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Titel1514

Wir spielen Weltkrieg  (Monika Köhler)

Ich weiß, viele tun es. Auch die amtlichen »Tagesthemen«. Alle sprechen von: »Ausbruch«. Ausbruch des Krieges. Daß es Christopher Clark tut, verständlich. Was ist ein Ausbruch? Ein Naturereignis wie ein Vulkan. Wer hat Schuld? Die Frage ist nicht gefragt. Warum aber Dennis Conrad, der Kurator der Ausstellung »Krieg und Propaganda 14/18« (bis 2. November, Katalog 224 Seiten,

25 €) dieses Wort benutzt, ist nicht zu verstehen. Sabine Schulze, die Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, mahnt: »Wir wünschen dieser Ausstellung und dem ergänzenden Katalog ein interessiertes, medienkritisches Publikum.« Dieser Wunsch steht auf Seite 13, der Ausbruch erstmals auf Seite 26.
Die Propaganda für einen und in einem Krieg in den Vordergrund zu stellen – das hat heute erschreckende Aktualität. Auch wenn uns nun ganz andere Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen. Die unterschiedlichsten Formen der Propaganda in den beteiligten Staaten versucht die Ausstellung mit Plakaten, Bildpostkarten, Fotografien, Künstlergrafiken, Illustrierten, Skulpturen, Alltagsgegenständen und Kinderspielzeug zu zeigen. Auch Musik (zum Anfeuern wichtig) und das noch neue Medium des Films und Tonaufnahmen führen in die Zeit.

Die jungen Männer zogen im August 1914 fröhlich lachend in den Krieg, und die Mütter jubelten ihnen zu. Das wollen Fotos von damals beweisen, auch in Schulbüchern. So hat es sich festgesetzt im Kopf. Aber stimmt das Bild? Der Fotograf Oscar Tellgmann, der bis zum »Kaiserlichen Hof-Photographen« aufstieg, hatte großen Anteil an diesem eingeschränkten Blickfeld. Ende Juli 1914 waren die Zensurbestimmungen verschärft worden. Friedensdemonstrationen hatten 750.000 Menschen auf die Straße getrieben, was nun verboten war. Dafür gab es Aufrufe »zu den Waffen zu greifen« fürs Vaterland (noch nicht: zu sterben, vorerst: zu spenden). Ein großer Teil der Ausstellung macht mit diesen Plakaten bekannt. Künstler beteiligten sich daran. Der Münchner Kriegsmaler Fritz Erler schuf patriotisch-pathetische Bilder, die als kostbares Mappenwerk in Galerien angeboten wurden. Und er gestaltete Plakate, die für Kriegsanleihen warben: »Helft uns siegen!« (1917) Ganz realistisch: Ein Soldat mit Stahlhelm, die Gasmaske umgehängt, hinter ihm Stacheldraht – er fixiert den Betrachter mit stahlblauen stahlharten Augen, wie Dolche. Sein Aufruf »Zeichnet die Kriegsanleihe« brachte 12,8 Milliarden Reichsmark – nur nicht den Sieg.

Auch die anderen Staaten riefen zum Spenden auf: gefühlvoll, heroisch oder auf den Feind bezogen. Der deutsche Adler mit Pickelhaube, dem von einem französischen Soldaten der Hals umgedreht wird. Auf amerikanischen Plakaten (1917) reicht ein blutroter Handabdruck mit dem Hinweis: »The Hun – his Mark« und in großen Lettern: Vernichte ihn mit Liberty Bonds. Ein anderes Plakat aus den USA, heute mehr denn je bekannt: »I want YOU for the U.S. Army«. Der Onkel Sam mit Zylinder, dessen Zeigefinger sich direkt ins Auge des Gegenübers zu bohren scheint (von James Montgomery Flagg). In den USA gab es eine Besonderheit, die »Four-Minute Men«. Freiwillige Propaganda-Redner aus dem Volk, gut geschult in freier Rede, die für den Kriegseintritt warben, an öffentlichen Plätzen, auch in Kinos die Menschen direkt ansprechen, überzeugen sollten – alles innerhalb von vier Minuten.

Filmstars halfen auch mit an der Propagandafront in den USA. Charly Chaplin ist der bekannteste. Nachdem er sich für den Kriegsdienst freiwillig nicht gemeldet hatte, wurde er diskriminiert. Das brachte ihn dazu, für die freiwilligen Kriegsanleihen zu werben und den Kurzfilm »The Bond« (auf eigene Kosten) zu produzieren. Hier kommt es zum Kampf zwischen dem deutschen Kaiser und Lady Liberty. Zum Schluß schlägt Chaplin selbst mit dem Hammer »Liberty Bonds« den Kaiser zu Boden. Im Streifen »Shoulder Arms« prangert Chaplin in Form eines Traums die Absurditäten des Militarismus an.

