erstellt mit easyCMS
Titel1508

Der Zweck heiligt den Islamismus  (Ralph Hartmann)

In der internationalen Politik findet seit jeher von Zeit zu Zeit ein Rollentausch statt: Freunde werden zu Feinden, Gegner zu Verbündeten, und zwar immer dann, wenn die eigenen Interessen es angezeigt erscheinen lassen. Die USA und die ganze schöne freie westliche Welt haben viele Gegner. Zur Zeit gelten die Islamisten, die moslemischen Gotteskrieger, die Dschihadisten als ihre Todfeinde. Wo sie expansionistischen Zielen und Machtambitionen und vor allem der hemmungslosen Gier nach Roh- und Brennstoffen im Wege stehen, werden sie mit allen Mitteln bekämpft. Die Aggressionen gegen Afghanistan und den Irak, die Kriegspropaganda und -vorbereitung gegen den Iran illustrieren das zur Genüge. Raffiniert und trickreich werden Ressentiments gegen den Islam geschürt, um Kriegsabenteuer zu rechtfertigen.

Ganz anders sieht es aus, wenn die gleichen islamistischen Kräfte in den Dienst imperialistischer Einmischungs- und Machtpolitik gestellt werden können. Die Zerschlagung des Vielvölkerstaates Jugoslawien und insbesondere der schreckliche Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina bieten dafür ein anschauliches Beispiel.

Im heißen Sommer 1983 fand in Sarajewo ein Prozeß gegen eine Gruppe von moslemischen Intellektuellen statt, die des Panislamismus und Fundamentalismus beschuldigt wurden. Unter den Angeklagten befand sich ein gewisser Alija Izetbegovic. Hauptdokument der Anklage war die von ihm verfaßte »Islamische Deklaration«. Mit ihr, so der Staatsanwalt, habe er »zur Zerstörung Jugoslawiens aufgerufen«. Izetbegovic betonte, daß er in der Schrift auf Jugoslawien nicht eingegangen sei und folgedessen auch nicht gegen jugoslawische Gesetze verstoßen habe.

Tatsächlich, in der »Islamischen Deklaration« ist nicht einmal das Wort »Jugoslawien« zu finden. Behandelt werden Probleme der gesamten islamischen Welt, die aufgerufen sei, eine neue Ordnung im Einklang mit den Geboten des Koran und den moslemischen Massen zu schaffen. Dennoch war die Botschaft an die Moslems in Jugoslawien schwerlich mißzuverstehen. Einer ihrer Kernsätze lautete: »Unser Ziel ist die Islamisierung der Moslems, unser Weg heißt: glauben und kämpfen!« Izetbegovic vertrat die Auffassung, daß der Islam nicht nur eine Religion sei: »Die islamische Ordnung ist eine Einheit von Glauben und gesellschaftlich-politischem System. Die islamische Wiedergeburt kann nicht ohne die Religion beginnen, aber sie läßt sich auch nicht ohne die politische Revolution vollenden.« Die islamische Bewegung müsse die Macht im Staat ergreifen, sobald sie moralisch und zahlenmäßig so stark sei, daß sie die bestehende nicht-islamische Macht stürzen und eine islamische Macht errichten könne, schrieb Izetbegovic.

Nicht weniger deutlich wurde der Autor, als er betonte: »Die erste und wichtigste Schlußfolgerung ist die Unvereinbarkeit islamischer und nichtislamischer Systeme. Es gibt keinen Frieden und keine Koexistenz zwischen dem islamischen Glauben und nichtislamischen gesellschaftlichen und politischen Institutionen. Der Staat muß ein Ausdruck der moralischen Konzeptionen der Religion sein.« Und an anderer Stelle unterstützte er die »Bemühung, eine große Islamische Föderation von Marokko bis Indonesien, vom tropischen Afrika bis nach Zentralasien zu erschaffen«, um hinzuzufügen: »Die islamische Bewegung sollte und muß damit beginnen, die Macht zu übernehmen ...«

