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Titel1417

Wunschkinder und kein Ende  (Urte Sperling)

Eigentlich war die Serie zur Reproduktionsmedizin abgeschlossen (s. Ossietzky Hefte 17, 18, 19, 20/2016). Doch scheint ein Postscriptum anzeigt, angesichts neuer Meldungen aus dem Reich der Menschenproduktion. The Show must go on, und sie geht in der Tat weiter.

 

Ich lese im Internet: »Chinesische Wissenschaftler könnten die Reproduktionsmedizin auf den Kopf stellen: Ihnen ist es gelungen, Mäusesperma aus Stammzellen herzustellen. Die Methode könnte unfruchtbaren Männern helfen.« Schon seit längerem werde mit der Produktion von »befruchtungsfähigem Sperma« experimentiert. Bisher musste das Produkt – eine Spermavorstufe – jedoch in die Mäusehoden injiziert werden. Jetzt soll die Entwicklung von Vorstufen zu fertigem Sperma auch in der Petrischale mittels Chemikalien gelungen sein. Sollte dies für den Menschen gelingen, dann braucht es keine realen Männer mehr als Sperma-Produzenten, sondern es reichen embryonale Stammzellen oder vielleicht künftig auch einfache Haut- oder Blutzellen, um den männlichen Part der Menschenproduktion zu simulieren.

 

Ich habe in einem meiner Texte noch geschrieben, dass der Versuch, die Gebärmutter zu simulieren, um eine komplett extrakorporale Schwangerschaft zu bewerkstelligen, ad acta gelegt wurde.

 

Doch dies stimmt ebenfalls so nicht ganz. Zumindest wird weiter daran gearbeitet, auch den »mütterlichen Anteil« in den Griff zu bekommen. So beforschen Wissenschaftler menschliche Embryonen im Frühstadium, wobei es zunächst nicht gelang, sie – wie gewünscht – auch über den siebten Tag nach der Befruchtung hinaus zu beobachten, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt normalerweise im Mutterleib einnisten.

 

Die britische Fachzeitschrift nature berichtet über einen ersten Schritt in Richtung Gebärmutterersatz: Statt in einen Uterus wurden die Embryonen versuchsweise am siebten Tag nach der Befruchtung in eine künstliche Substanz »eingenistet« und siehe da: Die Embryonen entwickelten sich weiter. Die Forscher_innen stellten fest: »Erstaunlicherweise verlief die Entwicklung in unserem System bei völligem Fehlen mütterlichen Inputs zumindest in den ersten zwölf Tagen normal.« (Übersetzung und Hervorhebung U. S.)

 

Wenn es gelingt, Material aus »induzierten pluripotenten Stammzellen« (Erläuterung siehe unten) zu gewinnen, wird man für die assistierte Reproduktion weit weniger Eizellen und Embryonen benötigen als bisher, und dann wird die Eizellspende mit ihren unangenehmen Begleiterscheinungen der Hormonstimulierung eventuell überflüssig. Induzierte pluripotente Stammzellen werden aus Zellen von Männern und Frauen gleichermaßen gewonnen; und man kann beliebige Körperzellen dafür verwenden.

 

Gemessen an diesen Experimenten nimmt sich eine Nachricht aus Schweden noch geradezu altmodisch aus: Dort hat weltweit erstmalig eine Frau nach einer Gebärmutter-Transplantation ein Baby geboren. Der Eingriff – so der Kommentar – könnte wegweisend im Kampf gegen weibliche Unfruchtbarkeit sein und in bestimmten Fällen den Rückgriff auf »Leihmütter« überflüssig machen. Die FAZ vom 19. Juli 2016 berichtete, dass Chirurgen an der Universitätsklinik Erlangen – sollte die bayrische Regierung die Genehmigung erteilen – ebenfalls eine solche Transplantation vornehmen wollen. (An dieser Klinik wurde in den 1990er Jahren eine hirntote Schwangere künstlich am Leben gehalten, sozusagen als »fötales Umfeld« für ein entstehendes Kind, das per Kaiserschnitt geboren werden sollte. Das Experiment scheiterte, weil der Fötus vorher abstarb.)

 

An »Brave New World« erinnernde Experimentator_innen haben offenkundig das Spiel mit den Möglichkeiten der »geschlechtslosen« und völlig von Sexualität entkoppelten »Fortpflanzung« keineswegs aufgeben, während die große Mehrzahl der in die Welt gesetzten Kinder wohl nach wie vor auf herkömmliche Weise von Frauen unter Beteiligung nicht nur männlichen Zeugungsstoffes, sondern in – freiwilligem und unfreiwilligem, genussvollem oder zugemutetem – Kontakt mit realen männlichen Individuen gezeugt, ausgetragen und geboren wird.

 

Die Forschungen zur technischen Beherrschung von »Fortpflanzung«, Leben, Krankheit und Tod – eine weitere Facette von Industrie 4.0 – sind ein Projekt von Eliten für Eliten, mit dem sich zudem Geschäfte machen lassen. Es handelt sich um Konzepte, die den sogenannten Fortschritt im Munde führen, jedoch mit der Verbesserung der realen Existenzbedingungen von Milliarden Menschen auf dieser Erde nichts zu schaffen haben.

 

 

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) werden nicht aus Embryonen gewonnen, sondern entstehen »durch künstliche Reprogrammierung von nicht-pluripotenten somatischen Zellen [...] Induzierte pluripotente Stammzellen haben ein hohes medizinisches Potential, da die Forschung an ihnen weniger ethische Probleme mit sich zieht als die an embryonalen Stammzellen. Außerdem lassen sich speziell auf Patienten angepasste iPS-Zellen erzeugen.« (Wikipedia)