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Titel1616

Zum KPD-Verbot  (Heinrich Hannover)

Im Frühjahr 1956 erfuhr die Weltöffentlichkeit, dass Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU Dokumente über die Verbrechen Stalins aus den Geheimarchiven geholt hatte. Das wäre die Gelegenheit für friedenswillige Politiker gewesen, den mit dem Feindbild Stalinismus betriebenen Kalten Krieg zu beenden und der von sow-jetischer Seite angebotenen Koexistenz des kapitalistischen und des sozialistischen Gesellschaftssystems eine Chance zu geben. Gerade in Deutschland lag es nahe, sich der sowjetischen Angebote von 1952 und 1954 zu erinnern, die eine Wiedervereinigung Deutschlands unter der Bedingung militärischer Neutralität des Gesamtstaats möglich gemacht hätten, aber von Konrad Adenauer als »Fetzen Papier« abgetan worden waren. Die Generation, die noch kurz zuvor einem Hitler zugejubelt hatte, hatte einen Bundeskanzler gewählt, der die Todfeindschaft gegen Sowjetunion und Kommunisten fortsetzte. Und man glaubte der in massiven antikommunistischen Medienkampagnen gepflegten Bedrohungslegende vom bevorstehenden Überfall aus dem Osten (»Die Russen kommen!«). Da konnte man die von der Sowjetunion geförderte Weltfriedensbewegung nur als Täuschungsmanöver zur Tarnung kriegerischer Absichten verstehen. Für mich als einen der Strafverteidiger im Düsseldorfer Prozess gegen Persönlichkeiten des Friedenskomitees (1959/60) ist unvergesslich, wie dieses monatelange Verfahren, in dem wir prominente Zeitzeugen aus der Weltfriedensbewegung geladen hatten, unbemerkt von der westdeutschen Öffentlichkeit verlaufen konnte, obwohl es keinen Goebbels mehr gab. Die Öffentlichkeit erfuhr nicht, dass die Verlesung der von uns vorgelegten Urkunden über Kriegsvorbereitungen des Westens abgelehnt worden war und dass die dazugehörigen Unterlagen nach Prozessende nicht archiviert, sondern vernichtet wurden. Rechtsverweigerungen und Informationssperren, die dem herrschenden antikommunistischen Zeitgeist entsprachen und bis heute die Öffentlichkeit nicht interessieren.

 

Die westdeutsche Öffentlichkeit nahm auch keinen Anstoß an der uferlosen Bestrafungspraxis, die dem KPD-Verbot folgte. Wenn etwa ein der SPD nahestehender Betriebsrat den Mut hatte, einer Einladung des FDGB, des Gewerkschaftsbundes der DDR, zu folgen und dort zu sagen, dass es vernünftiger sei, wenn die Deutschen miteinander sprächen als aufeinander zu schießen, befanden die Richter in Lüneburg, dass der Mann damit den Interessen der SED gedient und dadurch gegen das KPD-Verbot verstoßen habe. Als strafmildernd ließen sie gelten, dass er im Kriege »seine Pflicht erfüllt« hatte, nämlich mit Hitlers Armeen in die Sowjetunion eingefallen war. Westdeutscher Zeitgeist im Jahr 1962.

 

Wenn Anfang der 50er Jahre, als die Sowjetunion den Versuch aufgeben wollte, aus faschistischen Deutschen Sozialisten zu machen, nicht Konrad Adenauer, sondern Gustav Heinemann Bundeskanzler gewesen wäre, wäre die Gunst der historischen Stunde genutzt und dem österreichischen Beispiel folgend die von der Sowjetunion gewünschte militärische Neutralität Gesamtdeutschlands akzeptiert worden. Die von Adenauer geführte Bundesregierung jedoch wollte Rüstungskonjunktur und Kriegsbereitschaft gegen den altbösen Feind und beschleunigte die Durchsetzung des Verbots der seiner Politik im Wege stehenden Partei. Freie Wahlen in Gesamtdeutschland wurden dadurch unmöglich gemacht.

 

Die kritische Haltung der KPD zu Adenauers Politik der militärischen Westbindung und der Wiederherstellung alter Machtverhältnisse in Staatsgewalt und Wirtschaft war lästig. Und so wurde ausgerechnet die KPD, die Partei, die im Widerstandskampf gegen den Hitler-Faschismus die größten Opfer gebracht hatte, aus dem Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ausgeschlossen. Und die SPD, deren erster Nachkriegsvorsitzender Kurt Schumacher anfangs noch davon sprechen konnte, dass die Überführung der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum auf der Tagesordnung stehe und eine Bedingung für Demokratie in Deutschland sei, ließ sich auf getreue Gefolgschaft zu einer Politik einschwören, die uns wieder zu Mittätern von Rüstungsexporten und Kriegen gemacht und deren Profiteuren unermesslichen Reichtum gebracht, zugleich aber zu ständig wachsender Massenarmut geführt hat. Der Satz »Proletarier aller Länder vereinigt euch!« müsste heute mehr denn je das öffentliche Bewusstsein beherrschen. Selbst ein bekannter Politiker des konservativen Lagers hat das Schweigen der ausgebeuteten Mehrheit in einem lichten Moment mit Erstaunen wahrgenommen und gefragt: »Wo bleibt euer Aufschrei?« Ich denke, der Aufschrei wird eines Tages kommen. Und hoffe nur, dass dazu nicht der Massenmord des nächsten Krieges nötig sein wird. Wenn die Menschen rechtzeitig begreifen, wie ihnen das Fell über die Ohren gezogen wird und wie sie in die von den USA und ihren globalen Mitläufern angezettelten Kriege hineingezogen werden, könnte irgendwann eine revolutionäre Entwicklung einsetzen. Aber dazu braucht man eine revolutionäre Kaderpartei mit charismatischen Führungspersönlichkeiten, vielleicht eine bessere KPD, als wir sie hatten. Und eine SPD, die sich auf die geschichtlichen Lehren besinnt, die sie in ihrem Prager Manifest von 1934 formuliert hat.