erstellt mit easyCMS
Titel1519

Die Nase des Vaters  (Monika Köhler)

Etwas Traurig-Melancholisch-Faszinierendes geht von dem Gesicht auf dem Schutzumschlag aus. Das Buch dazu hat Barbara Honigmann über ihren Vater Georg geschrieben. Die knapp 160 Seiten lesen sich rasch, aber sie hinterlassen ein depressives Gefühl und viele Fragen. Wovon geht die Autorin und Tochter aus? Von der »Unentrinnbarkeit des Gezeichnetseins« schreibt sie. Sätze wie »Seine Herkunft war ihm ins Gesicht geschrieben« irritieren, besonders die immer wiederkehrende »prominent nose«. Kriterien, auf denen das NS-Blatt Stürmer seine judenfeindlichen Karikaturen aufbaute. Bilder im Kopf, uralt, die nicht erst die Nazis für sich entdeckten zur Ausgrenzung des Anderen. Immer wieder sprach Georg von der »miesen Erbschaft« des Großvaters, der sich assimiliert und der über die Emanzipation der Juden geschrieben hatte, in der Breslauer Zeitung. Was Georg, in der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden sitzend, kopierte für seine Tochter, die nicht verstand, »was er mir damit mitteilen wollte«. Sie sah nur, dass auch der Vater »sich in naivem Glauben einer aufklärerischen Idee verschrieben hatte, von der er einen Universalismus erhoffte, der ihn seiner Herkunft und natürlichen Kennzeichnung entkommen lassen würde«. Der Vater, ein Jude ohne Bekenntnis, aber: »Das Judesein war ihm ins Gesicht geschrieben.« Sätze wie in Stein gemeißelt. Die Tochter spricht von der »Sache«, der er sich hingegeben hatte, die schon »im Vergehen war, so wie seine eigene Lebenszeit«. Diese »Sache«, damit ist der Kommunismus gemeint, in dem der Vater »eine Gemeinschaft« zu finden hoffte, in der er weder Jude noch Deutscher war sondern »einfach nur ein Mensch«.

 

Georg Honigmann, in Frankfurt geboren, Sohn eines Arztes und Professors, besuchte die Odenwaldschule und promovierte 1929 in Gießen über die »sozialen und politischen Ideen im Weltbild Georg Büchners«. Danach arbeitete er als Journalist, wurde Korrespondent der Vossischen Zeitung in Berlin. Noch bevor der Ullstein Verlag von den Nazis arisiert wurde, ging er als Korrespondent nach London – obwohl er bis dahin kein Englisch sprach. Seine Behauptung, er könne es, rettete ihm vielleicht das Leben. In London arbeitete er für den Exchange Telegraph und für Reuters. Dort heiratete er Ruth, die er aus der Schulzeit kannte. In London lernte er auch Alice (Litzy) Kohlmann kennen, die zu dieser Zeit noch mit Kim Philby verheiratet war, dem Spion für die Sowjetunion. 1946 ließen sie sich scheiden. Litzy und Georg, der sich auch inzwischen von Ruth getrennt hatte, wurden ein Paar und die Eltern von Barbara Honigmann, 1949 geboren. Nach 1939 wurden in England alle Deutschen und Österreicher als »enemy aliens« überprüft, in Kategorien eingeteilt, um sie später in Kanada oder Australien in Lagern zu internieren, die eigentlich für Kriegsgefangene gedacht waren. Georg kam nach Kanada. Dort lernte er wieder Kommunisten kennen, er habe geträumt von einer »Erlösung aus dem Dilemma des ewigen Zwischen-den-Stühlen-Sitzens befreit zu werden, vielleicht [gehofft] auf einen neuen Anfang in einer sozialistischen Brüderlichkeit, die keine Besonderheiten mehr kennt, keine rassischen, keine religiösen und keine sozialen«.

