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Titel162013

Verbringt Merkel  (Otto Köhler)

»Deutschland ist kein Überwachungsstaat. Deutschland ist ein Land der Freiheit«, erläuterte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Bundespressekonferenz und verschwand zum Urlaubsbeginn nach Bayreuth, wo sie in der Königsloge auch die »intime Unterwäsche« (Bild) des »Ring der Nibelungen« genießen durfte.

Bundeskanzlerin Merkel war als Angela Kasner schon elf Jahre alt und in Templin Mitglied der Pionierorganisation Ernst Thälmann, da schrieb ich im Mai 1966 in der Satire-Zeitschrift Pardon über die »Posträuber in Western Germany« – damals hatten englische Posträuber eine Riesenbeute gemacht, und sie waren es, die zu dieser Zeit noch unbarmherzig über den ganzen Erdball verfolgt wurden. Die westdeutschen Ganoven waren ganz anderer Art. Wir von der Pardon-Redaktion hatten ein Austauschabkommen mit den Ostberliner Zeitschriften Weltbühne, Eulenspiegel, Neue Deutsche Literatur und Dokumentation der Zeit. Pardon kam regelmäßig in deren Redaktionen an, wir aber erhielten die vier Zeitschriften ebenso regelmäßig nicht.

Warum, das wußten wir nicht, bis sich ein Augenzeuge meldete. »Am 20. Dezember« – so schrieb ich im Mai 1966 – »beobachtete der Pardon-Leser Bernd Michels, der als Büromaschinenmechaniker ständig den überforderten mechanischen Brieföffner reparieren mußte, daß in dem stacheldrahtgeschützten Schlupfwinkel im Hannoveraner Bundespostamt 3 ein Brief des Ostberliner Ossietzky-Verlags an die Pardon-Redaktion einbehalten wurde: Im Ossietzky-Verlag erscheint die Weltbühne, die regelmäßig an uns in verschlossenen Briefumschlägen abgeschickt wird. Wir haben die vor dem 20. Dezember abgeschickte Weltbühne – wie viele andere davor und danach – nie erhalten.«

Darauf schrieben wir von Pardon – ein halbes Jahr bevor Kurt Georg Kiesinger (NSDAP/CDU) auch von der SPD zum Kanzler gewählt wurde, dem damaligen Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU): »Die Aussage unseres Zeugen bestärkt unseren schon seit langem gehegten Verdacht, daß die Austauschexemplare der Ostberliner Zeitschriften, die unser rechtmäßiges Eigentum sind, von bundesdeutschen Amtsstellen beschlagnahmt werden, ohne daß wir auch nur eine Mitteilung erhalten.«

Eine Antwort gab es nicht. Und so schrieb ich 1966: »Wir haben vorsätzlich den Eulenspiegel, die Weltbühne, die Neue Deutsche Literatur und die Dokumentation der Zeit bestellt. Alles DDR-Schriften, die – wie ihre Beschlagnahme beweist – staatsgefährdend sind. Obwohl wir somit genau wissen, wie unerlaubt und gefährlich diese Zeitschriften sind, halten wir unser Austauschabkommen nach wie vor aufrecht und wünschen weiter in den Besitz dieser staatsgefährdenden Zeitschriften zu kommen.«

Staatsgefährdend war auch – wie ich damals feststellen mußte allein durch den Druckort – Lyrik wie dieses Gedicht mit dem Titel »schwarz-weiß«:
die schwarzen fahnen/ einziehen/ weisse Gedichte/ hissen.

Der damals 23jährige Lyriker Peter Uttendorf aus dem eindeutig westdeutschen Paderborn hatte dieses Gedicht in der Ostberliner Neuen Deutschen Literatur veröffentlicht. Das an seine Adresse abgeschickte Belegexemplar bekam er nie. Stattdessen eine Vorladung. Er wurde von der Staatsanwaltschaft vernommen und dabei befragt, warum er seine Gedichte »drüben« veröffentliche und ob er nicht wisse, daß dies propagandistisch ausgenützt werde.

Nicht einmal eines solchen Versuches von rechtsstaatlichem Vorgehen beim Postraub wurden wir von Pardon gewürdigt. Unsere rechtmäßig erworbenen Austauschexemplare mit den Ostberliner Zeitschriften verschwanden hinter dem Stacheldrahtverhau im Bundespostamt 3 von Hannover und wurden vernichtet. Informiert aber oder gar vorgeladen wurden wir nie.

Und so fuhr ich vor 47 Jahren fort: »Unser Vorsatz ist eingestanden, die Staatsgefährlichkeit ist durch die Beschlagnahme bewiesen. Der nächste Schritt muß – wenn es rechtsstaatlich zugeht – sein: die Anklage gegen Pardon und eine gerechte, aber harte Strafe.«

Eine Anklage ist nie erfolgt. Doch unsere Post aus Ostberlin wurde weiter gestohlen und vernichtet. »Überwachtes Deutschland« heißt das Buch von Josef Foschepoth, das Ende letzten Jahres erschien (s. Ossietzky 24/12), noch bevor der NSA-Überwachungsskandal publik wurde. Durch einen zufälligen Archivfund war der Freiburger Historiker des Überwachungsfurors gewahr geworden, der Westdeutschland beherrschte, er schreibt: »Seit Gründung der Bundesrepublik wurden jährlich Millionen von Postsendungen kontrolliert, geöffnet, beschlagnahmt, vernichtet oder in den Postverkehr zurückgegeben. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Besatzungsmächten und späteren Alliierten, aber auch von Westdeutschen selbst zu nachrichtendienstlichen beziehungsweise strafrechtlichen Zwecken ausgewertet und genutzt ... Diese Überwachungspraxis widersprach klar und eindeutig den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen.«

Erst zwei Jahre nach meinem Pardon-Artikel wurde der Postraub in Western Germany verfassungsrechtlich zurechtgebogen durch die Grundgesetz-Änderung und das G-10 Gesetz von 1968, das, wie Foschepoth feststellt, dies vorschreibt: »massive Einschränkung des Post- und Telefongeheimnisses, individuelle und allgemeine Überwachung, keine Kontrolle durch das Parlament, kein Rechtsweg für Betroffene, Überwachung für und im Interesse der Alliierten«.

Zuvor umging man das Grundgesetz von 1948 ganz einfach zollrechtlich mit dem GÜV von 1961, dem Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote, der Überprüfung aller Postsendungen aus der SBZ auf Verstoß gegen Staatsschutzgesetze, mit dem uns unsere Belegexemplare aus Ostberlin geraubt wurden.

Doch leider gab es nie ein Verbringungsverbot für die DDR-Bürgerin und FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda Angela Merkel in das Bundeskanzleramt. Dort hockt sie heute. Lügt uns die Hucke voll. Weiß von nichts. Tut nichts. Und hat alle ihre Bürger an den totalen und weltweiten NSA-Überwachungsstaat ausgeliefert.