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Titel172013

Freundschaft mit US-Amerika  (Eckart Spoo)

Aktuelle Nachrichten erinnern mich an ein Buch, das ich selber vor 24 Jahren herausgegeben habe: »Die Amerikaner in der Bundesrepublik – Besatzungsmacht oder Bündnispartner?« Es erschien im Verlag Kiepenheuer&Witsch, blieb aber unbekannt. Kaum war es gedruckt, verschwand es. Nach Ansicht des Verlags paßte es nach 1989/90 nicht mehr in die Zeit. Die Frage im Titel schien beantwortet, erst recht als Präsident Bush sen. das vereinte Deutschland als »partner in leadership« anerkannte.

Neben Beiträgen von Bernt Engelmann (»Das Quasi-Protektorat«), Anton-Andreas Guha (»Unsere teuren Freunde – Was die Truppenstationierung kostet«), Norman Paech (»Was die US-Truppen in der Bundesrepublik alles dürfen«), Jörg Becker (»US-amerikanischer Einfluß auf die Medien«) und anderen steht in dem Sammelband ein Aufsatz von Helmut Lorscheid über die Zuarbeit deutscher Stellen für den US-Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA). Ein Beispiel daraus: 1984 war in der Freien und Hansestadt Hamburg der »Informationsbericht« bekannt geworden, mit dem die »Fachdirektion 7 – Staatsschutz« mehrmals wöchentlich nicht nur bundesdeutsche, sondern auch US-amerikanische »Dienststellen« darüber ins Bild setzte, wie die Hamburger Polizei eine Gruppe von Jugendlichen am Besetzen eines Hauses gehindert hatte, wie Frauen am 30. April die Walpurgisnacht feierten und was der Staatsschutz beim Beobachten der DGB-Demonstration am 1. Mai feststellte. Als sich auf Initiative der Grün-Alternativen Liste die Hamburger Bürgerschaft damit befaßte, erklärte SPD-Sprecher Paul Busse, warum die CIA und auch der britische MI 6 so detailliert über das politische Treiben der freien Hanseaten informiert werden mußten: »Wir sind nun einmal in der NATO ...« Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) befand, »daß die Zusammenarbeit richtig und wichtig ist und daß wir sie zu unterstützen haben. (...) Rechtsgrundlage dafür sind das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen.« Dazu Helmut Lorscheid: »Die Hamburger Erläuterungen machten deutlich, daß die Kooperation mit dem weltweit für Morde und Staatsstreiche verantwortlichen US-Geheimdienst zum Alltag der in der Bundesrepublik regierenden Politiker gehört. Es bleibt der CIA überlassen, welchen Gebrauch sie von Daten über Walpurgisnächte und andere Ereignisse macht. Hamburger Verhältnisse herrschen selbstverständlich auch in den übrigen Bundesländern.«

Man wußte damals schon viel über die geheimdienstliche Kooperation. Man konnte es im Spiegel lesen. Nach Angaben des Wochenblattes sammelten knapp 200 US-Niederlassungen in rund 75 Orten der Bundesrepublik Nachrichten für die USA. In der Nähe von München unterhielt die CIA sogar Ausbildungslager für rechte Untergrundkämpfer (Spiegel vom 6.10.86). Nachdem Einzelheiten über gigantische Abhörsysteme des US-amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) bekannt geworden waren (Spiegel vom 20.2.89), meldete die Pressestelle des Bundestags aus dem Innenausschuß: »Nachrichtendienste beachten deutsches Recht (...) Für die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD gab es keinen Zweifel daran, daß im Bereich des Abhörens von Telefonen in der Bundesrepublik rechtmäßig vorgegangen werde, auch von den Nachrichtendiensten der Alliierten.« Lorscheid schloß seinen Beitrag: »All das, versichern jedesmal, wenn wieder etwas herauskommt, die regierenden Bundespolitiker, geschehe im Rahmen des geltenden Rechts. Wirklich? Was wäre von solchem Recht zu halten? Wie lange soll es noch gelten?«

24 Jahre später gilt es offenbar immer noch: das Recht der vielbeschworenen transatlantischen Freundschaft. »Wir sind nun einmal in der NATO ...«

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Über unterschiedliche Vorstellungen von Freundschaft hatte ich schon im Winter 1982/83 einiges gelernt. Damals erfuhren meine Frau und ich eines Morgens beim gemeinsamen Frühstück aus den Nachrichten, daß der Bürgermeister der großen US-amerikanischen Industriestadt Detroit den Hungernotstand ausgerufen hatte. Die kurze Meldung veranlaßte uns, sofort das Geschirr abzuräumen und einen Aufruf zu formulieren. Als Muster dienten uns die damals zahlreich verbreiteten Aufrufe zur Hilfe für Polen. Wir erinnerten an die Care-Pakete, mit denen US-Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg vielen hungernden Deutschen geholfen hatten. Wir versäumten aber auch nicht, auf den Zusammenhang zwischen dem kostspieligen Aufrüstungsprogramm der Reagan-Regierung und dem Abbau der ohnehin dürftigen Sozialleistungen in den USA hinzuweisen. Dann rief ich namhafte Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler, Gewerkschafter und Kirchenleute aus meinem Bekanntenkreis an und erhielt im Nu ihre Unterschriften. Manche waren auch gleich zu tatkräftiger Mitarbeit bereit. So übernahm es der Verleger der Zeitschrift konkret, Hermann Gremliza, große Plakate mit dem Aufruf und den Namen der Unterzeichner drucken zu lassen. Besonders erfreute mich die Zusage der Bonhoeffer-Kirchengemeinde Hannover-Mühlenberg, für die Hilfsaktion ein Konto einzurichten und die Spenden nach Detroit weiterzuleiten.

