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Proteste und Aktionscamp gegen Rheinmetall  (Sven Gerner)

Es war beeindruckend: Plötzlich gingen etwa 50 Menschen auf die Bühne zu und besetzten kurzerhand das Podium der Rheinmetall-Aktionärsversammlung. »Jemen, Rojava, Türkei – bei jeder Schweinerei ist Rheinmetall dabei«, riefen sie lautstark und ergänzten: »Deutsche Panzer raus aus Kurdistan!« Der Vorstandsvorsitzende Armin Papperger hatte an diesem 28. Mai 2019 gerade das Wort ergriffen und die Aktionäre im großen Saal des Berliner Maritim-Hotels freundlich begrüßt. Nun wirkte er aufgrund der neuen Situation verunsichert und verließ schließlich resigniert das Rednerpult, das die Kriegsgegner in Beschlag genommen hatten.

 

Rheinmetall ist der größte deutsche Rüstungskonzern. Er gehört zu den Ausstattern der Leopard-II-Panzer, mit denen die Türkei 2018 in die nordsyrische Stadt Afrin völkerrechtswidrig einrückte. Das mehrheitlich von Kurden bewohnte Afrin ist Teil der Demokratischen Föderation Nordsyrien, die Rojava genannt wird.

 

Mit Bomben von Rheinmetall führt die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz den Krieg in Jemen auch gegen die Zivilbevölkerung. Dokumentiert ist beispielsweise ein Luftangriff in der Nacht vom 8. Oktober 2016 mit einer Lenkbombe der italienischen Rheinmetall-Tochterfirma »RWM Italia« im westjemenitischen Dorf Deir Al-Hajari. Bei dem Angriff starb eine sechsköpfige Familie.

 

Darauf machte die Umweltschutzorganisation Greenpeace am Tag der Aktionärsversammlung mit einem riesigen Transparent aufmerksam. Kletterer der Nichtregierungsorganisation hatten sich an der Fassade des Tagungshotels abgeseilt und dort ihr großes, gelbes Banner mit der Aufschrift »Rheinmetall-Bomben töten im Jemen« ausgebreitet. In unmittelbarer Nähe des Hoteleingangs endete an diesem Vormittag auch eine bunte Demonstration mit einer Kundgebung gegen das blutige Geschäft von Rheinmetall.

 

Im Hotel riefen die Aktivisten derweil weitere Parolen: »Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt«. Auf einem aufgespannten Spruchband stand für alle anwesenden Aktionäre gut sichtbar: »RHEINMETALL ENTWAFFNEN«. Schließlich wurden die Rüstungsexportkritiker einzeln und äußerst unsanft von der Polizei aus dem Tagungssaal getragen. Die Hauptversammlung war bis dahin für knapp eine Stunde unterbrochen. Das war ein Novum in der Geschichte von Aktionärsversammlungen in Deutschland. Entsprechend viel Zuspruch äußerten beispielsweise einzelne kritische Aktionäre und Gewerkschafter: Mit dieser Protestform sei endlich einmal die Kritik angemessen und deutlich vermittelt worden.

 

Die überraschende Vielfalt der Aktionen und ihr Zusammenspiel erzeugten eine öffentliche Aufmerksamkeit, die es bei einer Hauptversammlung des Rüstungskonzerns so noch nicht gegeben hatte. »Heute haben wir die Aktionärsversammlung von Rheinmetall in Berlin gestört. Im September blockieren wir eine Bombenfabrik in Niedersachsen«, erklärte im Anschluss die Aktivistin Carola Palm des Bündnisses RHEINMETALL ENTWAFFNEN, das die Proteste vorbereitet hatte. Für den 6. September ist eine Blockade im niedersächsischen Unterlüß bei Celle angekündigt. Rheinmetall produziert dort Fuchs-Panzer, Geschosse und Granaten.

 

Die geplante Blockade steht im Rahmen von Aktionstagen in Unterlüß in der Lüneburger Heide, die am Antikriegstag, dem 1. September, beginnen. Vorgesehen ist ein Dreiklang, der sich zusammensetzt aus Diskussionen während des einwöchigen Camps auf der Unterlüßer Festwiese in unmittelbarer Nähe der Rheinmetall-Produktionsstätten, aus der Blockade-Massenaktion am 6. und einer gemeinsamen Demonstration durch den Ort am Samstag, dem 7. September.

 

Bereits im vergangenen Jahr kam im Zeltlager eine dreistellige Zahl von Menschen zusammen, bunt gemischt vom Alter her und von ihrer Motivation. Das politische Spektrum reichte von Pazifisten über Anti-Atom-Aktivisten und Gewerkschafter bis hin zu Tierrechtlern. Gemeinsam diskutierten sie über Feminismus und Klimawandel, über Fluchtursachen und EU-Grenzsicherung sowie über Kapitalismus und Rüstungskonversion. Positiv resümierend hebt Carola Palm das menschliche, soziale und kulturelle Miteinander während des Camps hervor. Daran wolle man im September anknüpfen, erzählt sie. Ein Schwerpunkt werde auch auf Erinnerungsarbeit liegen. Rheinmetall hatte in Unterlüß in der Zeit des Faschismus Zwangsarbeiterinnen des KZ Bergen-Belsen aus dem nahegelegenen Außenlager Tannenberg eingesetzt, aber vor Ort gibt es noch nicht einmal eine Gedenktafel.

 

Während des Camps wird auch strategisch debattiert werden, was in den kommenden Monaten und Jahren notwendig ist, um eine starke, ernstzunehmende Antikriegsbewegung zu schaffen, die den Rüstungskonzernen und der freizügigen Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung wirksam etwas entgegensetzen kann. Zwar sind 81 Prozent der deutschen Bevölkerung gegen Waffenexporte an alle am Jemenkrieg beteiligten Länder, wie eine aktuell im Auftrag von Greenpeace durchgeführte Umfrage belegt. Aber diese Ablehnung zeigt sich nicht bei Protesten auf der Straße. Das will RHEINMETALL ENTWAFFNEN ändern und breite Bündnisse schaffen – zusammen mit kurdischen Vereinen, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen sowie mit Linken innerhalb und außerhalb der Parlamente. Die Proteste gegen die Rheinmetall-Aktionärsversammlung waren dafür ein vielversprechender Anfang.

 

 

Informationen zum Camp: https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org. Sven Gerner ist freier Journalist in Teilzeit.