Geschrieben worden war die Denkschrift zwischen1966 und 1970, verbreitet wurde sie lediglich im Untergrund. Aber auch so blieb sie nicht ohne Wirkung, erhoben doch gerade in jener Zeit radikale Kräfte in Sarajewo und Mostar die Forderung, die Moslems in Jugoslawien als alleinige staatstragende Nation in Bosnien-Herzegowina anzuerkennen, da Serben und Kroaten bereits durch eigene Republiken repräsentiert seien. Eine derartige Forderung trug gefährlichen Zündstoff in eine multinationale Gesellschaft, in der Moslems, die wenig mehr als 40 Prozent der Bevölkerung ausmachten, gleichberechtigt mit Serben (etwa 34 Prozent) und Kroaten (etwa 18 Prozent) zusammenlebten. Lange Zeit war in Bosnien-Herzegowina darüber gestritten worden, ob die vor allem in den Städten konzentrierten Moslems, die Nachfahren der unter der Türkenherrschaft zum Islam konvertierten Südslawen, eine Religionsgemeinschaft oder eine selbständige ethnische Gruppe bildeten. Anfang der 1970er Jahre wurde der Streit offiziell beigelegt. Durch staatliche Verfügung erhielten die Moslems das Recht, sich zu einer Nation gleichen Namens zu bekennen. Mit diesem Schritt war Jugoslawien, bestrebt, seine führende Rolle in der Bewegung der Nichtpaktgebundenheit aufrechtzuerhalten, auch dem Wunsch einflußreicher moslemischer Staaten entgegengekommen. Die Anerkennung der Moslems als »Nation« in Jugoslawien bestärkte nationalistische Kräfte in ihren Forderungen nach politischer Aufwertung und nach Umwandlung der Teilrepublik in einen moslemischen Staat.

Titos Nachfolger, mehrheitlich noch am Erhalt des Status quo und am Fortbestand des multinationalen Jugoslawien und seiner kleineren Variante, des multinationalen Bosnien, interessiert, verfolgten derartige Bestrebungen mit Argwohn und wachsender Sorge. Der Islamistenprozeß in Sarajewo war eine der Folgen dieser Entwicklung. Alija Izetbegovic wurde nach kurzer Prozeßdauer zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt und nach sechs Jahren vorzeitig entlassen. Kurz danach hob er die moslemische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) aus der Taufe, als deren Führer er 1990 an die Spitze des kollektiven Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina gewählt wurde.

Der Prozeß gegen den Autor der »Islamischen Deklaration« fand im Westen, in den Metropolen der NATO-Staaten, nur geringe Aufmerksamkeit. Weder regte sich Kritik an Izetbegovics Auslassungen, noch wurde offizieller Protest gegen die »Unterdrückung der Meinungsfreiheit« durch den Bund der Kommunisten laut. Letzteres schon deshalb nicht, weil man Jugoslawien, das zwischen den Blöcken lavierende einflußreiche nichtpaktgebundene Land, nicht reizen, sondern möglichst auf die eigene Seite ziehen wollte. Als jedoch der Warschauer Vertrag zerfallen war, die Sowjetunion im Chaos versank und unterging, aber in Belgrad und auch in der bosnischen Republikshauptstadt noch immer die rote Fahne, wenn auch arg zerschlissen, wehte, änderte sich alles. Der Vielvölkerstaat wurde von inneren separatistischen und äußeren Kräften zerschlagen, um, wie später triumphierend verkündet wurde, die »letzte kommunistische Bastion in Europa« zu beseitigen. Der 1983 wegen der Propagierung eines militanten islamischen Fundamentalismus verurteilte Izetbegovic mutierte in den Augen Washingtons, Bonns und der NATO zu einem geachteten Politiker, zu einem vorbildlichen Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit des bosnisch-moslemischen Volkes. Seinem Kampf gegen die Sozialistische Partei und deren Vorsitzenden Slobodan Milosevic, gegen die Serben und für die Verwandlung Bosniens und der Herzegowina in einen selbständigen moslemischen Staat wurde, erst insgeheim und dann immer offener, allseitige Hilfe zuteil.

