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Titel1517

Von allerlei Löchern in den USA  (Victor Grossman)

Widersteht ein Problem hartnäckig einer Lösung, benutzt man auf Englisch die Redewendung: »forcing a square peg into a round hole«, also: einen viereckigen Pflock in ein rundes Loch zwingen (die englische Version der deutschen Quadratur des Kreises). Zurzeit gibt es in Washington drei hartnäckige Löcher – und viererlei Pflöcke.

 

Ein ungelöstes Problem ist die Krankenversicherung, in den USA so kompliziert wie mangelhaft. Barack Obama gelang es, eine schwache Teillösung durchzusetzen, die den Versicherungsgiganten und Pharmafirmen weiterhin horrende Gewinne ermöglichte, aber immerhin vor allem für Ältere und chronisch Kranke Verbesserungen brachte. Junge Gesündere und manche Firmen mussten zur Finanzierung etwas mehr beitragen. Den Republikanern war das ein Dorn im Auge, wünschten sie sich doch weniger Steuern für Reiche. Jahrelang wetterten sie gegen das böse Obamacare. Dessen Abschaffung und eine Mauer entlang der Grenze zu Mexiko waren Trumps Hauptthemen im Wahlkampf.

 

Doch nach der gewonnenen Wahl stellte man fest: Das versprochene Schlachten von Obamacare würde für 20 bis 30 Millionen Amerikaner eine teurere Versicherung bedeuten – oder gar keine. Vor der Kongresswahl im November 2018 wäre das keine günstige Ausgangslage. Der schwer erkrankte Senator John McCain und zwei Republikanerinnen, die um ihre Wiederwahl bangen, trotzten am 28. Juli dem Fraktionszwang, ihre benötigten Stimmen fehlten, alles ging schief. Nun stehen Trump und die Republikaner vor einem Debakel. Mit der Mexiko-Mauer hapert‘s außerdem.

 

Das zweite Problem erinnert eher an Fallobst. Ein Beamter nach dem anderen fällt herab, gelegentlich mit einigem Getöse, obszönen Verwünschungen oder Intrigenspiel. Trumps Mannschaft – Generäle, Geldsäcke und korrupte, egoistische Schreckgespenster – besitzt kaum Erfahrung oder Fachkenntnisse. Kein gutes Omen für die kommenden Amtsjahre.

 

Das dritte Problemloch ist komplizierter und gefährlicher, nicht nur für Washington. Zunächst ließ Donald Trump eine gewisse Hoffnung aufkeimen – ob aus geschäftlichen oder sonstigen Gründen –, gegenüber Putin und Russland auf Entspannung zu setzen. Während er sonst außenpolitisch rasch auf Drohungen und Gewalt baut und mit seinem Herumstolpern eher an das Spiel »Blinde Kuh« erinnert, hielt er sich gegenüber Russland zurück. Er bot sogar die Hand, und er redete mit Putin.

 

Genau das war unverzeihlich! Mag man über Krankenkassen, Immigranten oder Mauer streiten, Russlandfeindschaft bleibt gesellschaftliches Fundament. Es geht um Weltherrschaft, um das Vorhaben, von Kap Finisterre bis Wladiwostok, vom Nordkap bis Kap Horn (Südamerika sowieso) ungehemmt Pharma-, Fastfood-, Disney- und Hollywoodprodukte zu verhökern, gefracktes Erdöl und Erdgasprodukte konkurrenzfrei loszuwerden, Drohnen kreisen und die elf Flugzeugträger unbehindert herumpatrouillieren zu lassen, ungehinderten Zugang zu Rohstoffen zu haben. Was denkt sich dieser Hotel-Fritze?

 

Da ging das Theater los: Die Russen hacken uns! Jahrzehntelange Erfahrung lehrt äußerste Skepsis gegenüber FBI und CIA und deren Behauptungen. Und wenn auch sämtliche Gerüchte und Vermutungen zuträfen, sie verblassen neben der 10,2 Milliarden-US-Dollar-Anleihe und dem Beraterstab, mit denen William Clinton die Wahl von Jelzin garantierte. Oder den fünf Milliarden US-Dollar, mit denen Hillary Clintons Diplomatin Victoria Nuland 2014 den blutigen Regime Change in der Ukraine förderte. Es ist schwierig, in der jüngeren Geschichte eine Wahl zu finden, in die sich die USA nicht eingemischt haben, von Teheran und Bagdad bis Santiago und Managua. Doch mit der Legende, Putin habe Trump zum Sieg verholfen, will man jegliche Hoffnung auf eine Entspannung zwischen den USA und Russland im Keim ersticken.

