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Titel1411

Das Debüt  (Walter Kaufmann)

»Hör zu, ich hab einen Vorschlag«, sagte Frank Hardy ungehalten, sogar irgendwie verärgert zu Pinchas Kirshstein. Der sah ihn abwartend mit sanftem Blick an. »Hast du bis heute keine Story fertig«, fuhr Hardy fort, »wird dir auch morgen keine vom Himmel fallen – am besten nimmst du eine von meinen und liest die vor.«

Der kleine, untersetzte Kirshstein hob abwehrend die Hände, sein sanfter Blick hatte sich in Unglauben aufgelöst.

»Die Geschichte ist nirgends gedruckt«, beruhigte Hardy ihn. »Sie sagen höchstens, du eiferst mir nach. Was allemal besser ist, als gar nichts vorzuweisen.

Pinchas Kirshstein stand mit hängenden Schultern da, die Füße nach innen gekehrt, und schwieg.

»Nur Mut«, sagte Hardy und steckte ihm drei zusammengerollte Manuskriptseiten mit Gummiband drumherum in die Innentasche der Jacke. Kirshstein ließ es geschehen. Die beiden trennten sich. Hardy steuerte eine Kneipe am Bahnhof Flinders Street an, Kirshstein nahm die Straßenbahn zum Melbourner Vorort Carlton.

Am nächsten Tag, dem monatlichen Treffen zur Dichterlesung, fehlte Pinchas. Wir warteten – eine Schar junger Schreiber, noch alle auf den untersten Sprossen der Karriereleiter. Nur Frank Hardy war schon für tolldreiste Erzählungen über Viehtreiber, Schafscherer und Landstreicher bekannt, alles Kerle, die sich nie im Leben in ein jüdisches Viertel wie Carlton verirrt hätten.

Frank Hardy sah auf sein Handgelenk, ihm fiel ein, daß er die Uhr verwettet hatte. »Wie spät?« fragte er. »Ohne Pinchas können wir nicht anfangen«, sagten wir ihm. Er ließ den Blick nicht von der Tür.

Und wirklich: Sie ging auf, und Pinchas Kirshstein erschien, trat leise ein, auf Unauffälligkeit bedacht.

»Na also«, sagte Frank Hardy und strahlte.

Pinchas Kirshstein begrüßte uns verhalten, nahm Platz am runden Tisch, zog eine Papierrolle aus der Tasche, streifte das Gummiband ab und glättete die Seiten.

»Wir hören«, ermunterte ihn Hardy.

Kirshstein räusperte sich und blickte über unsere Köpfe hinweg auf einen fernen Punkt. Die Blätter vor sich ließ er unbeachtet, während er eine Geschichte von Rabbi Moisches Katze zu erzählen begann, die ihm nach dessen Tod zugelaufen war. Er war damals erst fünf und die Katze fast zu schwer für ihn, aber er hatte es geschafft, sie nach Hause zu schleppen, die Katze hatte es zugelassen. Sie blieb, und Pinchas war glücklich – und so wirkte er auch jetzt beim flüssigen Erzählen, das ihm so bildhaft gelang, daß wir die Gäßchen im polnischen Schtetl sahen, Pinchas Kirshsteins Häuschen, die Stube im Häuschen, und wie er mit der Katze spielte. »Und klug war sie«, hörten wir ihn sagen, »lernte mit den Pfoten essen und auf Klinken springen, um Türen zu öffnen. Oh ja, die eigenen Katzen sind immer die klügsten.«

Während er erzählte, hatten sich die Manuskriptseiten wieder zusammengerollt, er hätte nichts ablesen können, mußte also seine Geschichte wörtlich im Gedächtnis haben. Es war die erste, die wir von ihm hörten. Und sie gefiel uns.

Frank Hardy wirkte nachdenklich. Es war, als traute er seinen Ohren nicht, am Ende aber lächelte er und reichte Kirshstein die Hand.

»Well done«, sagte er.

Kirshstein errötete. Er sah Frank Hardy an. »Wirklich?«

»Aber ja«, sagte er ihm, »sehr gut.«

Wir sahen Kirshstein die Manuskriptblätter zusammenrollen und ins Gummiband schieben und fragten uns, warum er sie Frank Hardy gab. Was sollte dieses Urgestein von einem Australier mit einer Geschichte über die Katze von Rabbi Moische?