 

Das ließ ihn, als er nach 1945 nach Deutschland zurückkehren konnte, den sowjetischen Sektor von Berlin wählen. Seine Tochter sieht das alles – heute – mit Unverständnis. Georg arbeitete zuerst für die Tägliche Rundschau, war kurz Redakteur der Berlin am Mittag, dann 1948/49 stellvertretender Chefredakteur der Berliner Zeitung. Ein offensichtlicher Fehler ist die Information, dass er die Deutsche Presse-Agentur aufbaute. Im Ostteil Berlins? Gemeint ist der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN), der seit 1946 existierte. Von 1949 bis 1953 war Honigmann Chefredakteur der BZ am Abend.

 

Die Autorin wird nicht müde, ihrem Vater, der ja Journalist war, seinen »naiven Glauben an die Aufklärung« vorzuhalten. Von 1953 an versuchte er mit der Produktion der Kurzfilmreihe »Das Stacheltier« in satirischer Form zu unterhalten und Kritik zu üben. Bei den Aufnahmen lernte er Gisela kennen, die nur mit ihrem Vornamen genannt oder als »die Schauspielerin« bezeichnet wird. Dass es sich um Gisela May handelt, ist klar. 1956 ließen sich Litzy und Georg scheiden, da kam Barbara zur Schule. Gisela May, eine Stiefmutter? Das Kind pendelt von einer Mutter zur anderen. Sie fand es aufregend, nie langweilig. So liest es sich auch. Die Kulturschaffenden, die aus dem Exil zurückkehrten, trafen sich zu Festen in der »Möwe«. Oder im Sommer am Scharmützelsee in Bad Saarow, wo viele ein Haus bewohnten. Gisela May habe es später in Briefen als ihre glücklichste Zeit beschrieben.

 

Georg versuchte mit dem »Stacheltier«, so etwas wie »echte Satire in der Tradition Tucholskys« zu erreichen. Aber dem standen die Behörden, von denen die Filme genehmigt werden mussten, im Wege. Dennoch verpflichtete Georg viele später bekannte Künstler als Regisseure und Akteure. Das »Stacheltier«, es existierte nur bis Ende 1962. Georg wurde gefeuert. Gisela ging zum Berliner Ensemble und auf lange Tourneen. Es begannen Auseinandersetzungen in der Ehe, bis sie zerbrach und Georg verbittert in ein möbliertes Zimmer außerhalb Berlins zog.

 

1963 wurde er zum Direktor des Kabaretts die »Distel« berufen. Er zog in eine kleine Wohnung in der Stadt und heiratete ein viertes Mal: Liselotte, mit der er noch eine Tochter bekam. Später wechselten sie in die Provinz. Die »Distel« verließ Georg aus eigenem Entschluss 1968. Barbara Honigmann über den Vater: »Obwohl er in seinem Leben immer wieder Frauen, Freunde, Familie, Wohnungen und Orte verlassen hatte – die Partei verließ er nicht, den ›stumpfen Kern des Kommunismus‹ hat er doch nicht wahrhaben wollen.« Er schrieb keine Memoiren, aber zwei »polemische politische« Sachbücher über die Medienkönige William Randolph Hearst und Alfred Hugenberg (1963 entstand ein Film: »Die Geschäfte des Axel Caesar Springer«). Im Lesesaal der Staatsbibliothek arbeitete er die – wie seine Tochter wegwerfend feststellt – »natürlich sozialistische« Fachliteratur durch. Sie habe sich für die Bücher nicht interessiert, sie nicht gelesen, Bücher der »Anpassung an die DDR-Ideologie«. Im nächsten Satz erwähnt sie Wolf Biermann, mit dem sie sich angefreundet habe. Es gab immer mehr Diskussionen, manchmal Kräche, »immer politischer Art«, wenn sie den Vater besuchte. Die neuen Freunde aus den Moskauer Dissidentenkreisen hatten sie »endlich gründlich über den totalitären und verbrecherischen Charakter des realen Sozialismus« aufgeklärt. Das aufregende tragische Leben von Georg Honigmann endete 1984. Er liegt auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben.

 

 

Barbara Honigmann: »Georg«, Carl Hanser Verlag, 160 Seiten, 18 €