Der englische Film »The Battle of the Somme« gilt mit seinen 73 Minuten Spieldauer als erster abendfüllender Dokumentarfilm. Er hatte, wegen seiner authentischen Aufnahmen, großen Erfolg und wurde in 18 Länder exportiert. Es gab allerdings so drastische Szenen, daß einige Kinobetreiber auf eigene Faust Bilder herausschnitten. Der deutsche Film »Bei unseren Helden an der Somme« (33 Minuten) sollte an den Erfolg – von der Gegenseite – anschließen. Aber die Zuschauer spürten das Falsche, Inszenierte der Aufnahmen. Keine Toten – alles wurde nachgestellt. Wie auch in den Wochenschauen. Die politische Zensur ermöglichte nur hinter der Front gemachte oder aus Übungen übernommene Aufnahmen. Allein die Zwischentitel wiesen auf die Kampfhandlungen hin.

Das neue Medium Film wird auch für die Kriegsanleihen bemüht. In »Der Heimat Schützengraben« dräut die Gefahr aus dem Osten, der Kosak, der unschuldige Frauen und Kinder mit Mord bedroht. Was hilft dagegen? Das deutsche Militär. Ein Werbefilm (acht Minuten lang), um Geld einzutreiben, dafür. Auch Hindenburg, der »Befreier Ostpreußens« und »Russenbezwinger« – für Werbung wohlfeil – schafft Geld herbei. »Das deutsche Volk wird seine Feinde nicht nur mit dem Schwerte, sondern auch mit dem Gelde schlagen. Das wird die Kriegsanleihe beweisen.« Anleihen als Kapitalanlage werden angeboten. Produktion: Werbefilm GmbH für Reichsbank Berlin.

Eine ganze Wand im Museum mit Hindenburg-Tellern – ein Dokument des patriotischen Kitsches. Und eine Wand mit Bild-Postkarten des Volkshelden. Über 500 Künstler sollen ihn porträtiert haben. Er war zum Mythos und zur Marke geworden. Vanille-Eis, Fettheringe, Pfefferkuchen, Kuckucksuhren, Seifenschachteln – alles Hindenburg. Und was raucht der deutsche Soldat nach dem Totschießen? Die »Deutsche Helden-Zigarette«. Für die Heldenfrauen in der Heimat gab es Kriegskochbücher mit »wildwachsendem Kriegsgemüse«. Als Handreichung des Museums für Menschen von heute: acht Kohlrüben-Rezepte.

Auch die ganz Kleinen wurden auf den Krieg eingestimmt mit Soldaten, Puzzles (Hindenburg) und Kinderbüchern. »Max und Moritz im Felde – eine lustige Soldatengeschichte«, »Wir spielen Weltkrieg« oder »Nesthäkchen und der Weltkrieg« (tatsächlich von Else Ury, die später von den Nazis umgebracht wurde). Dieses Nesthäkchen nennt einen elternlosen Säugling »Hindenburg«.

Sogar ein reales Passagierschiff erscheint im Kinderbuch, die am 7. Mai 1915 von den Deutschen versenkte »Lusitania«. Was hier im Buch als Erfolg gefeiert wird, in Versen – von den 1200 Ertrunkenen kein Wort –, die Entente-Staaten sahen es als Beweis für deutsche Grausamkeit an. Genauso wie gleich zu Beginn des Krieges die Zerstörung der belgischen Stadt Löwen und das Massaker an 248 Zivilisten dort – nach einem vermeintlichen Angriff von »Franktireurs«. Das deutsche Kulturvolk brannte die wertvolle Universitätsbibliothek der Stadt nieder – schon vorher hatte es die Kathedrale von Reims zerstört. Kein Wunder, daß die Deutschen als »Barbaren« dargestellt und ihre »Kultur« in Lithographien ad absurdum geführt wurde. »Kultur has passed here« nennt der Karikaturist Louis Raemaekers sein Blatt (… ist hier vorbeigekommen). Zerstörungen, Frau und Kind liegen tot am Boden. Ein anderes Blatt in schwarz, weiß und rot: »A toast to Kultur«, da trinkt ein Skelett Blut aus einer Glaskanne, es tropft herunter. Der Niederländer hat – so im Katalog: »mit seinen Zeichnungen die Greuelpropaganda während des Ersten Weltkriegs stark beeinflußt«. Frage: Ist das nur Propaganda? Der Katalog selbst vermerkt auf Seite 91: »Beim deutschen Vormarsch wurden Kriegsgreuel verübt, denen nach neuesten Forschungen zwischen August und Oktober 1914 bis zu 6500 Zivilisten in Belgien und Frankreich zum Opfer fielen.«