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Titel1617

Deutsche Post  (Erhard Weinholz)

Stapelweise, in Schränken und Schüben, liegen bei mir alte Karten und Briefe; als ich sie neulich durchsah, wurden mit einem Male hier und da Beziehungen zwischen ihnen sichtbar.

 

Ansichtskarte: Saarbrücken Luisenbrücke mit Saarpartie

 

Saarbrücken, 3.10.[19]17

Lieber Emil! Rücke morgen ins Feld. Dann geht’s ran an den Feind. Komme nach Russland. Ist immerhin besser, wie im Westen. Wie ist es denn mit Dir. Kommt Ihr bald nach vorn. Schreibe mal … [unleserlich]. 1000 Grüße sendet Dein Josef

 

Absender und Empfänger dienen bei den Pionieren. Zu Beginn des vierten Kriegsjahres kann sich Deutschland militärisch noch recht gut behaupten, zumal Sowjetrussland Anfang Dezember den Kampf einstellt. Doch die Versorgungslage verschlechtert sich zusehends. Mit Streiks, Demonstrationen und dem Aufstandsversuch auf dem Panzerkreuzer Prinzregent Luitpold kündigt sich die Revolution von 1918 an. Saarbrücken fällt mitsamt dem ganzen Saarland nach dem Versailler Vertrag zeitweise an Frankreich.

 

Ansichtskarte: Mädel – bleibe mein – zu Stolzenfels am Rhein. Vor einer romantischen Stadtkulisse ein als Soldat ausstaffierter Junge, der ein Mädchen umarmt.

Finsterwalde, 15.7.[1940]

Lieber Hans! Die besten Grüße aus dem wunderschönen Städtchen Finsterwalde sendet Dir Deine Fridel. Frau … [unleserlich] Irmgard Holt. Schade, dass es so weit von Frankreich entfernt ist.

 

Der Empfänger ist Gefreiter; per Feldpost erreicht ihn die Karte am 22. Juli 1940, einen Monat nach Frankreichs Kapitulation.

 

Ansichtskarte: Magdeburg – Klosterbergegarten Blick auf den Schinkelbau

 

16.5.[19]41

Ihr Lieben! Eben erhielt ich Euren lb Brief, für den ich Euch herzlichst danke! Umseitig seht Ihr gleich den Bau von hinten, in dem wir untergebracht sind. Weiter nach links geht es weiter nach den Unterhaltungsräumen. – Ich kann hier Radio hören u. … [unleserlich] Zeitg. lesen, bin also immer auf dem Laufenden! Es soll schon wieder Urlaubssperre sein, sagt man hier. Wer weiß, wo es wieder losgeht. Nochmals herzlichst Euer Gerhart

 

Die Karte ist allem Anschein im Briefumschlag versandt worden, weder Absender noch Empfänger sind vermerkt. Am Morgen des 22. Juni 1941 greift Deutschland ohne Vorankündigung die Sowjetunion an.

 

Ansichtskarte: ohne Titel. Zu sehen ist das Brustbild eines kräftigen blonden, blauäugigen Jungen, der sieghaft lächelnd schräg nach oben schaut.

Estland, 7.4.[19]44

Mein lieber guter Junge! Dein Bild und die feine Osterkarte habe ich bekommen und mich sehr darüber gefreut. Du bist aber groß geworden. Ich möchte bald auf Urlaub kommen. Bleibe bis dahin recht brav und folge schön. Heute schicke ich Dir viele Grüße und 1002 Küsschen als Dein guter Vater

 

Estland, seit 1918 selbständige Republik, wurde 1940 der Sowjetunion einverleibt, 1941 von der Wehrmacht besetzt und im Herbst 1944 von der Roten Armee zurückerobert.

