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Trouble vor Gericht im Herbst 2020  (Gerd Büntzly)

»Get in trouble! Mischt euch ein! Bringt euch in Schwierigkeiten!« rief John Lewis, der kürzlich verstorbene US-Aktivist für die Rechte farbiger Mitmenschen, seinen Mitbürgern zu (taz, 20.7.2020). Genau das tun die Friedensaktivisten, die nun schon seit einigen Jahren in Büchel und in der Colbitz-Letzlinger Heide die dortigen Militärgelände besetzen, um auf die tödliche Gefahr der in Büchel lagernden Atombomben und auf die Angriffskriege aufmerksam zu machen, die in der Altmark geübt werden. Inzwischen sind es mehrere Dutzend junge und ältere Menschen, die mit gewaltfreiem zivilem Ungehorsam die militärische und die juristische Infrastruktur zum Knirschen bringen. In diesem Jahr fahren sie die »Ernte« ein: zahlreiche Strafprozesse in Cochem und in Koblenz wegen des Engagements in Büchel mit Geldstrafen, in Bonn Prozesse um Bußgelder, da das Militärgelände in der Colbitz-Letzlinger Heide nicht mit einem Zaun gesichert und ein Betreten daher nur eine Ordnungswidrigkeit ist. Diese Prozesse sind eine hervorragende Gelegenheit, die selbstmörderische Politik des Westens in die Öffentlichkeit zu bringen. Einige der Betroffenen wollen die Strafen nicht bezahlen, sondern »verkaufen« ihre Tagessätze, wählen die solidarische Bezahlung aus der Rechtshilfe-Kasse oder gehen statt dessen ins Gefängnis: Noch ein Schritt mehr, der der Öffentlichkeit, aber auch ihrem persönlichen Umfeld klarmacht, dass es ihnen ernst ist.

 

In Cochem waren nun erstmals auch Personen aus den Niederlanden und den USA angeklagt. Die Behörden taten sich schwer, Ausländer juristisch zur Verantwortung zu ziehen, da das für sie einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeutet. Inzwischen ist es ihnen gelungen, Klageschriften sogar auf Niederländisch und an die in Deutschland lebenden US-Amerikaner in Englisch zuzustellen. Die Betroffenen haben genau das gefordert: Sie wollen nicht straffrei ausgehen, sondern die Konsequenzen ihres Ungehorsams auf sich nehmen.

 

Inspiration für ihr Handeln ist unter anderem der Aufsatz von Henry David Thoreau: »Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.« Der Aufsatz hat Gandhi inspiriert und ihm einen Ansatz für seine Kampagnen gegen die englische Kolonialherrschaft in Indien gegeben. Thoreau, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Krieg der USA gegen Mexiko ablehnte und ein leidenschaftlicher Gegner der Sklaverei war, weigerte sich, die Steuer zu zahlen, zu der er verpflichtet war. Nach einiger Zeit wurde er daher vom Sheriff seines Dorfes für eine Nacht ins Gefängnis gesperrt. Diese Nacht, die er übrigens sehr humorvoll beschreibt, änderte für ihn vieles. Ihm ging auf, dass das Übel, das die Herrschenden anrichten, nur deshalb Bestand haben kann, weil die Gegner des Unrechts nicht bereit sind, persönliche Konsequenzen und Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen. Petitionen, Eingaben, Briefe – all das gab es auch schon damals, aber es war ebenso wirkungslos wie heute.

 

Ich selbst habe in den letzten Jahren wiederholt an Aktionen zivilen Ungehorsams teilgenommen und bin mehrfach im Gefängnis gewesen. Ich folge damit meinem Gewissen, aber tue auch etwas für die Reinigung des gesellschaftlichen Klimas. Die einen bezeichnen mich als Gesetzesbrecher, gar als Kriminellen, die anderen sind tief berührt und wissen das Zeugnis zu schätzen. Andersherum lernt mein Umfeld das übergeordnete Völkerrecht und damit auch die Illegalität von Atomwaffen kennen. Und es lernt auch unsere völkerrechtliche Verpflichtung, dass wir uns gegen solches Unrecht widersetzen müssen!

 

Wir bringen alle mit dem, was wir tun, zum Nachdenken: die Polizei und die Soldaten ebenso wie Richter und Staatsanwälte. Die Logik der Gewaltfreiheit ist eben eine andere als die Logik der Gewalt. Wir kommen inzwischen am helllichten Tag und zerschneiden ihre Zäune. In Büchel im April konnten die Soldaten, in deren Anwesenheit wir dem Zaun zu Leibe rückten, nicht an uns herankommen, denn sie waren von uns durch eine Rolle Stacheldraht und einen zweiten Zaun getrennt, die erst wir durchgeschnitten haben. Wir ließen uns durch ihr Geschrei und ihre »Belehrungen« nicht von unserem Tun abbringen. Sie können gern unsere Namen haben, denn wir wollen mit unseren Namen einstehen für das, was wir tun. Ihre Maßnahmen, uns zu fotografieren, unsere Identität festzustellen, erweisen sich als überflüssig und damit als lächerlich: Wir haben dank der modernen Technologien Fotos unserer Aktion vorher längst selbst veröffentlicht. Unsere Gewaltfreiheit verwirrt in einer Situation, in der Gewalt als die einzig sinnvolle Option angesehen wird. Ein Einsatzleiter der Polizei zum Beispiel regte sich über uns auf und meinte, wir wollten ja nur Aufmerksamkeit bei den Medien erzielen, so, als ginge es uns nur darum, unsere eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Ein Staatsanwalt sprach davon, wir brauchten eben ein Podium. Na ja, was wir tun, kann nicht gut verborgen bleiben, und selbstverständlich tun wir alles, um den Skandal der Atomwaffen öffentlich zu machen. Aber gleichzeitig entlarven wir die Heimlichtuerei der Gegenseite, die alle wichtigen Dinge zum Staatsgeheimnis erklären will. Vor Gericht habe ich dann gesagt: »Ich bin hier nicht, weil Sie das so wollen, sondern weil ich das so will.« Unsere Verteidigung ist eine Anklage. Wir werfen der Staatsanwaltschaft vor, dass sie uns und nicht die völkerrechtswidrige Lagerung der Atomwaffen anklagt.

