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Titel1616

Ferment KPD-Verbot  (Wolfgang Beutin)

In der bürgerlichen Bremer Familie meiner Herkunft verstand sich der Antikommunismus von selbst. Auch bei mir. Aber langsam löste er sich auf, wie mein Hörspiel »Die Mäuse« zeigt, das vom NDR mit Tilla Durieux in der Hauptrolle gesendet wurde. Es enthält etliche schroffe Wendungen gegen den rheinischen Kapitalismus. Mein Vater, der es angehört hatte, entrüstete sich: »Was haben dir denn die Kapitalisten getan?«

 

Eine Ausnahme bildete meine Mutter, zeitweilig jedenfalls. Daher die Äußerung eines Verwandten, ehemaligen Universitätsbibliothekars, bei ihrem Tode: Eine gute Frau, aber sie habe einst aller Erschrecken mit ihrer Stimmabgabe für die KPD bei der Bundestagswahl 1949 ausgelöst. Ihr Grund, erklärte sie, sei deren Spitzenkandidat Max Reimann gewesen, der einzige Politiker mit redlichem Gesicht. Ob der so Belobigte ihr Motiv – statt eines klar politischen – gebilligt hätte? Damals vermischte sich meine eigene antikommunistische Einstellung mit einem radikalen Pazifismus, der Folge von Kriegserlebnissen wie der Ausbombung meiner Familie in der Bremer Neustadt 1942. Ihn verstärkte sehr der ausgezeichnete Bremer Domprediger Maurus Gerner-Beuerle, der seine Konfirmandinnen und Konfirmanden im Unterricht in Schriften von Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer und von südafrikanischen Autoren einführte, die sich der Apartheid widersetzten. Hinzu kam meine Lektüre der Werke französischer Existentialisten, von Autoren, die während des algerischen Unabhängigkeitskriegs die vom französischen Militär angerichteten Massaker anprangerten (Genozid, 1,5 Millionen Opfer).

Im Sommer 1956 faszinierte mich die Rede des indischen Ministerpräsidenten Nehru in der Hamburger Musikhalle (16.7.), in der er die von Bonn eingeleitete Politik der Aufrüstung scharf attackierte. Zum Zeitpunkt, als das Verbot der KPD erging (17.8.), beschäftigte mich dreierlei: die Fortsetzung meines Studiums in Saarbrücken samt Umzug von Hamburg dorthin, der Tod meines sehr geliebten Großvaters Louis B. und dass ich im Wettbewerb der Zeitschrift Studentenkurier mit einer pazifistischen Kurzgeschichte den dritten der ausgeschriebenen Tucholsky-Preise gewann. Dadurch war meine Aufmerksamkeit abgelenkt, so dass ich den Zusammenhang des KPD-Verbots mit der Remilitarisierung – deren konsequenteste Gegner die Kommunisten waren – nicht gleich erkannte, obwohl zumindest der zeitliche auf der Hand lag: Mit Gesetz vom 21. Juli führte Bonn die Wehrpflicht in der BRD wieder ein; Stäbe und Einheiten waren bereits seit der zurückliegenden Jahreswende aufgestellt worden. In Saarbrücken angekommen, setzte ich gemeinsam mit einem Freund aus Duisburg und dem Liberalen Hochschulbund gegen den Widerstand des vom Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) dominierten AStAs durch, dass das Verbot, auf dem Unigelände den Studentenkurier zu verkaufen, gekippt wurde. Das Flugblatt, das diese Entscheidung wesentlich herbeiführte, ist noch in meinem Archiv erhalten. Die französischen Studierenden – an der Saarbrücker Studentenschaft mit zwei Dritteln beteiligt – ersparten ihren deutschen Mitstudenten in allerlei heftigen Diskussionen nicht ihre Ansicht über die Schändlichkeit des KPD-Verbots in der BRD, dieses krassen Verstoßes gegen ein Grundprinzip der Demokratie (Freiheit der Parteienbildung). Nur faschistische Diktaturen wie Francos Spanien und Salazars Portugal kannten dergleichen. Auch erwähnte wohl jeder zweite der Franzosen irgendwann seine Mitgliedschaft in der KP seines Landes. Diese ging im damaligen Jahrzehnt in Frankreich aus Wahlen als stärkste Partei hervor.

 

Mein antikommunistischer Vorbehalt, zwar durch all dies geschwächt, erhielt sich dennoch ein rundes Jahrzehnt weiter, was einige meiner Veröffentlichungen verraten, darunter in der studentischen underground-Zeitschrift Lynx, die ich 1960–67 redigierte. Mein Sohn Lorenz Gösta, ein kritischer Kopf, verweist manchmal sarkastisch darauf, wenn ich heutzutage das »Lob des Kommunismus« vortrage. Meine Einstellung änderte sich vollends im Kampf gegen die Notstandsgesetze und den imperialistischen Krieg in Vietnam sowie nach meinen Reisen in die DDR, wo damals auf Bahnhöfen die im Winde flatternden roten Wimpel den Reisenden begrüßten. Sie fehlen heute leider. Um 1970 war ich Mitgründer des Bundes Demokratischer Wissenschaftler (BdWi) und Sprecher des Hamburger Komitees gegen die Bundeswehrhochschule, dies Lieblingsprojekt Helmut Schmidts. 1973 wurde ich zum Vorsitzenden des Landesverbands Hamburg der Deutschen Friedens-Union (DFU) gewählt.

 

Die Antwort des Establishments ließ nicht lange auf sich warten. 1975 geschah an der Universität Hamburg in meinem Institut die Gründung einer »Qualifikationsüberprüfungskommission« (einmaliger Vorgang seit 1919, sonst nie wieder) mit dem einzigen Zweck, meiner Tätigkeit dort ein Ende zu setzen, sei sie doch als marxistisch in den heiligen Hallen nicht weiterhin zu dulden. Dreimal wurde illegal – nämlich heimlich durch Zirkulare initiiert, die ausschließlich unter den Professoren umliefen – von meinen Gegnern die Kündigung ausgesprochen. Es folgte ein lang anhaltender Abwehrkampf mit hartnäckigen studentischen Aktivitäten (Streiks, Demonstrationen) zugunsten meiner Weiterbeschäftigung. Erfolgreich. Alles mündete in nicht weniger als fünf Prozesse in 22 Jahren (1977–1999), wobei mir die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unermüdet zur Seite stand, dazu persönliche Freunde aus der Justiz, der akademischen Gelehrsamkeit und aus DFU und DKP. Ausländische Sender interessierten sich, die Labour Party ließ mich interviewen.

 

Last but not least: Ich lernte die demokratische Arbeitsgerichtsbarkeit des Stadtstaats schätzen. Das von der Universität angestrebte Berufsverbot – wir sagten lieber: das versuchte Theorieverbot –, sie verhinderte es nach vielen Mühen definitiv: Sicherung meiner Universitätsdozentur, angemessene Entschädigungszahlung. Aber das ist eine andere Geschichte, dargestellt in meinem Roman: »Das Hamburger Totengericht« (Neumünster 2010).