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Titel1620

Arkadische Gelassenheit  (Klaus Hammer)

Er hat gut zwei Drittel des vergangenen und zwei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts erlebt, der 1930 in Dresden geborene Bildhauer Wieland Förster, einer der bedeutendsten unserer Zeit, der zugleich ein ebenso wichtiger Zeichner und sensibler Schriftsteller ist. Er sei Bildhauer geworden, weil er »an ganz bestimmten Grundverletzungen litt«, mit denen er »sehr schwer fertig geworden« ist. »Es war der Versuch aufzuarbeiten, was an Erschütterungen von der Zeit her« in ihn »eingedrungen ist«, so Förster.

 

Der nunmehr 90-jährige und seit den 1960er Jahren in Berlin und dann im Land Brandenburg lebende Wieland Förster hat Biographisches, das nur ihm Verfügbare, in die bildhauerische Metapher übertragen, die das Persönliche ins Allgemeingültige, das Empfinden und Erleben eines Einzelnen in die existenzielle Erfahrung Vieler hebt. Man muss erst durch die Höllen der Genauigkeit und Festigkeit hindurchgegangen sein, so Förster, um von tragischer Gespanntheit zu einer fast arkadischen Gelassenheit gelangen zu können. Die zeichenhaft aufsteigende, überlängte »Nike« von 1998 – sie steht an der geschichtsträchtigen Glienicker Brücke, die über die Havel Berlin mit Potsdam verbindet – ist wohl durchs Feuer gegangen, das Flügelpaar verkürzt, verbrannt, der Körper mit Narben bedeckt. Und doch hat die symbolische Gestalt eine neue Freiheit gewonnen, einen atmenden Rhythmus und eine tänzerische Beschwingtheit, die aus der »Altersfreiheit« des Künstlers gewachsen ist. Dieser Hoffnung auf Überleben, auf Überdauern steht der durch die Überdrehung des Leibes an den Füßen wie aufgehängte, gehäutete »Marsyas – Jahrhundertbilanz« (1999) gegenüber – und diese Polarität begleitet uns als noch immer offene Frage nach der Würde und dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen.

 

In Berlin – im Kunsthaus Dahlem – wird noch bis in den Oktober hinein das skulpturale Werk Försters erlebbar gemacht. Die vom Künstler selbst ausgewählten 30 Arbeiten aus fünf Jahrzehnten sind nicht chronologisch angeordnet, sondern Entsprechungen und Polaritäten, die sein Werk bestimmen, bilden das Ausstellungsprinzip, das zu vergleichenden Betrachtungen anregt. Die dominante »Große Neeberger Figur« (1971–1974), eine sich Hochreckende, die mit angespannter Muskelkraft die Erdenschwere abstreifen will, ist aus Eiformen aufgebaut (das Ei als Quelle des Lebens) und in den Körperformen so abstrahiert, dass sie zu einer Übersteigerung des traditionellen Körperideals wurde. Ihre Zehen bohren sich in den Boden, ihre Arme reckt sie wie Zweige, ihre Finger streben wie Geäst in den Himmel. Ihr Gegenbild ist der »Große Trauernde Mann. Den Opfern des 13. Februar 1945 in Dresden gewidmet« (1979–1983) – Förster hat einen Tag nach seinem 15. Geburtstag dieses Inferno, als das barocke Dresden in Schutt und Asche fiel, miterlebt. Die Figur blockhaft, in sich zusammengesunken, aber voller innerer Energien, bebend in der Erinnerung, die Hände vor das Gesicht geschlagen, als könne sie den Anblick dessen nicht ertragen, was da geschehen ist.

 

»Das Opfer« (1994) – der sich aufbäumende, geschundene Körper eines Gepeinigten, in Verzweiflung auf das Ich zurückweisend. Förster hat den Torso zu einem wahrhaften Stand-Bild eingeengt, die Arme, den Rumpf preisgegeben und diesen mit den Beinen zu einer durchlaufenden Senkrechten vereinigt. Der Schnitt, der durch den Körper hindurchgeht, der Widerspruch – ihm ist keine Versöhnung beschieden. Nach dem »Opfer« hat sich der Bildhauer dann wieder dem weiblichen Akt, dem Daphne-Thema in unterschiedlichen Formaten zugewandt – Arbeiten von großer handschriftlicher Frische und Erotik, einer Freiheit gegenüber dem Körper, die, von ihm selbst unerwartet, auf der Basis der »Großen Neeberger Figur« in sich steigernden Asymmetrien, ganz dem Wachstum, dem Schöpferischen verpflichtet sind.

 

»Die Elbe« (2002) – sie wurde 2009 in Dresden-Laubegast, dort, wo Förster geboren wurde und aufgewachsen ist, aufgestellt – gleicht einer wie auf einer Welle dahingleitenden weiblichen Figur. Der Körper, am Kopf, an der Schulter und an den Knien torsiert, richtet sich durch eine leichte Linksdrehung aus der Horizontalen in die Diagonale auf, was sowohl der Wellenbewegung entspricht als auch ihr entgegenläuft. Die Mensch gewordene Undine bewegt sich kraftvoll, selbstbewusst und den Elementen anpassend wie trotzend – es muss nicht das Wasser, es kann auch die Luft sein, die sich hier zu einer Gestalt tragenden oder einem ihr widerstrebenden Medium materialisiert.

 

Aus der Faszination für die unverwechselbare Subjektivität des Menschen geht bei Förster das Porträt mit jeweils anderen plastischen Formulierungen hervor: so der ergreifende Kopf der Gelähmten, die Porträtstatuette Thomas Mann, die Porträts Hanns Eisler, Gret Palucca, Walter Felsenstein, Otto Nagel, Heinrich Mann oder Willy Brandt. Das Bernhard-Minetti-Porträt von 1991/92 wurde durch »langjährige Beschäftigung mit Filmen, Zeichnungen vor dem Fernsehgerät vom agierenden Schauspieler aus früheren Jahren gestützt, so dass die Sitzungen 1991 lediglich der Bestätigung, der Verfestigung des herangewachsenen inneren Bildes dienten«. Jeder der Porträtierten hat ein Geheimnis, sein Geheimnis. »Ohne Geheimnis, das sich in der Arbeit erst langsam enthüllt, keine Kunst«, sagt Förster.

 

 

Wieland Förster – Skulpturen aus 50 Jahren. Zum 90. Geburtstag des Bildhauers. Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 12, 14195 Berlin, mittwochs bis montags 11 bis 17 Uhr, bis 18. Oktober.