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Titel1616

Heucheln beim Meucheln  (Winfried Wolk)

Die Olympischen Sommerspiele laufen auf Hochtouren. Eigentlich dürften sie gar nicht stattfinden, denn es ist Krieg auf diesem Planeten, Krieg in Afghanistan, Krieg in der Ukraine, Krieg in Syrien, im Irak, in Libyen, im Sudan und an vielen anderen Orten dieser Welt. Nicht einmal während der kurzen Zeit der »friedlichen Spiele« schweigen die Waffen, wie es das uralte Reglement vorsieht. Doch das wäre Heuchelei, weil der große Hegemon, der all diese Konflikte schürt und die Spannungen auf der Welt permanent verschärft, sie mit allen Mitteln und ausschließlich in seinem Sinne lösen will. Allerdings lassen sich nicht alle Länder mit Waffengewalt disziplinieren. Die größeren, widerborstigen Gegner erfordern diffizilere Mittel, um sie vor der Weltöffentlichkeit zumindest ins schlechte Licht rücken zu können. Der Sport bietet dafür ein großartiges Instrumentarium: Fairness und Fairplay – hehre Ziele, die großartig klingen. Wehe dem, der gegen sie verstößt. Unsauberkeiten im Sport lassen ja immer auch Unsauberkeiten in allen anderen Bereichen vermuten. Sportliche Großereignisse, wie Weltmeisterschaften oder gar Olympische Spiele, sind regelrecht prädestiniert, den politischen Gegenspieler miserabel erscheinen zu lassen. Schon 1980 wurde die Olympiade in Moskau zum Hebel der Politik gemacht. Die westlichen Staaten boykottierten sie damals, vier Jahre später die östlichen Staaten die in Los Angeles.

 

Nun Brasilien: Im unmittelbaren Vorfeld erschüttert ein »Doping-Beben« die Welt. Ausgelöst hatte dieses Beben Grigori Rodschenkow, der von 2006 bis 2015 Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors war und bis Mitte April 2015 akkreditierter Partner der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA. Die entzog dem Labor die Autorisierung für Dopingtests, nachdem ruchbar geworden war, dass die russische Agentur nicht sauber gearbeitet hatte. Als die WADA im November 2015 Rodschenkow vorwarf, mehr als 1400 Proben vernichtet zu haben, musste er seinen Posten als Laborleiter räumen. Nun, in Los Angeles lebend, verriet er der New York Times die Geheimnisse des russischen Staatsdopings, wofür er allerdings keine Beweise vorlegen konnte. Seine Enthüllungen, schreibt der Spiegel am 14. Mai 2016, sind letztlich das Geständnis eigener Verbrechen. Dennoch scheint keiner der jetzt höchst Empörten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des überführten Täters zu hegen.

 

Die Empörung über das russische »Staatsdoping« läuft jedenfalls, wie gewünscht, inzwischen auf Hochtouren. Das verwundert mich schon, schienen mir doch schon früher die Rekordleistungen der Athleten aus den sozialistischen Ländern durchaus nicht immer nur durch wissenschaftliche Trainingsmethoden begründet zu sein. Die Enthüllungen über regelwidriges Verhalten, die es auch damals gab, lösten allerdings keine solche Protestwelle aus. Vielleicht, weil auch der eine oder andere Sportler der nichtsozialistischen Welt gelegentlich dopte? Warum also gerade jetzt? Umgehend wurde ohne Unterschied der Ausschluss aller Athleten der russischen Olympiamannschaft gefordert. Das Internationale Olympische Komitee kündigte rasch »härtest mögliche Sanktionen« an. Auch aus Deutschland kamen schwere Vorwürfe vom Doping-Experten Fritz Sörgel, die sich gegen das IOC mit seinem deutschen Boss Thomas Bach richten. Der IOC-Präsident sei viel zu nah dran an Putin, um objektiv zu sein, so Bild am 13. Mai. Weil ein Generalausschluss aller russischen Athleten dann aber doch eine offenkundig rechtsstaatlich unzulässige Kollektivverurteilung bedeutet hätte, hat das IOC letztendlich 271 von 389 russischen Athleten als »sauber« erklärt und ihnen die Olympiateilnahme erlaubt. Bach verteidigte diese Entscheidung und wurde nun umgehend selbst zur Zielscheibe empörter Sportler und Politiker.

 

Doping hat generell nichts mit fairem Sport zu tun und muss unnachsichtig geahndet werden. Doping ist aber auch keine ausschließliche Domäne des russischen Sports. Die entsprechenden Gremien der Weltsportverbände, die für die Einhaltung der Regularien zuständig sind, besitzen alle Optionen, einzugreifen und Entscheidungen zu fällen. Verwunderlicherweise aber schaltete sich auch das US-Justizministerium ein und ermittelt laut New York Times wegen möglicher Verschwörung und Betrugs bei den Winterspielen in Sotschi. Und ich erinnere mich, dass sich schon einmal, im Mai 2015, das US-Justizministerium in Sachen Sport engagierte: Damals sollten Gründe gefunden werden, um Russland die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2018 zu entziehen. US-Justizministerin Loretta Lynch warf der Fifa vor, das weltweite Fußballgeschäft seit 24 Jahren zu korrumpieren, und wollte die Vergabepraxis der Fußballweltmeisterschaften seit 2010 kritisch untersuchen. Unmittelbar vor dem großen Fifa-Kongress ließ sie sieben führende Fifa-Funktionäre wegen Korruption aus einem Zürcher Luxushotel heraus verhaften und abführen. Das meldete Die Welt am 28. Mai 2015. Einen Tag später war im gleichen Medium zu lesen, dass Europa mit dem Rückzug aus der Fifa drohe. Ich fragte in meinem Aufsatz vom 3. Juni 2015, veröffentlicht im Ossietzky-Heft 13/2015, warum es 24 Jahre brauchte, um die kriminellen Praktiken in der Fifa für die US-Justiz plötzlich als nicht mehr hinnehmbar erscheinen zu lassen. Die Meldung, die ich nun zufällig im Spiegel vom 12. Mai 2014 fand, offenbart die Hintergründe für den überraschend eingetretenen Gerechtigkeitssinn. Als nämlich in der – vom Westen mittels initiiertem Putsch verursachten – Ukrainekrise ein Referendum auf der Krim im Gespräch war, versuchten die USA mit verschiedensten Drohungen gegenüber Russland, dieses zu unterbinden: »Die G-7-Staaten fordern von Russland, die Unterstützung des Volksentscheids zu beenden. Andernfalls drohen sie mit ›weiteren Maßnahmen‹… Am Morgen hatte bereits das US-Abgeordnetenhaus die Forderung nach Sanktionen in einer Resolution erneuert: Russland solle aus der Gruppe der G-8-Staaten ausgeschlossen werden ... Zudem wurde der Weltfußballverband Fifa aufgefordert, seine Entscheidung, die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2018 in Russland auszutragen, zu überdenken.«

 

Da die Fifa offensichtlich nicht im Sinne der US-Forderung reagierte, ließ man härtere Maßnahmen folgen. Dabei war das Engagement für Fairness und Fairplay allerdings nur vorgeschoben. Warum sollte das jetzt bei den aktuellen Dopingvorwürfen anders sein?