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Freudige Nachrichten für die Frommen  (Hartwig Hohnsbein)

Die Evangelische Nachrichtenagentur idea, Sprachrohr der evangelikalen Bewegung im deutschen Sprachbereich, konnte in diesen Tagen zwei freudige Ereignisse vermelden: Das eine war die Wahl des bisherigen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff zum neuen Bundespräsidenten, das andere die Entscheidung des bayerischen Kultusministeriums, ein neues Englischbuch für die Oberstufe aus dem Cornelsen-Verlag, »Context 21«, wegen »anti-evangelikaler Passagen« nicht zuzulassen.

Evangelikale schätzen den Katholiken Christian Wulff »wegen seiner christlichen Grundüberzeugungen«, vermittels derer er »der Gesellschaft hilfreiche Orientierung geben« wird. Diese »christlichen Grundüberzeugungen« hat der neue Bundespräsident bisher in enger Verbindung mit ihnen gefunden und praktiziert, insbesondere als eines der 35 Kuratoriumsmitglieder der »ProChrist-Evangelisation«, die mit ihrer »Satellitenmission« und ihrem »Christival« alle paar Jahre unsere Gesellschaft belästigt (vgl. Ossietzky 6/08). »ProChrist« ist eine der 340 Organisationen, die der »Deutschen Evangelischen Allianz« nahestehen und dadurch auch der »Weltweiten Evangelischen Allianz« mit ihren 420 Millionen Mitgliedern. Die theologische Basis ihrer »christlichen Grundüberzeugungen« umfaßt sieben Punkte, die unverrückbar sind und weltweit verbreitet werden sollen. Hauptforderung an die Gläubigen ist, daß sie, »die Allmacht, Gnade, Schöpfung ... durch den biblisch bezeugten Gott« sowie die »göttliche Inspiration der Heiligen Schrift und ihre Irrtumslosigkeit in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung« anerkennen. Der sogenannte Kreationismus, der neuerdings bei uns auch als »Lehre von einem intelligenten Erschaffer« (intelligenten Designer) auftritt und schon in vielen Kirchengemeinden Einzug gehalten hat, ist also unverzichtbarer Glaubenssatz aller Evangelikalen, desgleichen der Kampf gegen homosexuelle Menschen, die nach dem »irrtumslosen« Gebot des alttestamentlichen Gottes des »Todes sterben müssen« (3. Mose 20 Vers 13), auch wenn die Bibelchristen das lieber (noch) nicht so deutlich sagen.

Vom evangelikalen Geist erfüllt ist auch der »Arbeitskreis Christlicher Publizisten«, dem Wulff verbunden ist. Der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche Württemberg, Hans-Jörg Hemminger, bezeichnete laut Tagesspiegel vom 26. Juni den 1972 gegründeten ACP als »Splittergruppe am äußersten rechten Rand des Protestantismus«. Sie unterhalte Kontakt mit rechten Sekten und biete ultrarechten bis rechtsextremen Parteien ein Forum. Stolz veröffentlicht der Arbeitskreis, was »bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens« über sein Wirken sagen, so der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann: »Ihre Mitstreiter haben für ihr unermüdliches Eintreten für christliche Werte und die Verbreitung des Wortes Gottes den Dank unserer Gesellschaft mehr als verdient.«

Sein 35-jähriges Jubiläum hatte der Arbeitskreis im November 2007 im Offizierskasino Fritzlar begangen. Die Hauptreferate hielten Brigadegeneral Volker Barth (Hannover) über »Sechs Monate in Afghanistan« und der Oberst im Generalstab a.D. Kurt Heinz zum Thema »Als Christ und Soldat im Auslandseinsatz auf dem Balkan«. Grußbotschaften kamen vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und von Bundesministerin Ursula von der Leyen, deren Vater, der niedersächsische Ministerpräsident a.D. Ernst Albrecht, »ein besonders geschätzter Ehrengast«, im »geselligen Beisammensein aus seinem Leben berichtete« – sicherlich aber nicht, wie es zur Entscheidung für Gorleben als Atommüllendlager und zum »Celler Loch« gekommen war. Sein vierter Nachfolger im niedersächsischen Ministerpräsidentenamt, Wulff, hatte schon 2004 eine Grußbotschaft an den ACP anläßlich dessen Bundestagung in Bad Gandersheim gesandt und am 19. Mai 2010 im dortigen »Glaubenszentrum« vor dem Arbeitskreis eine Rede gehalten. Darin heißt es, beim ACP habe er es mit »durchaus kritischen, kompetenten, vor allem aber hilfreichen Diskussionspartnern« zu tun. Der Vortrag stand unter dem Thema »Politik aus christlichem Geist in der modernen Welt«.

Wie diese Politik ganz praktisch aussehen kann, hat der niedersächsische Ministerpräsident zwei Tage vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten demonstriert. Am 28. Juni tauschte er in Begleitung einer 30-köpfigen Delegation in Berlin mit dem apostolischen Nuntius, dem Botschafter des Vatikan, Erzbischof Jean-Claude Périsset, die Ratifizierungsurkunde in Sachen »Kirchliche Trägerschaft für das Gymnasium Twistringen« aus. Damit wurde, nach sechsjähriger Verhandlung, ein »landesweit einzigartiges Schulmodell« geschaffen, das zur Vermittlung »christlicher Werte« viele Nachfolger finden soll. Die »christlichen Werte« sollen uns also weiterhin begleiten, nachdem die schlagenden Merkmale jahrhundertelanger Erziehungspraxis gerade an das Licht der Öffentlichkeit gebracht wurden. Der neue Bundespräsident wird sie uns, etwa in seinen Weihnachtsansprachen, nicht ersparen. Dazu braucht er nicht mehr Kuratoriumsmitglied von ProChrist zu sein, ein Amt, das er »aus Gründen der Neutralität« wohl niederlegen wird. Im evangelikalen Sinne können ja auch andere verstärkt tätig werden, wie jetzt das bayerische Kultusministerium. An dem genannten Englischbuch beanstandete es die Aussage, daß »ein unbestreitbarer, starker Zusammenhang zwischen religiösem Fundamentalismus und einer fehlenden Bildung« besteht, wodurch die »amerikanischen Gymnasiasten«, die »nachhaltig vom Kreationismus beeinflußt« sind, »weniger über die Wissenschaft wissen als Gleichaltrige in Europa und Asien«. Diese – sachlich richtige – Darstellung stimme »teilweise nicht mit den in Artikel 131 der Bayerischen Verfassung formulierten Obersten Bildungszielen überein«, so die bayerischen Religionswächter. Die bayerischen Bildungsziele sind: »Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen«.

Im Grundgesetz Artikel 140 heißt es: »Es besteht keine Staatskirche.« Angesichts der Tatsache, daß mehr als 35 Prozent der Bundesbürger keiner der beiden Großkirchen angehören und der Anteil der konfessionsfreien Menschen zunimmt, ist es dringend geboten, die Forderungen nach Trennung von Kirche und Staat und, weitergefaßt, nach Trennung von Religion und Staat verstärkt ins Gespräch zu bringen!