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Titel1416

Monatsrückblick: Eier kraulen  (Jane Zahn)

»80 Prozent von euch und ich kraulen sich auch mal an den Eiern. Von daher ist alles gut«, sagte Nationalspieler Lukas Podolski am 14. Juni auf einer Pressekonferenz zu einer Videopassage, in der Nationaltrainer Jogi Löw gezeigt wird, wie er sich die Eier krault. Ist wirklich alles gut? Und hat die internationale Öffentlichkeit wirklich nichts Wichtigeres zu tun, als sich über eierkraulende Trainer aufzuregen? Angeblich geht es bei der EM in Frankreich ja um Sport. In Wirklichkeit selbstverständlich nur ums Geld.

 

Der »Marktwert« einer Fußballmannschaft, also der Geldwert der Spieler, ist ein guter Indikator für den Erfolg in internationalen Turnieren, haben jetzt auch Wissenschaftler festgestellt. Deshalb tippt eine Forschungsgruppe der Freien Universität Berlin, der Universität Gießen und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin auf das Endspiel Deutschland gegen Spanien. Die deutsche Mannschaft verkörpert 562 Millionen Euro, die spanische 558 Millionen Euro. Ob die vier Millionen dann wirklich einen Unterschied machen?

 

Jedenfalls wurden 2006 und 2010 die Teams bei der WM mit den damals höchsten Marktwerten Weltmeister: Italien und Spanien. Das ist wie bei dem fürchterlich langweiligen Kartenspiel für kleine Jungs, bei dem immer der höchste Wert gewinnt.

 

Deswegen regen die sich wahrscheinlich auch so auf, dass eine Frau im Fernsehen EM-Spiele kommentiert. Das stört beim kollektiven Kraulen offenbar. Immerhin sind nicht alle schwachsinnig. Herr Gauland kennt Herrn Boateng nicht, will ihn aber nicht als Nachbarn – daher wirbt eine Autovermietung mit dem Spruch: »Haben Sie einen Gauland in der Nachbarschaft? Wir empfehlen unseren Umzugswagen.« Bloß, wohin soll man ziehen, wenn flächendeckend der Wahnsinn zunimmt?

 

Oder wie soll man das nennen, was der Untersuchungsbericht zum BER feststellt: »Kollektiver Realitätsverlust«, ein »Verantwortungsvakuum« und »mangelnde Kontrolle« seien Gründe für das Debakel. Das Verantwortungsvakuum geht aber weiter: Die Opposition bemängelt, dass die verantwortlichen Politiker in dem Bericht geschont werden.

 

Und Berlin kann nicht nur keinen Flughafen, es kann auch keine Wahlen. Die Landeswahlleiterin warnt, dass die »ordnungsgemäße Durchführung der Wahlen [am 18. September ist die Wahl zum Abgeordnetenhaus] gefährdet« sei. Die Wahlsoftware weise gravierende Fehler und Mängel auf. Bei einer Testwahl mit diesem Programm sei es zu Datenverlusten und Vermischung von Datensätzen gekommen. Jetzt schieben sich SPD und CDU gegenseitig die Schuld zu, aber Abhilfe will keiner schaffen – das würde ja Geld kosten. (Tagesspiegel, 11.6.16)

 

Das müsste aber in die Hand genommen werden: Die Unternehmungsberatung McKinsey fordert die Bundesregierung auf, mehr in die Infrastruktur zu investieren. 160 Milliarden Euro müsste die Bundesregierung bis 2030 ausgeben, um den Fehlbedarf zu decken. Weltweit müssten jährlich rund drei Billionen Euro aufgewendet werden, um Verkehrschaos und Stromausfälle zu verhindern. Vorbildlich verhält sich die VR China: Sie gibt mit einem Anteil von 8,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt mehr für Infrastrukturmaßnahmen aus als die USA und Westeuropa zusammen. (jW, 18./19.06.16)

 

Hier dagegen lässt man gern Straßen, Brücken und Gleise verrotten. Hauptsache, neue Prestige-Bauten! Die dann immer teurer werden als geplant und vielleicht auch gar nicht mehr kommen – wie der Tiefbahnhof in Stuttgart. Warum plant eigentlich keiner einen tiefergelegten Flughafen? Dann könnte oben drüber noch eine Shopping-Mall gebaut werden. Wer kein Geld zum Einkaufen hat, kann sich ja die Eier kraulen.

 

Ob sich die Briten innerhalb oder außerhalb der EU die Eier kraulen werden, steht noch nicht fest, während ich dies schreibe. Denn die Volksbefragung ist nicht verbindlich. Cameron will zurücktreten, aber die Probleme bestehen weiter: Wirtschaftskrise, hemmungslose Bereicherung und wachsende Armut, Arbeitsdruck und Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend und Steuerflucht, Klimakatastrophe und Umweltschäden werden weder durch einen Austritt noch durch ein Verbleiben verschwinden. Krault Euch doch sonstwo!

 

27. Juli, 19.30 Uhr, Rheinsberg, Musikbrennerei, Königstraße 14. »Wir Humanitäter«. Premiere des neuen Programms von und mit Jane Zahn. Eintritt 15 €, Karten und Infos unter: www.musikbrennerei.de