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Asse II: Abwicklung eines Begleitprozesses  (Andreas Riekeberg)

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass für das havarierte Atommüll-Lager im ehemaligen Salzbergwerk Asse II ein Begleitprozess eingerichtet wurde. Eine unabhängige wissenschaftliche Beratung war von den Bürgerinitiativen gefordert worden, die am 4. April 2007 die Remlinger Erklärung gegen die Flutung der Asse veröffentlicht hatten. Als im Laufe des Jahres 2007 verschiedene Skandale um eindringende Lauge in Asse II an die Öffentlichkeit kamen, geriet die Bundesregierung unter Druck und stimmte der Finanzierung von unabhängigen Wissenschaftlern zu; die Arbeitsgruppe Optionenvergleich (AGO) wurde eingerichtet.

 

Wer aber sollte das regionale Gegenüber zu diesen AGO-Wissenschaftlern sein, wer sollte über die Zusammensetzung der AGO entscheiden, wer die AGO anfragen können? So wurde im Januar 2008 eine Begleitgruppe aus VertreterInnen der Kommunalpolitik, der Bürgerinitiativen des Asse-II-Koordinationskreises und der Umweltverbände gegründet. Die Region um die Asse sollte mit einer Stimme sprechen können. Der Betreiber der Schachtanlage (ab 2009 das sogenannte Bundesamt für Strahlenschutz – BfS) und die Genehmigungsbehörden wurden mehr oder weniger verpflichtet, viermal im Jahr Auskunft zu aktuellen Arbeiten, Planungen und Anfragen zu geben und zu Kritik daran Stellung zu nehmen.

 

Über die Jahre konnte einiges erreicht werden: ein Vergleich verschiedener Schließungsoptionen für Asse II, dann die Verankerung der Rückholung des Atommülls als Vorzugsoption im Atomgesetz und der Beschluss, einen neuen Bergungsschacht »Asse 5« abzuteufen. Manches andere gelang bis heute nicht: Der Betreiber konnte bislang nicht dazu gebracht werden, eine detaillierte Gesamtplanung für die Rückholung vorzulegen, den Bau des Schachtes Asse 5 zu beginnen oder Bergetechnik für den Atommüll zu entwickeln.

 

Besonders kritisch jedoch – das war den Bürgerinitiativen schon früh klar – würde die Frage werden, an welchem Ort der aus Asse II zu bergende Atommüll zwischengelagert werden würde. Im Sommer 2011 formulierte der Asse-II-Koordinationskreis die Forderung, einen fairen Optionenvergleich für die Standortbestimmung eines Zwischenlagers vorzunehmen. Hintergrund: Die Abgabe von Radionukliden aus einem solchen Lager würde kaum geringer sein als die jetzt schon erhebliche Abgabe von radioaktivem Wasserstoff (Tritium) und Kohlenstoff (C-14) aus dem Atommüll im Bergwerk. Daher ist die mögliche Belastung durch Atommüll-Transporte nur ein Faktor; ein weiterer wichtiger zu berücksichtigender Faktor aber unter anderem die Belastung durch Radionuklide die abhängig ist von der Entfernung eines Atommüll-Zwischenlagers zur Wohnbevölkerung.

 

Ab Ende 2013 versuchten manche Stimmen, die Bevölkerung zur Hinnahme eines Zwischenlagers an der Asse zu bewegen. Der Konflikt eskalierte, als der Landkreis Wolfenbüttel am 30. April 2015 die Forderung der Initiative aufpASSEn e.V. nach Einbeziehung möglicher Standorte, die einen Abstand von mehr als vier Kilometern zu Wohnbebauung aufweisen, falsch darstellte – und ihr zudem vorwarf, durch die Forderung die Rückholung zu gefährden.

 

Dann der Eklat: Ende August 2015 weigerte sich die neue Landrätin Steinbrügge (SPD), als Vorsitzende der Begleitgruppe eine ihrer Sitzungen zu eröffnen. Die Sitzung platzte. Die Empörung war so groß, dass elf von siebzehn Begleitgruppenmitgliedern Anfang November 2015 einen offenen Brief mit sieben Fragen und Anforderungen zur Begleitgruppenarbeit an die Landrätin richteten.

 

Doch inzwischen waren andere Organe dabei, Fakten zu schaffen. Der Kreistag Wolfenbüttel verabschiedete im Oktober 2015 mit 39 von 43 Stimmen einen Beschluss: »Der Kreistag fordert den unverzüglichen Beginn einer transparenten, ergebnisoffenen, kriterienbasierten Standortsuche für die Konditionierungsanlage, das Puffer- und Zwischenlager. Dies gilt insbesondere für die Suche nach Asse-nahen Standorten, weil das Verfahren einvernehmlich festgelegt ist. Konkrete Entfernungsvorgaben beim Suchverfahren werden abgelehnt.« Bemerkenswert: In dem Beschluss ist nicht die Rede davon, dass die geforderten Einrichtungen – Konditionierungsanlage, Pufferlager und Zwischenlager – für den Müll aus Asse II bestimmt sein sollen. Die Anlagen könnten also auch als Eingangslager für Schacht Konrad genutzt werden. Auf die Errichtung eines derartigen Eingangslagers hat sich die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag kürzlich verständigt.

