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Titel1516

Tag der Bundeswehr  (Wolfgang Popp)

Am 11. Juni fand zum zweiten Mal ein »Tag der Bundeswehr« statt, eine besondere Idee der Militärministerin von der Leyen zur Gewöhnung der Zivilbevölkerung an die alltäglich Sichtbarkeit der Bundeswehr und zur Werbung vor allem bei jungen Menschen, darunter Kinder und minderjährige Jugendliche. An insgesamt 16 Standorten, teils in Kasernen, teils in der Mitte kleinerer Städte, führte die Bundeswehr ihre modernen Waffen vor: Panzer, Artilleriegeschütze, die ABC-Abwehr, Kampfflugzeuge, Hubschrauber – alle in Aktion. Die massierte Werbeaktion schien der Ministerin notwendig, weil ihr seit der Umrüstung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee in eine Interventions- und Angriffsarmee die neuen Rekruten ausgehen. Auch bei anderen Gelegenheiten, bei denen die Bundeswehr ihre Waffen auffuhr, missbrauchte sie schon die Technikbegeisterung der Minderjährigen und ließ Kinder und Jugendliche auf Panzern herumklettern, manchmal sogar darin mitfahren, auf den Rohren turnen und für martialische Fotos posieren. Diesmal ging sie noch einen Schritt weiter: In den Kasernen gaben Soldaten den Kindern auch echte Handfeuerwaffen in die Hand, erklärten ihnen die Handhabung und ließen sie damit zielen. Die Sache wurde publik, weil Friedensaktivisten, die mit zahlreichen Aktionen die Werbeschau zu stören versuchten, heimlich Fotos gemacht hatten und veröffentlichten.

 

Der Spiegel, der einige der skandalösen Fotos wiedergab, nannte das Ganze einen »PR-Gau«, eine Totalschädigung der Zwecke und Ziele, für die die Werbeschau aufgezogen worden war. Friedensaktivisten und Kinderrechtler sprechen von einem Skandal. Ralf Willinger vom Kinderhilfswerk terre des hommes erinnerte daran, dass die Bundeswehr seit Jahren gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstößt, indem sie jährlich über 1300 17jährige Jugendliche rekrutiert. Schon 2014 habe der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Bundesregierung aufgefordert, »die Rekrutierung Minderjähriger einzustellen und Militärwerbung, die auf Kinder und Jugendliche abzielt, zu verbieten«. Willinger forderte die Ministerin auf, disziplinarische Konsequenzen zu ziehen, zumal Handfeuerwaffen in Kinderhand schon durch eine entsprechende Richtlinie aus dem Jahr 2011 verboten seien. Die Ministerin ordnete daraufhin lediglich an, dass Handfeuerwaffen künftig nur noch in Vitrinen gezeigt werden dürften, und versprach, der Sache nachzugehen.

 

Marvin Mendyka vom Netzwerk Friedenskooperative, das zusammen mit der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG/VK) die Aktionen gegen den »Tag der Bundeswehr« koordinierte, sagte: »Wir fordern nicht nur die Abschaffung des ›Tages der Bundeswehr‹, der reine Propaganda ist, sondern von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auch ein Ende der Rekrutierung von 17-Jährigen.« Er hat mit anderen eine Aktion gestartet, für die er seit Februar Unterschriften sammelt: »Unter 18 nie«. Im Aufruf dazu heißt es: »Unter 18-Jährige dürfen in Deutschland nicht wählen, sie dürfen nicht selber Auto fahren oder gewaltverherrlichende Videospiele spielen. Jungen und Mädchen dürfen aber mit 17 Jahren schon zu Bundeswehr gehen, dort Panzer fahren und in Techniken der realen Kriegsführung ausgebildet werden, einschließlich der simulierten Tötung. Sie bekommen dort dasselbe militärische Training wie Erwachsene, das Jugendarbeitsschutzgesetz gilt ebenso wenig wie besondere Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung oder Missbrauch.«

 

Doch die Bundeswehr verstößt nicht nur mit der konkreten Rekrutierung Minderjähriger gegen die UN-Kinderrechtskonvention und betreibt mit Werbekampagnen wie dem »Tagen der Bundeswehr« zu verbietende Schleichwerbung zu Lasten von Kindern und Jugendlichen, sie wirbt auch mit höchster kultus- oder schulministerieller Zustimmung schamlos direkt an Schulen und Lehrerausbildungsstätten. Seit der Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundeswehr und dem Schulministerium Nordrhein-Westfalen 2008 existiert auch das Bündnis »Schule ohne Bundeswehr NRW«, zu dem sich praktisch alle relevanten Friedensorganisationen von der DFG-VK über den Bund für soziale Verteidigung, den Aachener Friedenspreis, die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend, die VVN-BdA und die PädagogInnen für den Frieden bis zur DGB-Jugend, der Landesschülervertretung, der Linksjugend solid, der Naturfreundejugend und andere zusammengeschlossen haben. In seiner Grundlagenerklärung heißt es unter anderem: »Mit dem Abschluss einer sogenannten Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundeswehr und dem Schulministerium NRW 2008 wurde für das Auftreten des Bundeswehr in Schulen eine neue Grundlage gelegt. Diese räumt Jugendoffizieren der Bundeswehr u.a. das exklusive Recht ein, LehrerInnen aus- und fortzubilden und SchülerInnen über Militärpolitik zu informieren. Unterrichtsstunden werden dadurch immer häufiger komplett durch die Bundeswehr gestaltet, LehrerInnen werden im Sinne der Bundeswehr aus- und fortgebildet, Offiziere laden Klassen zum ›Tag der offenen Tür‹ oder zur Studienfahrt in die Kaserne ein […] Ursache dieser Entwicklung ist der politische Wille der Regierung, die Bundeswehr radikal auf Kriegseinsätze in aller Welt auszurichten. […] Wir sind der Ansicht, dass Jugendliche ein Recht auf eine Zukunft ohne Krieg und auf ein gemeinsames Leben in Frieden haben. Wir verwahren uns gegen eine zweckgeleitete Kriegspropaganda an unseren Schulen. Das Militär hat an Schulen, Universitäten und Arbeitsämtern nichts zu suchen.«

 

Auch an den Hochschulen der BRD wird immer heftiger darüber gestritten ob und wenn ja, inwieweit Forschung und Lehre sich mit Kriegs- und Militärforschung beschäftigen darf. Das Militärministerium drängt immer mehr mit lukrativen Fördergeldern und Personal in die Forschung und Lehre ein, und immer mehr Hochschulen versuchen verzweifelt, sich dagegen mit sogenannten Zivilklauseln zu wehren, die dann häufig verwässert und von einzelnen missachtet werden.

 

Weil die Hochschule Bremen für die Einrichtung eines zusätzlichen »Dualen Studiengangs« eine Kooperation mit der Bundeswehr eingehen will (siehe Ossietzky 13/2016), kündigte der Informatiker Ralf E. Streibl am 18. Mai in einem offenen Brief an die Rektorin seine Lehrtätigkeit im Internationalen Frauenstudiengang Informatik auf, die er seit dessen Eröffnung 16 Jahre lang wahrgenommen hatte. Ein starkes Beispiel für die Haltung eines verantwortungsbewussten Wissenschaftlers.