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Titel1411

Was ich von Bernd C. Hesslein lernte  (Barbara Bronnen)

Es gibt wenige Menschen, die so viele Elemente so kraftvoll in sich vereinen wie Bernd C. Hesslein. Von ihm lernte ich Lebensfreude, Offenheit, Freimut, Sinn für Kunst, für Sprache und Literatur. Durch ihn weiß ich, was Sanftmut ist, Geduld, Höflichkeit und Empathie. Aber auch Beharrlichkeit, ohne die mein Leben als Schriftstellerin sicher einen anderen Verlauf genommen hätte.

Verkläre ich etwa den Mann, der vor zehn Jahren – da war er 80 – zu mir gezogen ist?

1939, als er 18 war, wurde er zum Arbeitsdienst eingezogen, ein halbes Jahr später zur Wehrmacht. Als Kriegsgefangener in Italien, Afrika, England bis 1948 wurde er zum Kosmopoliten. Schon in seinen Kriegstagebüchern aus Ägypten suchte er zu einer Weltsicht zu gelangen, die er mit anderen teilen konnte; er erlernte politische Gerechtigkeit. Und im britischen Lager Wilton Park gaben ihm Bücher, die er vorfand, Gedichte, die er abschrieb, Antworten auf seine Fragen. In ihm festigte sich der Gedanke, daß wir Pflichten gegenüber anderen Menschen haben, über Verwandtschaft und gemeinsame Staatsbürgerschaft hinaus. Und es reifte die Vorstellung, daß er nicht nur den Wert menschlichen Lebens insgesamt, sondern des einzelnen menschlichen Lebens ernst nehmen müsse. Wissend um die Verschiedenartigkeit der Menschen, erkundete er die Möglichkeiten, die darin liegen.

Sein Gerechtigkeitsstreben trug ihn auch in seinem beruflichen und politischen Leben. Er gehörte zu den ersten, die sich nach dem Krieg gegen die Wiederaufrüstung engagierten. »Die Aufrüstung Westdeutschlands war falsch und dominiert von Wehrmachtssoldaten« – diese Überzeugung vertritt er bis heute. Seine Treue zu sich selbst äußerte sich in seinen Filmen für Panorama, in der wöchentlichen ARD-Sendung »Vor 40 Jahren« und »Zeugen der Zeit«. In seinen Filmen »Umerziehung und Kriegsgefangenschaft«, »College und Kaderschmiede«, »Roter Stern und Stacheldraht« und der fünfteiligen Bestandsaufnahme des Kalten Krieges zwischen Deutschland Ost und West »Wiederbegegnung mit uns selbst – Deutsch-deutsche Legenden«, seit 1995 im ARD-Archiv eingesperrt, tat er, was seine Moral verlangte. Es war nicht die Moral des Senders.

Wir lernten uns 1970 kennen, als ich bei Piper ein Buch mit Interviews mit damaligen »Zonenflüchtlingen« unter dem Titel »Ich bin Bürger der DDR und lebe in der Bundesrepublik« mit einem Nachwort von Uwe Johnson herausgab, worüber er einen Film in Panorama machen wollte. Er wehrte sich von Anfang an, auch als Korrespondent der ARD in Ostberlin, gegen die Vernachlässigung der DDR in der Wahrnehmung der BRD: »Wir haben im Zeichen des Kalten Krieges auf Kosten der DDR in großer Freiheit gelebt und machen den Menschen nun, nach der Vereinigung, den Vorwurf, daß sie nicht mutig genug waren.« Die DDR blieb immer ein Teil unserer Gespräche und verbindet uns.

Sein präziser Umgang mit Geschichte und sein ungeheures Wissen haben mich immer fasziniert. Er nimmt jede Nachricht auf und versteht sie einzuordnen, und als mutiger Journalist fand er immer Wege, sich gängigen Pseudo-Wahrheiten und politischer Amoral zu widersetzen. Dafür hielt er seinen Wortschatz scharf, aber bevor er urteilt, versucht er erst herauszubekommen, was Menschen denken oder fühlen und was es zu respektieren gilt.
Es charakterisiert ihn, daß er neben und nach dem Beruf jahrelang als Bewährungshelfer arbeitete. Er tut, was er für richtig hält, wobei ihn das Erkennen der Vergeblichkeit wenig kümmert. In einer Gesellschaft, in der sich viele Menschen ohnmächtig fühlen und sich so verhalten, als könnten sie wichtige Entscheidungen nicht beeinflussen, hat der nun bald – am 12. August – 90jährige Zeitzeuge bis heute das Gefühl nicht verloren, daß es auf ihn ankommt. Was würde aus einem Land ohne die Einzelnen, die gewillt sind, Intoleranz und Gewalttätigkeit nicht hinzunehmen?

Von der Schriftstellerin Barbara Bronnen sind unter anderem erschienen: »Das Monokel«, Roman (2000), »Am Ende ein Anfang«, Roman (2006), »Liebe bis in den Tod« (2008), »Toskana« (2010). Ihr nächstes Buch »Meine Väter« erscheint 2012 im Insel Verlag.