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Titel172013

Verpaßte Chance  (Reiner Diederich)

Bis Anfang Oktober ist im Frankfurter Jüdischen Museum die Ausstellung »Juden. Geld. Eine Vorstellung« zu sehen. Mutig versucht sie, ein immer noch tabuiertes Thema anzugehen: den Antisemitismus als scheinhaften, abgefälschten, umfunktionierten Antikapitalismus. Das Thema ist aktuell, gerade in der Krise wird wieder verstärkt nach Sündenböcken gesucht. Die Vorstellung, daß Juden und Geld zusammengehören, ist in homöopathischer Verdünnung nach wie vor in den Köpfen einer Mehrheit der Deutschen virulent. Von anderen Ländern – wie etwa Ungarn – ganz zu schweigen.

Um es gleich zu sagen: Die Ausstellung scheitert mit ihrem Anspruch, aufzuklären, weil sie das antisemitische Stereotyp nur »wendet«. Die falsche Gleichsetzung Juden/Geld wird – auch im Katalog, der ansonsten lesenswerte Beiträge enthält – dazu benutzt, um Kapitalismuskritikern vorzuwerfen, sie hätten etwas gegen Juden beziehungsweise ihre Argumente ähnelten »strukturell« den Phantasien der Antisemiten.

Die Beweisführung geht dabei so: An einer Wand der Abteilung »Kapitalismusdebatten« ist in großen Lettern zu lesen, daß Karl Marx eine Art Stammvater des Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert gewesen sei. Zitat: »Als Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte, das kapitalistische Wirtschaftssystem theoretisch zu beschreiben, fand er eine rhetorische Figur dafür. Wie er bereits in seinem Aufsatz Zur Judenfrage (1844) ausführte, waren für ihn Kapitalist und Jude schlichtweg synonym. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war diese Verbindung von Kapitalismus und Judentum bereits für viele Wirtschaftstheoretiker und Sozialwissenschaftler selbstverständlich – sowohl für diejenigen, die sich für dieses Wirtschaftssystem aussprachen, als auch für andere, welche dem Kapitalismus kritisch gegenüberstanden.«

Den Macherinnen und Machern der Ausstellung wäre, wenn sie ihre eigene Inszenierung ernst genommen und ein wenig nachgedacht hätten, sicherlich aufgefallen, daß an diesem Text etwas nicht stimmen kann. Denn direkt unter ihm haben sie alle drei Bände von Marxens Hauptwerk auslegen lassen. Dessen Titel lautet bekanntlich »Das Kapital« – und nicht »Der Kapitalist« oder gar »Der Geldjude«. Von wegen Synonymität. Und es handelt sich bei diesem Werk auch keineswegs nur um einen »Versuch, das kapitalistische Wirtschaftssystem theoretisch zu beschreiben«, sondern um eine Analyse von dessen innersten Mechanismen.

Marx ging es um die objektiven Gesetzmäßigkeiten der Ausbeutung von Mensch und Natur, nicht um den Charakter, die Religion, die ethnische Zugehörigkeit oder die persönlichen Überzeugungen der Ausbeuter. Selbst in seiner umstrittenen Frühschrift »Zur Judenfrage«, die in der Tat mit ressentimentbeladenen Metaphern gespickt ist, kommt er zu dem Schluß, die Christen seien in der modernen Zeit selbst zu »Juden« geworden. Das heißt doch, daß es nicht länger möglich ist, das »raffende Kapital« allein den Juden zuzuschreiben und alle negativen Begleiterscheinungen der kapitalistischen Geldwirtschaft auf sie zu projizieren, sondern daß sich alle an die eigene Nase fassen müssen.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die »Verbindung von Kapitalismus und Judentum« gerade nicht von der sozialistischen Linken und ihren Theoretikern, sondern vorzugsweise von der politischen Reaktion und deren geistigen Wegbereitern in Wort und Bild propagiert worden. An vorderster Stelle Richard Wagner, der in der Ausstellung – trotz oder wegen seines Jubiläumsjahres – auffallend geschont und nur mit einer Stelle aus »Das Judentum in der Musik« (1850) zitiert wird: »Der Jude ist, nach dem gegenwärtigen Stande der Weltdinge, wirklich bereits mehr als emancipiert: er herrscht, und wird so lange herrschen als das Geld die Macht bleibt, vor der all unser Thun und Treiben seine Kraft verliert.« Wagners Machwerk war quasi das dunkle Gegenstück zum zwei Jahre vorher erschienenen Kommunistischen Manifest von Marx und Engels.

Die systematische Verwechslung von Geld und Kapital, die daraus resultierende Stoßrichtung gegen die »Herrschaft des Geldes« und die »Zinsknechtschaft« (so der NS-Ideologe Gottfried Feder) dienen letztlich dazu, eine Unterscheidung zwischen »bösem« fremden und »gutem« eigenen Kapital vornehmen zu können. Leider waren und sind immer wieder auch Linke für eine solche oberflächliche, verkürzte, antisemitisch und »national-sozialistisch« wendbare Kapitalismuskritik anfällig, die eine eindeutige Funktion erfüllt: kritische Gedanken, Gefühle, Energien und Handlungsimpulse werden auf Ersatzfeinde ab- und umgelenkt, so daß die Reichen und Mächtigen ruhiger schlafen können.

Sollte letzteres etwa auch die geheime oder unbewußte Agenda der Ausstellung sein? Der Verdacht liegt nahe, wenn man sieht, wie durch scheinbar passende Text- und Bildzitate die Occupy-Bewegung assoziativ in die Nähe der Judenfeindlichkeit gerückt wird, wie wieder einmal Rainer Werner Fassbinders Stück »Die Stadt, der Müll und der Tod« schlicht als antisemitisch gilt, als ob es zu ihm nicht eine langjährige kontroverse, auch wissenschaftlich geführte Debatte gäbe.

Ausgerechnet die Finanzministerin der (bis vor kurzem) Steueroase Österreich darf im Katalog das letzte Wort behalten. Maria Fekter langt zu: »Wir bauen gerade enorme Feindbilder in Europa auf: gegen die Banker, gegen die Reichen, gegen die Vermögenden. So etwas hatten wir schon einmal, damals war es dann verbrämt unter gegen ›die Juden‹, aber gemeint waren damals ähnliche Gruppierungen und es hat zwei Mal in einem Krieg geendet.«

Es versteht sich, daß die Feuilletons, allen voran das der Frankfurter Rundschau und das der Frankfurter Allgemeinen, als Erkenntnis und Botschaft der Ausstellung verkündeten, beim Antisemitismus handele es sich tatsächlich um einen »diffusen« Antikapitalismus, keinesfalls um einen im Kapitalinteresse vorgetäuschten. In der Nacht sind eben alle Katzen grau. »Antikapitalismus und Antisemitismus gehen seit jeher Hand in Hand«, brachte es die FAZ auf den denunziatorischen Punkt.

Die Ausstellung ist von der Deutschen Bank gefördert worden. Die Deutsche Bank hat bestimmt keinen Anlaß, mit ihr unzufrieden zu sein.

Wieder einmal ist eine Chance zur Aufklärung vertan worden – bei großer Materialfülle, einer sehr aufwendigen Installation und guten Katalogbeiträgen.