In dem Buch »Die Amerikaner in der Bundesrepublik« berichtet der Mühlenberger Pfarrer Eckhard Minthe: »Kurzfristig kamen über 100.000 Mark Barspenden zusammen; Sachspenden wurden unentgeltlich von einer großen US-Fluggesellschaft an den Bestimmungsort transportiert. (...) In Europa stationierte US-Soldaten, durch den Armee-Sender AFN und die Armee-Zeitung Stars and Stripes informiert, äußerten sich bewegt und nannten unsere Aktion einen »wahren Beweis der Freundschaft zwischen beiden Völkern«. Wir erhielten erschütternde Briefe von Detroiter Bürgern, darunter gebürtigen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Wirtschaftsflüchtlinge – wie man sie heute abschätzig nennt, wenn sie aus afrikanischen Hungergebieten kommen – in die USA ausgewandert waren. »Ich hätte nie geglaubt, daß wir eines Tages auf der Seite der Empfänger stehen würden«, schrieb zum Beispiel Wilma S. und schilderte eindrucksvoll die Not, die sie erlitt. Die Stadtverwaltung dankte uns für unsere Initiative in Erklärungen, Fernsehinterviews und Briefen von Bürgermeister Coleman A. Young und der Sozialdezernentin Barbara Parker (»Wenn man Gesten wie diese sieht, findet man den Glauben an die Menschheit wieder«).

Bundesdeutsche Medien dagegen schimpften und schäumten – soweit sie die Aktion nicht lieber einfach verschwiegen. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung nannte unseren Aufruf zum Helfen »infam«, »perfide«, »zynische Demagogie«. Sie bestritt, daß es in Detroit ein Hungerproblem gebe (zum Beweis zitierte sie einen Heilsarmee-Offizier aus einer anderen US-amerikanischen Stadt), und verleumdete Pfarrer Minthe. Hinter solchen Aktionen erkannte das hannoversche Blatt die Absicht, »grob verzerrend das westlich-demokratische Gesellschaftssystem in Mißkredit zu bringen«. Die Welt aus dem Springer-Konzern meldete, daß »Washington über die Care-Pakete in umgekehrter Richtung peinlich berührt« sei. Es gebe »aus amerikanischer Sicht die Befürchtung, allzu lautstarke Solidarität sei Wasser auf die sowjetische Propagandamühle«. Bei solchen »gesteuerten Aktionen« trete die politische Absicht zu Tage: Seht, so steht es um Amerika durch die Reaganomics!«

Präsident Reagan persönlich mußte in einer Pressekonferenz Stellung nehmen. Die USA, sagte er leicht verkniffen, seien immer noch in der Lage, ihre sozialen Probleme selber zu lösen.
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Das Problem Detroit wurde nicht gelöst.

Gewiß, die USA sind reich, immer noch, trotz Vergeudung von Ressourcen für militärische Zwecke in gigantischem Ausmaß. Alle Einwohner müßten am Reichtum teilhaben. Auch in Deutschland könnten alle, die Flüchtlinge eingeschlossen, in Wohlstand leben (vor allem durch Verteilung der Lohnarbeit auf alle Arbeitsfähigen und -willigen), wenn nicht das Kapital die Tendenz hätte, den Reichtum und die Macht zu zentralisieren und einen wachsenden Teil der Bevölkerung (der Menschheit) als überflüssig zu behandeln.

In Detroit, dem Sitz der drei großen US-Autoschmieden General Motors, Ford und Chrysler, lebten einmal fast zwei Millionen Menschen. Heute sind es keine 700.000 mehr. Die meisten sind arbeitslos. Wohnhäuser und Läden stehen leer, ganze Straßenzüge verfallen oder sind schon eingeebnet. Aber sogar das Wegziehen ist schwierig, jedenfalls für die, die ein Häuschen haben: Sie können es nicht verkaufen, weil niemand es haben will. Die Steuereinnahmen der Stadt sind seit Jahrzehnten gesunken, so daß sie am Gesundheits- und am Bildungswesen, bei Feuerwehr und Polizei immer größere Abstriche machen muß. Kindersterblichkeit, Analphabetismus, Drogen- und Gewaltkriminalität haben Ausmaße wie nirgendwo anders in den USA angenommen.

Am 18. Juli 2013 meldete die Stadt einen Schuldenstand von 20 Milliarden Dollar und erklärte sich für zahlungsunfähig. Für die städtischen Bediensteten kann das den Verlust ihrer Altersversorgung bedeuten. Verluste kommen auf viele Gläubiger zu, auch auf mehrere europäische Banken, bei denen sich die Stadt mit hunderten von Millionen Dollar verschuldet hat, darunter die Commerzbank.

Zu Beginn seiner ersten Amtszeit – die Krise der Autoindustrie war schon ausgebrochen – hatte Präsident Obama große Versprechungen gemacht, und noch im vorigen Jahr bekräftigte er seinen Willen, Detroit nicht bankrott gehen zu lassen. Die zeitweilig von der Pleite bedrohten Autokonzerne wurden gerettet, die Autostadt und ihre Bevölkerung nicht. Nach der Bankrott-Erklärung ließ eine Sprecherin des Weißen Hauses wissen, die Lage werde genau beobachtet.

Mehrere andere US-amerikanische Industriestädte verrotten inzwischen ähnlich. Für Detroit sieht niemand mehr eine Chance. Den Platz 1 in der weltweiten Auto-Industrie wird General Motors wahrscheinlich bald entweder an VW oder an Toyota verlieren. Aber militärisch sind die USA – auch aufgrund ihrer geheimdienstlichen Datennetze, in denen wir alle gefangen sind, ihrer von Deutschland aus gesteuerten Drohnen und ihrer in Büchel stationierten Atomwaffen – immer noch stärker geworden.