zweifellos Vorteile. Sie kann Daten, Diagnosen und Arbeitsanweisungen präsentieren. Die Beschäftigten können weit weniger Daten verarbeiten und weniger Komplexität berücksichtigen als Maschinen. Gleichzeitig tragen Menschen in hybriden Systemen eine hohe Verantwortung, während sie zugleich der Technik unterlegen sind.

 

Mit Einführung der Technik ist die entscheidende Frage zu klären, ob die letztendliche Entscheidung beim Menschen bleibt. Auch dies sollte Inhalt der Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung beziehungsweise zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sein, ebenso dass und wie Beschäftigte qualifiziert und auf die Neuerungen vorbereitet werden. Interessant ist die Reaktion des Personalchefs des Maschinenbauers Trumpf, Stefan Gryglewski, auf eine Äußerung von Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, in einem Streitgespräch. »Meine stille Hoffnung ist, dass wir aus der Logik der Routine und der geringen Taktzeiten ausbrechen und mehr Gestaltungsspielräume für Arbeitsanreicherungen und damit verbunden die Nutzung von Produktionsintelligenz eröffnen«, sagte Hoffmann – worauf Gryglewski feststellte: »Solange gilt, dass Standardisierung zu Effizienzvorteilen führt, wird das Hoffnung bleiben« (https://www.vdi-nachrichten.com/Technik-Gesellschaft/Was-passiert-Fabrikarbeit).

 

Die Vernetzung erleichtert den Betrieben die permanente Überwachung der Beschäftigten und erhöht die Anforderungen an diese.

 

Ziel der Industrie 4.0 ist die weitere Flexibilisierung der Produktion: Heutige starre, oft nur bei hohen Stückzahlen rentable Fertigungsketten sollen in kleine, wie Bausteine kombinierbare Einheiten aufgeteilt werden, die alle über ein Netzwerk miteinander verbunden sind. In Sekundenbruchteilen tauschen sie Daten über aktuelle Aufgaben, anstehende Aufträge und vorhandene Kapazitäten aus. Vorteile der Massenfertigung – geringe Stückkosten und hohe Auslastung der Kapazitäten – sollen so mit denen der Kleinserienfertigung kombiniert werden. Stefan Ferber von Bosch benennt klare Forderungen aus Unternehmenssicht: »Was bringt es mir, wenn ich eine Fabrik habe, die mir bei 98 Prozent Auslastung den besten Profit bringt, und ich überhaupt nicht vorhersagen kann, was im nächsten Monat verkauft werden wird.« Man müsse Fabriken bauen, die die Schwankungen bewältigen und zwar »in Echtzeit«. »Industrie 4.0 sollte man hier als Chance sehen.« (siehe Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation – IAO: »Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0«, Studie, Seite 69).

 

So wird die Arbeitszeit weiter im Unternehmensinteresse flexibilisiert, und die bessere Auswertung von Leistungsdaten, etwa »wer hat wann wo wie lange gearbeitet«, erhöht den Druck auf jeden einzelnen Arbeiter.

 

Die Arbeitsbedingungen werden so ein wichtiges Thema. In cyber-physischen Systemen (CPS) steuern sich intelligente Maschinen, Betriebsmittel und Lagersysteme in der Produktion eigenständig. Während die Bundesregierung das Thema nur als Frage der Wirtschaftsförderung sieht, ändern sich Arbeitsplätze und -organisation radikal. Für die Belegschaften bedeutet das zunehmende Kontrolle und verstärkter Leistungsdruck.

 

Gewerkschaften und Betriebsräte sind gefordert, die Arbeitsbedingungen der digitalen Arbeit über Tarifverträge zu regeln und Mindeststandards – etwa Mindestanzahl der Beschäftigten oder die Letztentscheidung der Arbeiter beim Verhältnis Mensch-Maschine – sicherzustellen.

 

Denn Tarifpolitik ist auch ein Instrument zur Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen. So sah es in den 1980er Jahren der Lohnrahmentarifvertrag II der IG Metall in Nordwürttemberg-Nordbaden. Bezahlte Erholungspause oder Taktzeitbeschränkung am Fließband beugten Stress am Arbeitsplatz vor. Von einer Diskussion über einen Tarifvertrag 4.0 sind die Gewerkschaftsvorstände derzeit aber weit entfernt.

 

 

Die Teile 1 und 2 der vierteiligen Artikelreihe zur Digitalisierung erschienen in Ossietzky 9/2017 und 11/2017. Nähere Informationen bietet zudem »Digitale Arbeit und Industrie 4.0«, Report 106 des isw in München, siehe https://isw-muenchen.de/produkt/report-106/.