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Titel1317

Traditionslinien  (Wolfgang Ehmke)

Es gehört zum guten Ton, dass das Stadtoberhaupt Roms das Museo Storico della Liberazione in der Via Tasso besucht. Virginia Raggi, die vor einem Jahr mit großer Mehrheit zur Bürgermeisterin der Ewigen Stadt gewählt wurde, brach allerdings mit dieser Tradition. Sie zog es vor, ans Meer zu fahren, konstatiert Lalla die Cerbo, eine der Ehrenamtlichen des Museums. Virginia Raggi kandidierte für die politisch schillernde, tendenziell rechtslastige MoVimento 5 Stelle (M5S, Fünf-Sterne-Bewegung) des Kabarettisten Beppe Grillo.

 

Sei es, weil ihr das Gespür dafür fehlt, sei es, weil ihr die Erinnerungskultur und der Kampf gegen den Hitlerfaschismus egal sind, zumal die M5S sich damit brüstet, mit allen politischen Traditionen des überkommenen italienischen Parteiensystems zu brechen.

 

Dabei agiert Raggi übervorsichtig, denn wer Rom erobert, dem kann auch Italien gehören. Kein Wunder also, dass die Parteien, die Rom bisher regierten, auf der Lauer liegen: Die sozialdemokratische Partei (PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi genauso wie die Rechte, die unter dem Neofaschisten Gianni Alemanno zwischen 2008 und 2013 Rom lenkte.

 

In einem anderen Politfeld, dem Kampf gegen die Müllberge, allerdings hatte Virginia Raggi weniger Probleme mit der Wahrung von Traditionslinien: Sie benannte Paola Muraro zur Umweltbeauftragten, um das Müllproblem in den Griff zu bekommen. Muraro war zwölf Jahre lang Beraterin des Abfallunternehmens AMA und kassierte nach eigenen Angaben mehr als eine Million Euro. Manche Mitglieder der Fünf Sterne konnten ihren Zorn über Raggi und »ihre mit dem alten System verseuchte Meute«, die nun von der Berater- auf die Regierungsseite wechselt, kaum verbergen.

 

Aber es kommt noch schlimmer: Die Zeitung Repubblica brachte an den Tag, dass jene Paola Muraro Kontakt zu einem der Hauptangeklagten im Prozess gegen die »Mafia Capitale« hatte. Salvatore Buzzi, der Sachwalter einer Reihe von Kooperativen unter dem früher faschistischen Ex-Terroristen Massimo Carminati, hatte Muraro im Dezember 2013 in einem – von der Anti-Mafia-Polizei aufgezeichneten – Telefongespräch dazu gebracht, sich der Beteiligung eines seiner Unternehmen an einer Ausschreibung für einen städtischen Auftrag über 21,5 Millionen Euro nicht in den Weg zu stellen …

 

Für Lalla di Cerbo ist deshalb klar, dass Raggi nicht zufällig einen Bogen um den Traditionsort machte, während Schulklassen und Besuchergruppen wie eh und je durch die Räumlichkeiten in der Via Tasso pilgern, die während der neunmonatigen Nazi-Besatzung Roms zwischen dem 11. September 1943 und dem 4. Juni 1944 das Foltergefängnis der Sicherheitspolizei (SIPO) und des SS-Sicherheitsdienstes (SD) waren. Die Besucher sehen sich unter anderem den berühmten Film »Rom, offene Stadt« von Roberto Rossellini an, der die Zerschlagung einer römischen Widerstandsgruppe durch die nationalsozialistischen Machthaber im Jahr 1944 thematisiert.

 

Neben den Ardeatinischen Höhlen, einem Steinbruch im Süden Roms, in dem am 24. März 1944 auf Befehl der Wehrmachtsoffiziere Generalfeldmarschall Albert Kesselring, Generaloberst Eberhard von Mackensen und des Stadtkommandanten Kurt Mälzer 335 italienische Zivilisten erschossen wurden, ist die Via Tasso der geschichtsträchtige Ort schlechthin, der sich in das Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Das Massaker in dem Steinbruch war ein Racheakt, nachdem am 23. März 1944 italienische Partisanen das Polizeiregiment Bozen angegriffen hatten und 33 Polizisten dem Angriff zum Opfer gefallen waren. Der deutsche Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, stellte in der Via Tasso rasend schnell die Liste der 335 zusammen, die im Steinbruch erschossen werden sollten, und weil es nicht genügend Häftlinge im Foltergefängnis gab, wurden wahllos weitere Menschen aufgegriffen, um auf das Verhältnis 1:10 zu kommen, das für diesen Vergeltungsschlag vorgegeben war. Am Ende legte Kappler bei der Erschießung selbst mit Hand an.

 

1955 wurde das Museum eröffnet: Dokumente, Fotos, Artefakte, Kunstwerke sowie eine reiche Sammlung an Untergrundpresse, Plakaten und Flugblättern erinnern an den Widerstand gegen die Nazi-Besetzung. Die Haftzellen sind so erhalten, wie sie von den fliehenden Deutschen zurückgelassen wurden. Doch öffentliche Gelder fehlen. Gerade eine Aufsicht wird zurzeit von der Stadt finanziert, das Geld für die Miete und den Unterhalt muss mühselig gesammelt werden. Da nützen bis heute auch kein ministerieller Erlass wie der des Ministers für Kulturerbe und kulturelle Aktivitäten vom 20. März 1987, in dem das Eigentum in Via Tasso 145 als von besonders wichtigem Interesse anerkannt wurde, oder die gelegentlichen Besuche deutscher Diplomaten, zumal die Räumlichkeiten in der Via Tasso vor der Umrüstung zum Gefängnis dem Kulturreferat der deutschen Botschaft gehört hatten. Lalla di Cerbo setzt nicht auf die Bürgermeisterin, sie schüttelt den Kopf. Sie setzt auf Eigeninitiative und Solidarität für den Erhalt des Erinnerungsortes (https://www.museoliberazione.it/de/)