erstellt mit easyCMS
Titel1712

Crash und Plutocracy  (Arno Klönne)

In der Bevölkerung des Landes, das noch als Europas wirtschaftlicher Kraftprotz gilt, breiten sich Ängste aus, etwa so: Die Operation »Rettet den Euro« wird auch für die Bundesrepublik ein böses Ende haben, die spekulativen Finanzmärkte sind durch noch so hohe Bürgschaften und Kredithilfen für verschuldete Länder oder Banken nicht zu beruhigen, die »Rettungslasten« werden untragbar, ein »Befreiungsschlag« steht demnächst an – aber wer wird geschlagen? Ein Crash wird kommen, man weiß nur noch nicht, wie er sich abspielt. Fällt der Euro-Verbund auseinander? Kommt es zu einer Währungsreform? Zugleich zeichnet sich ab, daß die wirtschaftliche Misere in anderen europäischen Regionen für die exportorientierte Bundesrepublik schlimme Folgen zeitigt, und nicht jedes deutsche Unternehmen hat die Chance, Marktverluste im Euro-Raum durch Ausfuhren in andere Kontinente auszugleichen. Das bedeutet Verlust von Arbeitsplätzen und Absinken von Löhnen. Auf rasante Weise wächst das finanzpolitische Risiko, mit dem der deutsche Staatshaushalt behaftet ist. Wer soll, wenn gezahlt werden muß, dafür finanziell bluten? Und was wird aus den Einlagen für die private Alterssicherung oder aus den kleinen Sparvermögen, deren realer Wert sich jetzt bereits mindert? Das sogenannte Prekariat dehnt sich aus, aber auch besser bezahlte Facharbeiter und Angestellte, ebenso kleine Mittelständler sind gefährdet. Nichts ist mehr so, wie es noch vor ein paar Jahren war – oder schien.

Die Bundeskanzlerin allerdings steht, sagen die Demoskopen, bei den meisten Deutschen in bestem persönlichen Ansehen. Und dieselben Meinungsforscher teilen mit: Die Mehrheit der Bevölkerung hat das Vertrauen in die Politiker verloren. Paßt das zusammen? Wohl doch, denn die Wertschätzung für Angela Merkel entstammt dem Gefühl, daß sie in all dem Trubel »ihr Bestes gibt«. Daß sie die beunruhigten BürgerInnen nicht durch eigene Aufgeregtheit zusätzlich verstört. Aber das bedeutet nicht, an die problemlösenden Fähigkeiten des herrschenden Politikbetriebs und seines nutznießenden Personals zu glauben. Die Parlaments- und Parteiendemokratie, so das gängige Gefühl, hat ihre einigermaßen funktionierende Zeit hinter sich, und eine Alternative zu ihr ist nicht in Sicht. Linksoptimistische Konzepte – bei einigem Verstand und gutem politischen Willen könne »die Politik« den mächtigen, international operierenden Finanzjongleuren Zügel anlegen, den übermäßigen Reichtum der Wenigen wegsteuern und sozialmaterielle Sicherheit wiederherstellen – erscheinen der Mehrheit verängstigter Menschen als wenig realistisch. Gewissermaßen instinktiv hält sie die finanzkapitalistischen Interessen für zu mächtig, als daß diese sich solchen Bändigungsversuchen beugen würden – und die Politiker für zu korrupt, als daß sie ernsthafte Vorstöße in dieser Richtung unternehmen würden. Diese Skepsis ist keineswegs wirklichkeitsfremd.

Andere MitbürgerInnen setzen Angst in Aggression um – gegen die »faulen Ausländer« oder die zugewanderten »Schmarotzer«, die »auf unsere Kosten gut leben wollen«. Oder auch gegen Einheimische, die schon dort existieren müssen, wo man selbst hinzugeraten fürchtet: ganz unten.

Der weithin erwartete Crash wird nicht als baldiger und jäher Zusammenbruch des globalen kapitalistischen Systems erfolgen, auch wenn man das aus einigen Texten im linkstheoretischen Milieu herauslesen könnte. Die herrschende Ökonomie hat vorerst hinreichende Möglichkeiten, einem Kladderadatsch zu entgehen. Weltweit stehen noch reichlich Räume und Ressourcen zur Verfügung, die sich ausbeuten lassen, bei Widerstreben wird »humanitär«-militärisch interveniert. Vieles noch läßt sich »privatisieren«, und auch in der Finanzsphäre sind weitere große Gewinne zu machen, aus Krisen läßt sich Profit schlagen. Da könnte das international mobile Kapital selbst ein Desaster der Euro-Zone verkraften. Der Absturz, der in europäischen Landen droht, betrifft andere soziale Klassen und Gruppen. Versetzt man sich in die strategische Denkweise auf der Seite der wirtschaftlichen Machteliten, ist folgendes Konzept einer »Krisenlösung« denkbar:
Die soziale Spaltung in Europa wird forciert, in Armut getriebene Nationen werden abgeschrieben, Armutszonen und -schichten in den besser gestellten Ländern verstetigt und durch »Sicherheitsmaßnahmen« ruhiggestellt. Dafür braucht die Staatsgewalt mehr Haushaltsmittel, die durch rigide Besteuerung des lohnarbeitenden Teils der Bevölkerung und des Massenkonsums einzutreiben sind. Wer Armut sieht und für sich selbst befürchtet, wird sich doch für solche »Sachzwänge« disziplinieren lassen. Die Schönwetterzeiten des »Ausgleichs der Lebensverhältnisse« sind eben vorbei, das sollte jeder einsehen.

Wenn die Staatsverschuldung zu bedrängend wird, hilft eine Währungsreform, dafür gibt es historische Beispiele. Das Sachkapital und der Aktienbesitz bleiben ungeschoren, ihr relativer Wert steigert sich sogar. Großen Geldvermögen fällt es nicht schwer, sich in Wertpapiere zu verwandeln, die von der Reform nicht erfaßt werden. Die Banken und Kapitalfonds können weiter mit »Rettungsschirmen« rechnen, zu diesem Zweck wird ja der Staat durch die neue Währung von alten Schulden entlastet. In der Unternehmenslandschaft kommt es dann zu Verwerfungen, Umbrüchen, »schöpferischer Zerstörung« eben. Der kleine Sparer wird schon begreifen, daß es im gewohnten Stil nicht weitergehen konnte ...

Ist der Crash so abzuwickeln? Nimmt das gemeine Volk das so hin? Ökonomisch steht das kapitalistische System nicht vor der letzten Schlacht. Aber es ist keineswegs allmächtig, es hat seine Empfindlichkeiten, seine Bruchstellen. Es braucht Folgebereitschaft in der öffentlichen Meinung, in der Arbeitswelt, es benötigt Dienstleistungen der Politik und bleibt dem Konflikt sozialer Klassen ausgesetzt. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sind nicht zementiert, sondern in Bewegung, Tag für Tag. Diesen Zustand Demokratie zu nennen, wäre Schönfärberei, es handelt sich um »Plutocracy« – aber um eine solche, in der Widerstand möglich ist, Zugriffe der Machtinhaber zum Halt gebracht, Freiheiten verteidigt werden können. Hier kann oppositionelle Öffentlichkeit hergestellt, soziale Solidarität organisiert werden, aus eigener Kraft. Töricht wäre es, sich auf Gott, Kaiser oder Tribun zu verlassen, zeitgemäß ausgedrückt: Auf die Gnade des Finanz-»Marktes«, das Geschick einer Kanzlerin oder die Regierungsübernahme durch SPD und Grüne. Die Chance liegt darin, da stimmt das alte Lied, daß wir selbst etwas tun.