 

Postkarte mit dem Vermerk: Staatsdruckerei 1.46

 

Brandenburg, den 22.6.[19]46

Ihr Lieben! Nach über einem Jahr Gefangenschaft bin ich am vergangenen Sonntag in Lübeck gelandet und hierher in die nähere Heimat gekommen. Mir geht es gut, ich bin gesund, aber ich habe bisher noch von niemand irgendeine Nachricht erhalten, bin über Euer und meiner Lieben Schicksal im Ungewissen und in Sorge. Ich hoffe von Allen, dass alle gesund sind und die furchtbare Zeit ohne Schaden überstanden haben. Bitte gebt mir doch, wenn Ihr könnt, sofort Nachricht, wie es bei uns zu Hause aussieht, wie es Edith, Hannelore und unserer Oma geht, ob Ihr selber gesund seid und wie Hans nach Hause gekommen ist, was Paul und seine Angehörigen machen. Ich hoffe, Anfang Juli entlassen zu werden, und dann können wir uns wohl näher aussprechen. Herzliche Grüße und alles Gute Euer Walter

 

Der Absender kam wohl aus englischer Kriegsgefangenschaft, lebt jetzt im Umsiedlerlager Quenz, Baracke 1 Stube 6; Empfänger ist eine Familie in Berlin-Staaken. Er muss die Karte jemandem mitgegeben haben, sie wurde am 24. Juni 1946 in Berlin SW gestempelt. Daneben ein Sonderstempel »Achtet auf den Kartoffelkäfer!« Der böse Feind der Knolle war von den Alliierten über den Feldern abgeworfen worden, hieß es damals (siehe Pampf der Kartoffelkäfer, Wien 1943).

 

Brief mit Sonderstempel »Rohrpost bringt Zeitgewinn«:

 

Berlin, d. 5.10.[19]51

Liebe S., […] Wie Du weißt, sind wir am 9. August von Dresden nach Berlin zum Deutschlandtreffen gefahren. 14 Stunden dauerte die wunderbare Fahrt in den Güterwagen! Fast verhungert kamen wir [in] B. an und mussten einige Stunden bei strömenden Regen auf der Straße stehen, da wir noch keine Unterkunft hatten. Marlis und ich machten uns noch am selbigen Tage aus dem Staube. Ich kam abends um ½ 12 Uhr todmüde und vollkommen erledigt, da wir die ganze Nacht durch bis nächsten Mittag gefahren sind, in W.Berlin bei meiner Großmutter an. Ich holte mir dann ab und zu meine Verpflegung. Sonst war ich immer mit Didi und Marlis in WB, wo wir sehr gut aufgenommen wurden. Es gäbe davon noch viel zu erzählen […] Die herzlichsten Grüße sendet Dir Deine Freundin I.

Die junge Frau hat hier etwas verwechselt: Sie ist im August 1951 nicht zu einem Deutschlandtreffen gefahren, sondern zu den III. Weltfestspielen der Jugend und der Studenten.

 

Ansichtskarte: Berlin-Pankow U-Bahnhof Vinetastraße

 

3/9.[19]61

Liebe E.! Hast Du unsere Karte erhalten. Warum schreibst Du nicht, wir sind in Sorge. Oma würde Dir Dein Nachthemd schicken. Ist Papa od. Mama krank. Oma weint sehr, weil keine Nachricht kommt. Also schreib sofort. Viele Grüße + Küsse von Opa /Handschriftwechsel/ und sehr traurige Oma. Bitte schreibt.

 

Die Absenderfamilie wohnt in Pankow, die Empfängerin in Moabit. Bis zum 25. August hatten Westberliner noch mit Passierschein in den Osten fahren können, doch der Westberliner Polizeipräsident ließ die – auf Reichsbahngelände liegenden – Ausgabestellen schließen. So werden sich Oma, Opa und die Enkelin frühestens im Dezember 1963 wiedergesehen haben, als nach langen Verhandlungen erneut Passierscheine ausgegeben wurden.

 

1917 bis 1961: Nur vierundvierzig Jahre liegen zwischen der ersten und der letzten Karte. Aber die Jahre jener Zeit zählen für mein Empfinden doppelt bis dreifach.