Die Bundesrepublik Deutschland schlug ungeachtet aller Warnungen engster Verbündeter sowie des UN-Generalsekretärs de Cuellar mit der überstürzten Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens den »Funken, der Bosnien-Herzegowina in Brand setzt(e)«, wie der Vorsitzende der Jugoslawienkonferenz, Lord Peter Carrington, früherer Außenminister Großbritanniens und Generalsekretär des Nordatlantikpaktes, vorausgesagt hatte. Von Anfang an stellte sie sich auf die Seite der von Izetbegovic geführten Separatisten und setzte mit Druck und Erpressung die Anerkennung des von ihnen proklamierten unabhängigen Staates durch.

Die USA, die den wachsenden Einfluß Deutschlands im zusammenbrechenden Jugoslawien und auf dem gesamten Balkan mit Argwohn verfolgten, gingen einen Schritt weiter und begannen, sich auch miltärisch in den Bürgerkrieg einzumischen. Gemeinsam mit Saudiarabien und anderen islamischen Ländern organisierten und finanzierten sie den Einsatz von Tausenden von Moslems aus arabischen Staaten, Afghanistan und dem Iran, die fortan gemeinsam mit ihren Glaubensbrüdern in der bosnisch-moslemischen Armee gegen die Serben und zeitweise auch gegen die Kroaten kämpften – mit besonderer Grausamkeit, wie Augenzeugen berichteten. In speziellen Trainingscamps wurden die ausländischen Gotteskrieger auf ihre Einsätze vorbereitet. Ein großer Teil ihrer modernen Waffen wurde unter Bruch aller UN-Resolutionen von den USA geliefert und mit deren Transportflugzeugen in das Bürgerkriegsgebiet gebracht. Koordiniert wurden die Aktionen von US-Geheimdiensten und der Military Professional Resources Inc., einer Filiale des Pentagons.

Zu den vielen Akteuren im bosnischen Bürgerkrieg gehörte auch Osama Bin Laden. Seine Rolle in der Verschwörung gegen die einstmals friedlich und tolerant zusammenlebenden Moslems, Serben und Kroaten ist bis zum heutigen Tage nicht völlig aufgeklärt. Fest steht jedoch, daß er 1993, inmitten des Bürgerkrieges, in Wien, einem Zentrum des Waffenschmuggels nach Bosnien, einen bosnischen Paß erhielt, mehrmals in Sarajewo weilte und Gespräche im Palast des Präsidenten Izetbegovic führte. Es gibt keinen Hinweis, daß er dort etwa zur Versöhnung zwischen den Bürgerkriegsparteien und zur Einstellung der grausamen Kriegshandlungen aufgerufen hätte.

Den Höhepunkt erreichte die US-amerikanische Unterstützung für Izetbegovic und die moslemischen Separatisten im August 1995, als sich die USA offen in den Bürgerkrieg einmischten, ihre Kampfflugzeuge wochenlang serbische Stellungen bombardierten und viele unschuldige Männer, Frauen und Kinder umbrachten.

Nach dem Waffenstillstandsabkommen von Dayton wurde ein Teil der ausländischen moslemischen Krieger in Bosnien seßhaft, viele kehrten in ihre Heimatländer zurück, andere zogen weiter – unter anderem nach Kosovo und Mazedonien, aber auf verschlungenen Wegen auch in die Vereinigten Staaten. Dort halfen sie unter mysteriösen, bis heute im Detail nicht geklärten Umständen, schreckliche Terroranschläge zu begehen, das Feindbild Islam zu schärfen und der Bush-Administration den Vorwand für den »Krieg gegen den Terror« zu schaffen, der nach außen mit militärischen Aggressionen und nach innen mit Demokratieabbau geführt wird.

Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel – oder, wie der Jesuitenpater Hermann Busenbaum schon 1652, wenige Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg, schrieb: »Cum finis est licitus, etiam media sunt licita« (»Wenn der Zweck erlaubt ist, sind auch die Mittel erlaubt«). Diente das Zusammengehen mit den Islamisten in Jugoslawien, in Bosnien etwa nicht dem hehren Ziel, den Überresten des Sozialismus in Jugoslawien und dem Land selbst den Garaus zu machen? Und sind etwa der Kampf um Einflußzonen und Hegemonie, um Erdöl und andere Ressourcen, der Schutz der zivilisierten Welt vor dem Vordringen des feindlichen Islam kein hoher erlaubter Zweck?