 

Zurück zum Herbst 2015: Im November – wenige Wochen nach der Kreistagsforderung nach einer Standortbestimmung für ein Zwischenlager an der Asse – verabschiedete der Niedersächsische Landtag das Gesetz über einen »Zukunftsfonds Asse«, durch den seither erhebliche Bundesmittel in den Landkreis fließen, jährlich bis zu drei Millionen Euro zur Verschönerung der Ortsbilder und zur Unterstützung sozialer, sportlicher und kultureller Aktivitäten.

 

Im ersten Halbjahr 2016 unterzog sich die Begleitgruppe dann einer von der Landrätin verlangten Mediation – ergebnislos. Die sieben Fragen und Anliegen des offenen Briefes der Begleitgruppen-Mehrheit blieben unbeantwortet.

 

Anfang 2017 schien es einen gemeinsamen Neuanfang zu geben. Im Umweltausschuss des Bundestages nahmen Landrätin, Bürgerinitiativen und Wissenschaftler am 18. Januar gemeinsam Stellung gegen die Betonverfüllung von Strecken auf der 750-Meter-Sohle, auf der der meiste Atommüll lagert. In den folgenden Monaten versuchten die Bürgerinitiativen, die Öffentlichkeit gegen die Maßnahme des Betreibers zu mobilisieren – erfolglos. Am 26. April 2017, einen Tag nach dem Abschluss der Verfüllarbeiten auf der 750-Meter-Sohle, übergab das BfS unter dem Präsidenten Wolfram König (Bündnis90/Die Grünen) die Betreiberschaft für Asse II an die neugegründete Bundes-Gesellschaft für Endlagerung.

 

Anfang März 2017 legten die vier Hauptverwaltungsbeamten der Begleitgruppe einen Vorschlag für eine neue Struktur der Begleitgruppe vor: Fortan sollten »Kommunalpolitik« und »Zivilgesellschaft« an zwei getrennten Tischen tagen und nur durch eine »Schnittstelle« verbunden sein. Das Modell sah eine Vielzahl neuer Gremien vor und hatte keine Geschäftsordnung mehr, also keine regulierten Abläufe. Der Asse-II-Koordinationskreis prüfte den Vorschlag nach verschiedenen Kriterien und entwickelte einen eigenen zur Weiterentwicklung der Begleitgruppe, unter Beibehaltung des gemeinsamen Runden Tisches von Kommunalpolitik, Bürgergruppen und Umweltverbänden. Doch die Hauptverwaltungsbeamten waren zu keiner öffentlichen Diskussion bereit, sie holten sich lediglich die Zustimmung der Samtgemeinderäte und des Kreistages zu ihrem Modell ein. Schließlich wurde im Januar 2018 mit zehn zu sieben Stimmen in der Begleitgruppe der Beschluss gefasst, die bisherige Begleitgruppe durch das neue Modell »abzulösen«. Alle Delegierte des Kreistages aus den Parteien SPD, CDU, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke stimmten mit den Hauptverwaltungsbeamten dem Beschluss zu, gegen die VertreterInnen der Bürgerinitiativen und Umweltverbände. Diese 59-Prozent-Mehrheit ist zwar eine Mehrheit, aber keine »qualifizierte« Mehrheit, wie sie die Geschäftsordnung der Asse-II-Begleitgruppe für eine Auflösung fordert. Das hinderte aber den Landkreis nicht daran, das neue Modell Schritt für Schritt umzusetzen.

 

Die Bürgerinitiativen des Asse-II-Koordinationskreises beteiligen sich an der neuen »Zivilgesellschaftlichen Vereinigung« nicht, sondern gehen eigene Wege, um sich für die langfristige Bewahrung der Region um die Asse vor radioaktiver Kontamination und gegen eine Flutung der Schachtanlage Asse II einzusetzen.

 

Der Asse-II-Koordinationskreis unabhängiger Bürgerinitiativen veröffentlichte im Juni 2018 einen Katalog von 27 grundsätzlichen Forderungen für den Umgang mit der Schachtanlage Asse II, in der von 1967 bis 1978 insgesamt 126.000 Fässer mit Atommüll eingelagert wurden. Täglich laufen zwölf Kubikmeter Lauge in die Anlage und drohen den Salzstock langfristig aufzulösen. Der Atommüll kann dort nicht langfristig trocken bleiben, bei der Zersetzung des Atommülls droht die Auspressung eines Atommüll-Salz-Flüssigkeit-Gas-Gemisches in die Umwelt.

 

Weiterlesen: »Asse II – Die Uhr tickt! Grundsätze des Asse-II-Koordinationskreises zur Rückholung des radioaktiven Mülls aus Asse II«, Asse-Durchblicke Nr. 8, http://www.asse-watch.de/pdf/Asse_Durchblicke_Nr8.pdf