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Titel1420

Ambulanz  (Renate Schoof)

In Memoriam Stéphane Hessel und Jewgeni Jewtuschenko

 

 

Im KZ, sagt der alte Mann, haben mich Gedichte

gerettet, beschützt gegen die Kälte, die Enge, den

Durst, gegen Hunger und Angst. Nacht für Nacht,

Goethe und Hölderlin, Baudelaire und Rimbaud,

Keats und Rilke gegen Verzweiflung, gelernt

als Kind, by heart, mit dem Herzen gelernt,

für Helen, die Mutter.

 

 

Jewtuschenko, sagt ein anderer. Zwischen

Elektroschocks und Psychopharmaka: Gedichte.

Hab den Verstand behalten, meine Seele und

das bisschen Darüber. Er winkt ab. Eine

Familientragödie, Misstrauen, falsche Sorge,

schon fast vergessen. Aber der Dichter, der

wollte alles Liebe küssen mit einem einzigen Kuss.

 

 

Wie Krankenwagen sollten Gedichte sein. Ambulanzen

für die Beschädigten, sagt ein Dritter. Und zugewunken

haben sich Erntearbeiterinnen und Reisende in seinen

Gedichten, als winke das Leben sich selber zu. Den Krieg

hätte er fast nicht überlebt, der Jewtuschenko, sagt jemand,

hat ihn selber gesehen, den großen Russen, in Berlin, die

Bühne des kleinen Theaters fast sprengend, neben dem

Brandauer, Klaus Maria. Eine Bombe, 1943 aufs Dach

der Moskauer Schule, falsch montierter Zünder, weit weg

im Feindesland Sabotage, mit Leben erkauft. Der Rektor

hat es den Schülern gezeigt, damals in Moskau. Und

Menschen wie Anna Seghers’ Georg Heisler, sagt er, die

hat es wirklich gegeben. Saboteure auf Leben und Tod.