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Titel1519

Argumentation eines Gewaltfreien vor Gericht  (Gerd Büntzly)

Wenn ihr aber vor Gericht gestellt werdet, macht euch keine Sorge darüber, wie oder was ihr sagen sollt. (Matthäus 10,19)

 

 

Demnächst darf ich zum dritten Mal vor Gericht argumentieren. Was ich sagen will, das geht mir schon lange vorher durch den Kopf. Die Gedanken, die ich später einbringen werde, kommen mir während anderer Alltagsverrichtungen, und ich notiere sie möglichst sofort. Ich mache mir eine Gliederung, ich recherchiere, ich zitiere. Und ich will mich beschränken, will nicht länger als circa zwanzig Minuten reden, damit der Richter oder die Richterin nicht ungeduldig wird. Ich will genau sein und treffend. Kein Wort zu viel, keins zu wenig. Ich werde zum Rhetor.

 

Solche Rhetorik schadet dem Charakter, denn sie macht eitel. Manchmal habe ich den Verdacht, dass wir vor Gericht viel zu viel reden. Na ja, unsere Freunde in den USA haben andere Probleme: Sie dürfen zu den Gründen für ihre Gesetzübertretung gar nichts sagen. Da ist die Gewalt der Justiz gegen die Gewaltlosigkeit ganz unverhüllt. Ich frage mich (und will meine US-Freunde noch fragen), wie das in den USA mit Mord und Totschlag ist: Darf da auch kein Wort über die Motivation des Angeklagten verloren werden? Aber egal, hier in Deutschland, so ist mein Verdacht, ist es nur die Langmut der Richter, die uns reden lässt; wahrscheinlich hätten sie ebenso das Recht wie die in den USA, uns abzuwürgen (wie das ein Richter in Bonn getan hat, als ich wegen eines Bußgeldes Berufung eingelegt hatte) und nur die Frage zuzulassen: Hat sie das Grundstück betreten? Hat er den Zaun zerschnitten? Und dann nach dem Buchstaben des Gesetzes zu urteilen.

 

Neulich passierte etwas Kurioses: Einer von uns, der vor Gericht stand, verhaspelte sich und stotterte herum. Nachher wurde er von einer der Besucherinnen des Prozesses heftig angegriffen: Warum er sich nicht besser vorbereitet habe, man sei nicht Hunderte von Kilometern gereist, um so ein Desaster zu erleben …! Der Ausbruch war menschlich verständlich, aber beruhte auf einem Irrtum. Das, was von dem Aktivisten zu leisten gewesen war, war bereits vor der Verhandlung geleistet worden, nämlich der Akt des zivilen Ungehorsams. Der Besuch einer Gerichtsverhandlung hat nicht den Zweck, einen rhetorischen Schlagabtausch zu erleben, sondern ist, abgesehen von der Herstellung der Öffentlichkeit, ein Bekenntnis zu eben dem Akt des zivilen Ungehorsams, den der oder die Angeklagte vertritt. Der Akt spricht für sich selbst, was im Gerichtssaal dazu zu sagen wäre, ist vergleichsweise unerheblich.

 

Wir haben selbstverständlich in den Augen der RichterInnen noch ein Problem: Wir nehmen uns oft keinen Rechtsanwalt, also muss man uns nicht für voll nehmen. Lass sie reden, denken sie sich, es sind Laien. Sobald ein Mensch »vom Fach« dazukommt, haben sie mehr Respekt. Das bringt mich dazu, möglichst nicht juristisch argumentieren zu wollen, denn auf diesem Feld kann ich nur herumstümpern. Meine Idee dazu ist, dass sie mich, wenn ich einfach und verständlich rede, in meiner Menschlichkeit anerkennen müssen, die Übersetzung ins Juristische müssen sie als Juristen selbst leisten. Ob sie das auch tun? Oder ob sie eher zu gähnen anfangen? Nun gut, ich denke, bei den bisherigen Prozessen in Gardelegen haben unsere geballten Argumente schon einigen Eindruck gemacht. Jedenfalls sah sich die Staatsanwältin gezwungen, schließlich etwas lauter und deutlicher zu reden und nicht mehr so zu nuscheln wie am Anfang. Und der Richter, der mich in seiner mündlichen Urteilsbegründung noch mit wenigen Worten abgespeist hatte, wurde am Ende der Prozessserie recht ausführlich, ja persönlich: Er sah sich gezwungen zu erklären, dass er jedenfalls nicht meine, dass die Bundeswehr Angriffskriege vorbereitet und die Verfassung durch den Bau von Schnöggersburg verletzt wird. Das war doch schon mal was.