 

Wer und was sind die Pflöcke, die in diese verzwickten Löcher hineinpassen sollen?

 

Trump selbst, seine Familie und engsten Verbündeten sind zunehmend isoliert. Ein impeachment – also eine Absetzung des US-Präsidenten – würde jedoch die Mehrheit im Repräsentantenhaus und mindestens zwei Drittel der Senatorenstimmen erfordern, bleibt also fast undenkbar. Dreimal gab es in der US-amerikanischen Geschichte solche Versuche, doch ohne Erfolg. (Nixon trat selbst zurück.) Trotzdem könnte Trump mit Blick auf sein politisches Überleben versuchen, sich von dem einzigen friedlichen Aspekt seiner Wahlkampagne zu distanzieren.

 

Der zweite Pflock besteht aus den sonstigen Republikanern, meist weit rechts stehenden Politikern, die gegen jeden Fortschritt für die »99 Prozent« ihrer Landsleute sind und die zwar ebenfalls nach Weltherrschaft streben, für die aber Trump, den sie noch nie mochten, zu eigenwillig, rau und unberechenbar ist. Sie wollen im Land das Heft in der Hand behalten, doch wagen sie selten, offen gegen Trump zu sprechen. Eine Aussöhnung mit Russland kommt für sie nicht in Frage.

 

Der dritte Pflock sind die Demokraten, die wegen Trumps Dummheiten hoffen, bald wieder Wahlen zu gewinnen. Doch trotz neuer, fortschrittlicher klingender Töne in einem Programmpapier harmonieren die meisten noch allzu gut mit dem kapitalstarken »einen Prozent«. Sie haben versäumt, sich für die Amerikaner einzusetzen, die sich anständige Arbeit, Bildung, Versicherung, Rente und Hilfe in der Not ersehnen, und bislang auf der Verliererseite stehen. Doch weil die meisten der Demokraten einschließlich Hillary Clinton daraus wenig gelernt haben, beschuldigen sie jetzt lieber Putin und drängen mit den anderen weiter auf Konfrontation.

 

Und der vierte Pflock? Die Aussicht vieler Bürger, insbesondere derjenigen, die Bernie Sanders zu Zehntausenden applaudiert haben, hängt davon ab, ob man sie zusammenführen kann: die meist jungen Gegner brutaler Polizeigewalt; die Millionen Frauen, die unverzagt die Selbstbestimmung über ihren Körper verteidigen; die Millionen Menschen, die bei Walmart, MacDonald‘s und dergleichen einen Stundenlohn von mindestens 15 Dollar fordern, damit sie und ihre Kinder nicht zur »Tafel« gehen müssen; kämpferische Gewerkschaften wie die der Krankenschwestern. Außerdem Indianer, die ihr Land und Wasser vor Verseuchung schützen; Studenten, die nicht länger gezwungen sein wollen, lebenslang Studienkredite abzuzahlen; Unterbeschäftigte und Arbeitslose, »illegale Einwanderer«. Können all diese Gruppen zueinanderfinden?

 

Manche hoffen, die Demokratische Partei von unten her umkrempeln zu können; immerhin bekommt sie Millionen von Wählerstimmen und hat einige fortschrittliche Leute im Kongress. Andere sagen, sie sei hoffnungslos korrumpiert, und es bestehe die große Gefahr, mit ihr in den Kreuzzug gegen Russland einbezogen zu werden. Eine neue Massenpartei aufzubauen ist in den USA – nicht zufällig – äußerst schwierig. Es gab und gibt schon mehrere Versuche. Eine Gruppierung, der Sanders am nächsten steht, nennt sich trotzig Our Revolution.

 

Der Pfad in eine Zukunft ohne dunkle Löcher ist schwer auszumachen. Manche mahnen: Der jetzige Konfliktweg könnte in den atomaren Abgrund führen.