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Roman-Theater  (Lothar Zieske)

Schon zum 20. Mal fand in Hamburg, im »Thalia Gaußstraße«, ein Symposium statt, das von der Germanistin Ortrud Gutjahr (Universität Hamburg) – in diesem Fall zusammen mit Dramaturginnen des Thalia Theaters – koordiniert wurde. Das Thema »Roman-Theater« betrifft stark die gegenwärtige Spielpraxis des Thalia, ist doch die Zahl der Aufführungen auf der Basis bearbeiteter Romanvorlagen in den letzten Jahren deutlich angestiegen.

 

Um es vorwegzunehmen: Über weite Strecken lief das Symposium auf eine Verteidigung der veränderten Spielpraxis hinaus. Zum einen wurde in abschreckender Absicht ein Kritiker eben dieser Praxis regelrecht vorgeführt, der zunächst anonym als »Großkritiker« vorgestellt wurde: der FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier. Er macht es nun allerdings denen, die ihn angreifen, durch Verwendung biologistischer Ausdrücke wie »epische Verseuchung des Theaters« auch besonders leicht.

 

Von verschiedenen Seiten wurde der Eindruck erweckt, dass das Roman-Theater im Grunde gar nichts Neues sei: Die Aufteilung der Literatur in Gattungen (Epik, Dramatik, Lyrik) sei überholt, und alle hätten einen gemeinsamen Ursprung im »Erzählen«, so Gutjahr unter Rückgriff auf die mittelalterliche Etymologie. Der entscheidende Unterschied – so die Professorin weiter – bestehe nicht im Gattungs-, sondern im Medienwechsel (von der [privaten] Lese- zur [öffentlichen] Theaterwelt). Schauspieler Martin Schneider zog die Theaterpraxis des 18. und frühen 19. Jahrhunderts als Beleg heran. Auf Vorzüge verwies Thalia-Intendant Joachim Lux: »Die Partnerschaft auf Augenhöhe von Regisseur und Autor« biete neue Möglichkeiten. Gutjahr ergänzte, verallgemeinernd: »Wir müssen immer froh sein, dass es diese Freiheit [die das Roman-Theater biete] gibt.«

 

Es wurden aber auch Argumente der Gegenseite genannt, die in summa bedenklich stimmen müssten: Das Argument eines zitierten Dramaturgen des 18. Jahrhunderts, Theaterbearbeitungen zerstörten die Grundstruktur des Romans, wurde immerhin insofern aufgenommen, als von mehreren Vortragenden zugestanden wurde, dass es auch ausgesprochen schlechtes Roman-Theater gebe. Außerdem wurde klar: Das Roman-Theater hat nicht allein aufgrund künstlerisch motivierter Entscheidungen der Theatermacher an Einfluss gewonnen: Der Intendant Lux sprach von »Rohstoffmangel« an spielbaren Stücken. Auch werde die bildungsbürgerliche Schicht, die dem traditionellen Theater gegenüber noch aufgeschlossen ist, zunehmend kleiner. Es gebe also auch starke ökonomische Motive für die Theater, Romanbearbeitungen auf die Bühne zu bringen. Als weitere Gründe nannte Birte Lipinski: Die Inszenierungen könnten als »Uraufführungen« ausgegeben werden und sich mit berühmten oder zumindest in Bestsellerlisten auftauchenden Namen schmücken.

 

Einen entscheidenden Gesichtspunkt brachte schließlich aber der Theaterkritiker Till Briegleb (SZ) vor: Er bestritt zunächst den generellen Befund, Romanbearbeitungen fürs Theater seien im Grunde nichts Neues, und stellte die »Wendejahre« ab 1989 als Phase verstärkter Hinwendung zu dieser Praxis heraus – mit Frank Castorfs Bearbeitung von Dostojewskis »Dämonen«, 1999, als erstem Gipfelpunkt. In seiner weiteren Argumentation ging er von einer Gegenüberstellung der Art des Lernens (bezogen auf das Theaterpublikum) aus: einerseits aus dem Motiv von Lust und Spaß, andererseits unter Überwindung von Widerständen gegen Unlust. Die Nach-Wende-Reaktion sei auf Frustration durch das traditionelle Theater zurückzuführen. Dadurch habe sich ein Kampf um möglichst große Originalität entwickelt. Inzwischen gebe es nun allerdings einen Gegentrend: zur »freiwilligen Umarmung durch die Konsumkultur« aus Angst vor Überforderung des Publikums. Anders ausgedrückt: Man senkt das Niveau, um vom Publikum verstanden und akzeptiert zu werden. Daraus ergebe sich die Gefahr der Beliebigkeit des Theaters.

 

Brieglebs Argumentation befreite das Symposium aus der Kontroverse über das »Pro und Contra des Roman-Theaters« und lenkte den Blick auf eine Gefahr, die das Theater, unabhängig von dieser Kontroverse, gegenwärtig bedroht.