 

Ich erinnere mich an Berichte über frühere Jahrhunderte: War es der berühmte Störtebecker oder war es ein anderer Verbrecher, der im Wissen, dass er sowieso gefoltert und getötet werden würde, kein Blatt mehr vor den Mund nahm? Ausführlich klagte er die Herrschenden ihrer Verbrechen an, in einer Weise, wie das sonst niemand zu tun wagte. Er hatte eben nichts mehr zu verlieren. Ich gestehe, dass ich ebenso wie ein solcher Desperado in der Gefahr bin, es in meiner Rhetorik zu übertreiben. Einerseits habe ich die Angst verloren, denn ich weiß, die Strafe wird weder Folter noch Hinrichtung sein. Andererseits könnte eine solche Rhetorik fanatisch wirken. Eine Zuhörerin bei meinem Prozess in Cochem hatte offenbar diesen Eindruck, denn sie schrieb mir nachher, sie hätte es nicht gut gefunden, dass ich den Richter angegriffen und sogar beleidigt hätte. Darauf sah ich in meinem geschriebenen Text nach, den ich doch ziemlich wörtlich vorgetragen hatte: Beleidigt? Wohl eher nicht. Aber ich war selbstbewusst aufgetreten und war so frech zu sagen, die Meinung eines Richters zu unseren Taten sei nicht mehr relevant, denn wir hätten vor ihren Strafen keine Angst mehr. Das war ganz klar ein Störtebecker-Effekt.

 

Klar ist auch: Werde ich weniger deutlich, vermittle ich den Eindruck, sanft wie ein Lamm zu sein und mir alles gefallen zu lassen. Die Situation vor Gericht bringt mich in ein Dilemma. Ich möchte aber auch keine »kreative Prozessführung« betreiben und das Gericht durch ein Herumreiten auf Formalien ins Unrecht setzen. Dadurch wird von den Gründen für meinen Akt des zivilen Ungehorsams nur abgelenkt.

 

Ein Gedanke hat mir besonders gefallen, nämlich dem Staatsanwalt und Richter zu sagen: Ich bin nicht hier, weil Sie das wollen, sondern weil ich das will. Denn meine Tat ist nicht in der Absicht geschehen, mir irgendeinen Vorteil zu verschaffen oder irgendjemandem zu schaden, so wie das normalerweise bei einem Vergehen der Fall ist. Sie ist ein Mittel, um meine Nichtübereinstimmung mit der herrschenden Militärpolitik auszudrücken und die Öffentlichkeit auf den Skandal des Militärs aufmerksam zu machen. Dabei ist es egal, welche Art von Vergehen ich wähle, ob ich einen Zaun durchschneide, auf ein Gelände gehe, das verboten ist ... Meine Aussage ist die: Solange der Staat auf Militär und Gewalt setzt, wird er mich immer wieder einsperren müssen, denn ich will keine Ruhe geben.

 

Es ist klar, dass die Richter das als Willkür empfinden. Sie können oder wollen nicht die Verbindung ziehen zwischen meinem Gesetzesverstoß (zum Beispiel dem Akt des Hausfriedensbruchs) und dem, was ich inhaltlich zu Angriffskriegen oder Atomrüstung zu sagen habe. Die Paragraphen geben ihnen recht, denn sie kennen meine Situation überhaupt nicht. Sie handeln zum Beispiel von der Rechtfertigung einer ansonsten strafbaren Tat und sind in dieser Hinsicht für den Alltag ja auch ganz hilfreich: Notwehr, Verhinderung eines größeren Übels oder was alles da noch sein kann, das alles haben sie in Erwägung gezogen.

 

Es besteht aber in Bezug auf gewaltfreien Ungehorsam eine Gesetzeslücke, die vielleicht niemals auszufüllen sein wird, denn das würde möglicherweise die Grundfesten des Staates untergraben. Und hier gehen die Ansichten der Gewaltfreien auseinander. Ist es unser Ziel, durch Appell bis an die höchsten Instanzen (Bundesverfassungsgericht, Europäischer Gerichtshof) eine Korrektur oder ein Ausfüllen der Lücke zu erreichen, so dass unser Akt des zivilen Ungehorsams als legal anerkannt wird? Ich sage: Nein! Als Beispiel wird immer der Nötigungsparagraph herangezogen, der nach langen Kämpfen vor Gericht bei gewaltfreien Blockaden nicht mehr angewendet werden dürfe. Nun war die Interpretation des Nötigungsparagraphen durch die Justiz von vornherein eine Ausweitung, die der ursprünglichen Absicht des Gesetzes nicht gerecht wurde. Trotzdem erleben wir inzwischen, dass die Staatsanwält*innen mit sophistischen Winkelzügen den Paragraphen doch immer wieder ins Feld führen und sogar vorm Bundesverfassungsgericht darin Recht bekommen haben. Der Grund für unser Zusammenstoßen mit der Justiz ist aber ein anderer. In meinen Augen steht die Gewalttätigkeit des Staates gegen mein Bemühen um Gewaltfreiheit. Diese beiden Prinzipien sind unvereinbar und führen mich notwendigerweise ins Gefängnis. Was würde es denn umgekehrt helfen, wenn eine der obersten Instanzen anerkennt, dass unser »Hausfriedensbruch« gerechtfertigt sei und straffrei bleiben müsse, wenn er somit als bloße Protestform legalisiert und unschädlich gemacht wäre und die gewalttätige Politik ansonsten weiterginge? Ein schöner Schachzug der Politik und der Justiz wäre das, um unserem Widerstand die Spitze zu nehmen!

 

Damit klärt sich auch die Frage, ob ich ein »Schuldbewusstsein« habe, und ob ich »freiwillig« ins Gefängnis gehe. Selbstverständlich bin ich schuldig im Sinne des herrschenden Gesetzes. Nicht aber im Sinne der Moral, denn ich schädige niemanden. Es bleibt immer eine gewisse Irritation, wieso auch nicht? Widerspruchsfrei ist nichts im menschlichen Leben, nicht einmal die Mathematik.