 

Wir entlarven auch eine Justiz, die Sätze absondert wie: »Das an sich begrüßenswerte Anliegen des Angeklagten stellt keine Rechtfertigung dar, Straftaten zu begehen.« Dabei ist es die Aufgabe der Justiz, abzuwägen zwischen den ungeheuren, unbegrenzten Schäden, die der Abwurf einer Atomwaffe anrichtet, und den genau überlegten, minimalen Verletzungen des Rechtes, mit denen wir auf die Verbrechen der Vorhaltung dieser Waffen aufmerksam machen wollen. Trotzdem betrachte ich mich nicht etwa als einen Märtyrer. Wenn ich im Gefängnis bin, bin ich mit mir im Reinen. Ich klage auch nicht den Staat an, dass er mich bestraft, nein: Ich sehe meine Auseinandersetzung mit dem Staat als die Auseinandersetzung der Gewalt mit der Gewaltlosigkeit. Nachdem ich festgestellt habe, dass meine Methode wirksam ist, kann ich gar nicht mehr dahinter zurück und sage: Ein Staat, der Atomwaffen auf seinem Gebiet duldet, ja, ein Staat, der überhaupt Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung zulässt, wird mich immer wieder ins Gefängnis sperren müssen. Nachdem ich einmal die Angst vor den staatlichen Repressionen verloren habe, ist meine innere Freiheit grenzenlos.

 

Ich appelliere an alle: Verliert eure Angst vor der Repression des Staates! Widersteht gewaltfrei und fröhlich wie die vielen Menschen, die jetzt die Braunkohletagebaue besetzen, die Schülerinnen und Schüler, die für das Klima auf die Straße gehen und die Schulen bestreiken. Und wer sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams in der Lage sieht, kann diesen mit Geld unterstützen. Auch das ist in reichlichem Maße geschehen, und ich habe Grund, mich dafür zu bedanken.

 

Die Prozesse der nächsten Zeit werden Anschauungsunterricht in Staatsbürgerkunde bieten und auch die Gelegenheit geben, dass jede Zuschauerin und jeder Zuschauer sich fragt, ob er oder sie sich nicht ebenfalls dem gewaltfreien Widerstand anschließt. Die bisher feststehenden Termine ab Mitte August sind folgende: 20.8.: 13:30 Uhr, Landgericht Koblenz (Berufung); 2.9.: Amtsgericht Cochem, Anklage wegen unerlaubten Fotografierens einer Militäranlage; 3.9.: 9 Uhr, Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache); 8.9.: 10 und 11 Uhr, Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache), am Vorabend öffentliche Veranstaltung in Bonn zum Thema; 14.9.: 8:30 Uhr, Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache); 20.10.: 12 Uhr Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache); 4.11.: 8 Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage: Hausfriedensbruch; 4.11.: 13.30 Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage: Widerstands gegen die Staatsgewalt; 11.11.: Amtsgericht Cochem, Anklage: Hausfriedensbruch; 16.11.: Amtsgericht Cochem, Anklage: Hausfriedensbruch; 19.11.: 8:30 Uhr, Amtsgericht Cochem, Anklage: Hausfriedensbruch; 25.11.: 8:30 Uhr, Amtsgericht Cochem, Anklage: Hausfriedensbruch; 2.12.: Amtsgericht Cochem, Anklage: Hausfriedensbruch; 16.12.: 8:30 Uhr, Amtsgericht Cochem, Anklage: Hausfriedensbruch.

 

Wer immer die Möglichkeit hat, einem Prozess beizuwohnen, sollte sie nutzen. Es ist ein Akt der Solidarität mit den Angeklagten. Nähere Informationen zu den Prozessen, außerdem Kontaktmöglichkeiten wegen Mitfahrt, Übernachtung und so weiter, finden sich auf den Seiten der Aktionsgruppen, Kampagnen und Bürgerinitiativen: https://buechel-atombombenfrei.jimdofree.com/prozesse/, https://junepa.noblogs.org/aktionen/widerspruch/texte-aus-dem-gerichtssaal/, https://buechel-atombombenfrei.jimdofree.com/international/international-action-camp/, https://offeneheide.de/vorige_fw2015-18.htm

 

 

Spenden für die Prozesskosten und eventuell die Bezahlung der Strafen sind willkommen! Jede Aktionsgruppe hat ihr eigenes Spendenkonto, das auf der betreffenden Webseite zu finden ist.